Pläne für Standorte stillgelegter Meiler: Freizeitpark statt Kohlekraftwerk
Da der fossile Energieträger keine Zukunft hat, suchen die Betreiber neue Verwendungen für ihre Elektrizitätswerke. Eine Idee: Wasserstoff-Fabriken.
Aber was passiert eigentlich mit den ausgedienten Kraftwerken und ihren Standorten? Als Industrieruinen müssen die Anlagen nicht enden. Die Besitzer denken über ganz unterschiedliche Optionen für die Bauten und Flächen nach.
Da wäre zum Beispiel das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg, das die große Überraschung unter den Bewerbungen um die diesjährigen Stilllegungen war. Schließlich hat der Energiekonzern Vattenfall die Anlage mit zwei Blöcken erst ab 2007 gebaut – und damit massive Proteste der sich zunehmend formierenden deutschen Klimabewegung ausgelöst. In Betrieb ging das 3-Milliarden-Euro-Projekt im Jahr 2015, nun wird es nach nicht einmal sechs Jahren als größtes Kraftwerk der Elfer-Gruppe abgeschaltet. Die Nachnutzungskonzepte in Moorburg reichen von der Umrüstung auf andere Brennstoffe bis hin zum Abriss.
Am vergangenen Freitag wurde nun bekannt, dass Vattenfall, Shell, Mitsubishi Heavy Industries sowie Hamburgs kommunaler Wärmeversorger Hamburg Wärme eine Absichtserklärung unterzeichnet haben, wonach am Standort Moorburg ein Elektrolyseur mit einer Leistung von 100 Megawatt aufgebaut werden soll. So wollen die Firmen „eine führende Position in der europäischen grünen Wasserstoffwirtschaft“ einnehmen. Eine konkrete Investitionsentscheidung steht aber noch aus.
Schon bevor die Stilllegung bekannt wurde, war in Hamburg die Verbrennung von Buschholz aus Namibia als Alternative zur Kohle diskutiert worden. Umweltverbände wie Robin Wood lehnen das strikt ab. Wegen des langen Transportweges und der mit der Abholzung vor Ort verbundenen Umweltschäden sei diese Form der Energiegewinnung nicht klimaverträglich. Hinzu komme, dass Energie in Namibia selbst knapp sei.
Gewerbeflächen in Hamm
Konkreter als in Moorburg sind die Vorstellungen schon im nordrhein-westfälischen Hamm, wo der Energiekonzern RWE das Kraftwerk Westfalen stilllegt. Nicht mehr benötigte Flächen sollen zusammen mit der städtischen Wirtschaftsförderung zu Gewerbeflächen entwickelt werden. Auf einem Teil des Areals könnte ein Phasenschieber im Dienste des Übertragungsnetzbetreibers Amprion entstehen.
Solche Komponenten sind aus technischen Gründen im Stromnetz wichtig. Sie kompensieren sogenannten Blindstrom. Dieser ergibt sich durch physikalische Effekte im Wechselstromnetz, die dazu führen, dass es zu zeitlichen Verschiebungen zwischen den Verläufen von Strom und Spannung kommt. Das führt dann dazu, dass Strom im Netz pendelt, ohne Leistung erbringen zu können. So belastet Blindstrom die Netze und muss stets kompensiert werden, indem man Strom und Spannung wieder in Einklang bringt – daher der Name: Man schiebt beide Größen wieder in die gleiche Phase. Das taten von jeher konventionelle Kraftwerke und auch Pumpspeicherwerke. Mit der Energiewende werden daher neue Phasenschieber gebraucht.
Am Standort Ibbenbüren erwägt der Energiekonzern RWE unterdessen, sein Kohlekraftwerk als Kapazitätsreserve anzubieten. Als solche werden Anlagen bezeichnet, die außerhalb des Strommarktes vorgehalten werden. Sie können bei Bedarf durch die Übertragungsnetzbetreiber abgerufen werden, falls die Stromnachfrage durch die am Markt verfügbaren Kapazitäten nicht gedeckt werden kann.
Auch der Energiekonzern Uniper denkt am Standort des Kohlekraftwerks Heyden an die großflächige Ansiedlung von Industrie, etwa von „Unternehmen der Kreislaufwirtschaft“. Geprüft würden aber auch die Stromerzeugung auf Basis von Erdgas beziehungsweise Wasserstoff sowie Einrichtungen zur Stabilisierung des Stromnetzes.
Die Steag wiederum sieht ihren Standort Duisburg-Walsum „als Hub für die Sektorenkopplung“. Fossile Energie soll aber auch hier weiter eine Rolle spielen: Für den zur Stilllegung angenommenen Block Walsum 9 steht ein „Fuel-Switch auf Erdgas“ im Raum. Darüber hinaus prüft die Steag aber auch „die Errichtung eines Wasserstoff- und Sauerstoff-Hubs“. Zudem untersucht die Steag Optionen zur Stromspeicherung am Standort, nachdem sich dort bereits ein 15-Megawatt-Batteriespeicher befindet.
Aber vielleicht finden sich mancherorts auch noch ganz neue Optionen, an die heute noch niemand denkt. Als Vorbild könnten zwei gescheiterte AKW-Projekte gelten: Auf dem Gelände des nie angelaufenen „Schnellen Brüters“ in Kalkar am Niederrhein entstand ein Freizeitpark. Und im österreichischen Zwentendorf wurde das vollendete, aber nie in Betrieb genommene Atomkraftwerk zeitweise als Unterrichtsgebäude genutzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!