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Jetzt wird - angesichts der bevorstehenden Abschaltung einiger Kohlekraftwerke - erwartungsgemäß das große "Frohlocken" in der Klimabewegung beginnen. Aus meiner Sicht ist Kohle mitnichten gleich Kohle! Abgeschaltet werden zuallererst die - gegenüber Braunkohle - vergleichsweise klimafreundlicheren Steinkohlekraftwerke. Das bedeutet auf der anderen Seite, daß dafür die Braunkohlekraftwerke als letztes abgeschaltet werden und der Betrieb bis zum endgültig letzten Kohletag im Jahr 2038 von staatlicher Seite erzwungen werden wird (mit Polizeigewalt wie am 10.11.2020 in Lützerath bei Erkelenz, "Garzweiler II"). Daher kann man die Sichtweise der Klimabewegung (und auch von Frau Kemfert vom DIW) nur als sehr kurzsichtig bezeichnen. Das Entscheidende, die drohende Zerstörung von sechs historisch geprägten Orten bei Erkelenz im Rahmen der Restlaufzeiten bis 2038, bleibt bei dieser Denkweise völlig außen vor, zumal z. B. von "Ende Gelände" und anderen Klimaorganisationen auch ein Ersatz durch Erdgas strikt abgelehnt wird. Der "Fahrplan" des Kohleausstiegs ist daher alles andere als von Intelligenz geprägt. Bei den Verhandlungen im Vorfeld des Kohlekompromisses hätte seitens der Antikohlebewegung die Chance bestanden, einen anderen Zeitplan einzufordern, der "kritische" Erhalt der Dörfer bei Erkelenz war jedoch deutlich erkennbar im allgemeinen 1,5° - Wischiwaschi ausgeblendet worden (m. E. sogar ganz bewußt, z. B. auch von der Führungsspitze der "Grünen"). Meine Freude über die Abschaltung von "Moorburg" ist jedenfalls ziemlich gedämpft...
Die Forderungen von AfD und BSW sind realitätsfremd. Statt sich vor ihren Karren spannen zu lassen, sollten die Demokraten sie lieber regieren lassen.
Abschalten von Kohlekraftwerken: Versagen von Politik und Industrie
Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der CO2-Preis machen auch junge Kohlekraftwerke unrentabel. Die Konzerne haben zu lange auf sie gesetzt.
Vattenfall wird sein Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg im nächsten Jahr stilllegen Foto: dpa
Es ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Politik und Wirtschaft den Wandel in der Energiepolitik unterschätzt haben: Als am 29. Oktober 2008 der Grundstein für das neue Steinkohlekraftwerk Westfalen im nordrhein-westfälischen Hamm gelegt wurde, bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel neue Kohlekraftwerke als „wesentlichen Eckpfeiler der Energiepolitik“ und äußerte die Erwartung, dass sich diese „Investition in die Zukunft“ über Jahrzehnte bezahlt machen würde.
Tatsächlich wurde einer der zwei geplanten Blöcke des Kraftwerks nie fertiggestellt. Und der zweite, der 2014 nach langer Verzögerung ans Netz ging, wird im nächsten Jahr nach nur 6 Jahren Betriebszeit wieder stillgelegt. Für den Betreiber RWE dürfte es sich um eine der größten Fehlinvestitionen der Geschichte gehandelt haben. Ähnliches gilt für den Energiekonzern Vattenfall, der sein heftig umstrittenes Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg ebenfalls im nächsten Jahr stilllegen wird. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der gestiegene CO2-Preis – zwei Entwicklungen, an die die Betreiber offenbar lange nicht geglaubt haben – machen Kohlekraftwerke schlicht unwirtschaftlich.
Viel Entschädigung bekommen die Konzerne fürs Abschalten nicht: Bei der ersten Auktion wurden so viele Kohlekraftwerke zur Stilllegung angeboten, dass dafür nur ein Drittel der Summe gezahlt werden muss, als vom Gesetz her möglich gewesen wäre. Mitleid ist dafür aber nicht angebracht, denn an Warnungen hat es seinerzeit nicht gefehlt. Angesichts des offenbar großen Verlangens, die Verlustbringer so schnell wie möglich loszuwerden, stellt sich vielmehr die Frage, warum dafür überhaupt Entschädigungen fließen.
Vor allem aber ist zu hoffen, dass sich dies Versagen von Politik und Industrie nicht wiederholt. Etwa in der Automobilbranche, in der viele Akteure trotz massiver Warnungen am Verbrennungsmotor festhalten, teilse mit offensiver Unterstützung aus der Politik. Spätestens jetzt sollte klar sein: Wer die Klimakrise und den von ihr ausgehenden Veränderungsdruck ignoriert, verliert.
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Kommentar von
Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert. Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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