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Abrechnungsbetrug in der PflegeWie unzuverlässig darf ein Altenpfleger sein?

Vor dem Verwaltungsgericht Hannover kämpft ein Altenpfleger darum, weiter seinen Beruf ausüben zu dürfen. Er ist wegen Betruges verurteilt worden.

Hände, die auf Altenpflege angewiesen sind: die hat ein Mann aus Niedersachsen nicht immer richtig abgerechnet Foto: Monika Skolimowska/dpa
Nadine Conti

Aus Hannover

Nadine Conti

Dieter G. ist 62 Jahre alt, ein freundlicher, jovialer Typ, der gern viel und schnell redet – und ein verurteilter Betrüger. In neun Fällen hat er – zusammen mit seinem Kompagnon – Pflegedienstleistungen nicht korrekt abgerechnet. Dafür ist er 2022 vom Amtsgericht Hannover verurteilt worden, das gesteht er auch ein. „Ich habe schlimme Fehler gemacht und dafür bezahlt. Punkt.“

Und trotzdem ist er jetzt noch einmal vor das Verwaltungsgericht in Hannover gezogen. Er kämpft darum, weiter die Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ führen zu dürfen. Die hatte ihm das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie entzogen.

Aber daran, sagt G., hängt sein gesamter Betrieb mit 18 Angestellten. Sein „Pflegestützpunkt“ ist spezialisiert auf Pflegeberatung und haushaltsnahe Dienstleistungen in einer eher ländlichen Gegend Niedersachsens und stark nachgefragt.

Eine Schließung, findet er, geht zu weit. Immerhin hat er seine Lektion gelernt, den Schaden beglichen, seine Geldauflage bezahlt, in neue, teure Buchhaltungssoftware investiert, die auch mit komplexen Fällen fertig wird.

Hat er bei der Abrechnung gemurkst oder gemogelt?

Überhaupt, so stellt es auch seine Rechtsanwältin dar, sei das Ganze ja eher eine unglückliche Verkettung in einer Situation der Überforderung gewesen. Da seien eben Dinge vertauscht und falsch abgerechnet worden – ohne System oder großartige Bereicherungsabsicht.

„Ich habe immer nur versucht, Löcher zu stopfen“, beteuert G., „wir hatten so viele Anfragen, wir wollten die Leute doch nicht im Stich lassen. Aber das habe ich jetzt gelernt: Nein sagen. Das ist nicht schön, aber anders geht es nicht in unserem Gesundheitssystem.“

Es sei ja auch niemand zu Schaden gekommen, betont seine Anwältin. Es ginge hier um ein reines Abrechnungsproblem – da waren die falschen Mitarbeiter eingetragen oder Leistungen sind nicht im vollen Umfang erbracht worden. Aber trotz umfangreicher Prüfung hätte das ja am Ende nur 0,4 Prozent der Fälle betroffen.

Das sieht die Vertreterin des Landesamtes ein wenig anders: „Da sind Leistungen abgerechnet worden, die nicht erbracht worden sind. Das ist mehr als eine einfache Verwechselung im Dienstplan.“

Zu den ganz dicken Fischen gehört G. nicht. Auf 24.000 Euro beläuft sich der Schaden, den man ihm nachweisen konnte. Insgesamt ist diese Abrechnungsproblematik im Gesundheitswesen aber seit Jahren ein Dauerbrenner

Im Strafverfahren wurde zudem mindestens ein Fall festgestellt, in dem die Pflegekraft aus Gesundheitsgründen nicht mehr einsetzbar war – trotzdem wurde mit ihrem Namen und einer fiktiven Adresse abgerechnet, über ein Konto, auf das G.'s Kompagnon Zugriff hatte.

Das, verteidigt sich G., sei an ihm vorbeigelaufen. Die Frau habe ja erst noch gearbeitet, dann aber nicht mehr und das sei bei ihm im Büro nicht angekommen. Sein Geschäftspartner ist zwar mit ihm verurteilt worden – aber weil der keine examinierte Fachkraft ist, drohen ihm keine berufsrechtlichen Konsequenzen.

Vielleicht, merkt der Vorsitzende Richter Arne Gonschior an, hätte er dann doch lieber gegen den Strafbefehl vorgehen sollen. Jetzt müsste man davon ausgehen, dass die darin getroffenen Feststellungen korrekt sind.

Dem Landesamt fehlen die Kontrollmöglichkeiten

Er habe halt nicht weiter um Details feilschen wollen, sondern seinen Fehler eingesehen und die Sache vom Tisch haben wollen, sagt G.

Der Richter versucht dem Landesamt eine außergerichtliche Einigung schmackhaft zu machen. Er habe wenig Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Bescheides, mit dem die Berufsbezeichnung entzogen wurde, sagt er. Aber möglicherweise könnte man in Anerkennung der sonstigen Umstände ja doch zu einem Kompromiss finden?

Immerhin sei G. ja schon 62 Jahre alt, habe also nicht mehr allzu viele Berufsjahre vor sich. Und auch die Krankenkasse habe den Pflegevertrag mit G.'s Unternehmen nicht gekündigt. „Ja“, sagt die Vertreterin des Landesamtes, „aber die können kontrollieren – wir nicht“.

Es gehört zu den vielen Seltsamkeiten des Systems, dass das Landesamt zwar die Berufsaufsicht führt, aber im Grunde nur die Wahl hat, die Anerkennung zu erteilen oder zu entziehen. Die Krankenkassen melden Fehlverhalten nicht weiter, das tut nur die Staatsanwaltschaft, wenn es zum Strafverfahren kommt.

Das Abrechnungsproblem bleibt endemisch

Am Ende lässt sich das Landesamt doch auf eine Einigung ein: G. darf sich weiter Altenpfleger nennen und weiter seinen Betrieb führen. Dafür muss er aber regelmäßig ein sauberes Führungszeugnis einreichen. Und wenn er sich bis Ende 2028 noch einmal etwas zu Schulden kommen lässt – und sei es auch im Straßenverkehr – wird der Bescheid wieder in Kraft gesetzt. Auch die Kosten des Verfahrens muss G. auf sich nehmen.

Ja gut, dann nehme ich das mal so hin, knurrt der. Aber was er noch einmal sagen wollte: Darüber, was diese Krankenkassen mit so kleinen, mittelständischen Unternehmen wie dem seinen tun, darüber rede ja überhaupt niemand.

Er sitze auf offenen Rechnungen, die Monate, zum Teil ein Jahr alt sind, erklärt er später am Rande der Verhandlung. Seine Anwältin guckt ein bisschen alarmiert. Denn für einen Moment klingt es so, als hätte hier vielleicht doch jemand alle fünfe gerade sein lassen, weil er sich im Recht fühlt.

Zu den ganz dicken Fischen gehört G. aber auch nicht. Auf 24.000 Euro beläuft sich der Schaden, den man ihm nachweisen konnte. Insgesamt ist diese Abrechnungsproblematik im Gesundheitswesen aber seit Jahren ein Dauerbrenner. Erst im Juli gab die Kaufmännische Krankenkasse in Hannover (KKH) einen neuen Negativrekord bekannt: 5,4 Millionen Euro Schaden sind allein 2024 durch Abrechnungsbetrug entstanden. Der Löwenanteil entfiel mit 4,1 Millionen Euro auf ambulante Pflegedienste.

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