piwik no script img

Abriegelung während CoronaquarantäneKaum Chance auf Schmerzensgeld

Bewohner eines Wohnblocks in Göttingen klagen gegen die Abriegelung während der Pandemie. Das Landgericht wies dies nun zurück.

Das abgesperrte Hochhaus in Göttingen im Juni 2020 Foto: Hubert Jelinek/imago

Göttingen taz | Das juristische Tauziehen um die Abriegelung eines Göttinger Hochhauskomplexes während der Coronapandemie geht weiter. Im November hatte das örtliche Verwaltungsgericht die Maßnahme für rechtswidrig erklärt. Mehr als 200 Be­woh­ne­r:in­nen der Anlage verklagten die Stadt daraufhin wegen Freiheitsentziehung und Verletzung des Persönlichkeitsrechts beim Göttinger Landgericht auf Schmerzensgeld.

Die Zivilkammer des Gerichts räumt dem Begehren allerdings wenig Erfolgschancen ein, wie sich aus mehreren jetzt veröffentlichten Beschlüssen ergibt. Die Richter lehnen darin insgesamt 40 Anträge von Betroffenen auf Prozesskostenhilfe ab.

Das Hochhaus gilt als sozialer Brennpunkt. Rund 700 Menschen, darunter 200 Kinder und Jugendliche, leben dort unter prekären Bedingungen. Für die meisten der nur 19 bis 39 Quadratmeter kleinen Appartements zahlt die Stadt Göttingen die Miete, weil die Bewohner auf Transferleistungen angewiesen sind.

Nachdem sich im Juni 2020 zwei Frauen mit dem Coronavirus infiziert hatten, ordnete die Stadt Tests für alle Bewohner an, 120 Menschen wurden positiv getestet. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, stellte die Stadt den Komplex unter Quarantäne. Die Eingänge zum Grundstück wurden abgesperrt und mit Toren verschlossen. Lieferwagen brachten Lebensmittel und Hygieneartikel.

Auch wenn die Absperrung und polizeiliche Bewachung rechtswidrig waren, ergebe sich daraus nicht automatisch ein zivilrechtlicher Anspruch auf Schmerzensgeld, findet nun das Landgericht. Denn Schmerzensgeld sei keine Strafe für rechtswidriges Verwaltungshandeln. Zudem, so die Richter, hätte es die von den Klägern geltend gemachten Beeinträchtigungen ohnehin gegeben. Die Menschen hätten den Wohnblock schon wegen der Quarantäneanordnung nicht verlassen dürfen. Die Entscheidung des Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Es ist absehbar, dass die Aussicht auf Schadenersatz gering ist. Glücklicherweise prüft das Gericht in diesem Fall die Erfolgsaussichten bereits im Verfahren um die Prozeßkostenhilfe sehr genau. Ansonsten ginge höchstwahrscheinlich nur der Anwalt als wirtschaftlicher Sieger aus dem Verfahren hervor.

  • Tja ein schönes Beispiel wie rechtswidriges Handeln deutscher Behörden wieder mal sanktionslos bleibt



    da das deutsche Recht es nicht vorsieht diejenigen in den Verwaltungen spürbar(!) zu sanktionieren welche rechtswidrige Beschlüsse fassen.

    oder wie es so schön lautet:

    Vor einem Schalter stehen: das ist das deutsche Schicksal.



    Hinter dem Schalter sitzen: das ist das deutsche Ideal.

  • Soziale Stigmatisierung durch deutsche Gerichte :-(

    Mehr zur rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch Umzäunung des Wohnkomplexes finden sich auf der Seite des Anwalts der Bewohner*innen



    anwaltskanzlei-ada...g/corona-pandemie/