Abkommen mit den Farc-Guerilla: Frieden als Fundament

Die kolumbianische Regierung hatte allen Kämp­fe­r:in­nen ein Stück Land versprochen. Doch die Betroffenen müssen sich selbst helfen.

Yaquelin Yajure steht mit ihrer fünfjährigen Tochter vor dem neugebauten Haus in Kolumbien.

Bald kann Yaquelin Yajure einziehen. Zwei Jahre hat sie an ihrem Haus gebaut, das ihr Sicherheit und Stabilität bieten soll Foto: Katharina Wojczenko

Dem Haus von Yaquelin Yajure fehlen nur noch die Türen im Inneren, dann kann sie einziehen. Vor dem hellgelben Gebäude steht ein Schuppen mit einem Wassertank obendrauf. Gefliester Sockel, Wellblechdach, einstöckig. 94 Quadratmeter für sie und ihre Familie. Schluss mit dem hellhörigen, stickigen Zimmer aus Gipskartonwänden, in dem sie seit sieben Jahren leben. Ein echtes Haus, um anzukommen im zivilen Leben, im Frieden.

Es steht in Tierra Grata, einem Dorf im Norden Kolumbiens, das gerade Geschichte schreibt. Sieben Jahre nach dem Friedensabkommen zwischen Regierung und Farc-Guerilla ziehen hier die ersten ehemaligen Kämp­fe­r:in­nen in richtige Häuser ein. Gemeinsam haben sie erreicht, was der Staat trotz Versprechen nicht hinbekommen hat: Für je­de:n ein Stück Land, um ein Haus zu bauen.

Nach mehr als 50 Jahren Krieg schlossen der kolumbianische Staat und die Farc, die größte linke Guerilla des Kontinents, 2016 ein historisches Friedensabkommen. Rund 13.000 Männer und Frauen legten die Waffen nieder. Die meisten der Guerilleros und Guerilleras stammen aus kleinbäuerlichen Familien.

Für den Übergang ins zivile Leben schuf der Staat im ländlichen Nirgendwo 24 Wiedereingliederungszonen, „Espacios Territoriales de Capacitación y Reincorporación“. Unter besonderem Schutz sollten die ehemaligen Kämp­fe­r:in­nen dort ihren Schulabschluss und eine Ausbildung machen, Arbeit finden und behutsam Kontakte zur Zivilbevölkerung knüpfen. Aus der kommunistischen Utopie des Guerilla-Lebens in den kapitalistischen Alltag des ungleichen Kolumbiens.

Großteil des Friedensabkommens bis heute nicht erfüllt

Der kolumbianische Staat stellte den Farc-Demobilisierten provisorische Gemeinschaftsunterkünfte für den Übergang, zahlte eine minimale Grundrente und Anschubfinanzierung für die Gemeinschaftsprojekte. Nach einiger Zeit sollten die Wiedereingliederungsorte zu echten Dörfern werden, so die Idee. Doch 2018 wurde dann der Rechte Iván Duque Präsident. Der Gegner des Friedensabkommens hatte keinerlei Interesse an der Wiedereingliederung und missbrauchte sogar Gelder aus dem Friedensfonds zur Imagepflege.

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So hat der Staat einen Großteil des Friedensabkommens bis heute nicht erfüllt. Fast alle Demobilisierten haben sich hingegen an ihr Friedensversprechen gehalten. Viele von ihnen wohnen heute nicht mehr in den ursprünglichen Wiedereingliederungszonen, sie zogen zu Verwandten. Manche Siedlungen wurden aufgelöst, teils auf Druck bewaffneter Gruppen. Über 400 Demobilisierte wurden seit 2016 ermordet. Die Gegend um Tierra Grata gilt allerdings als sicher, bisher wurde nur ein einziger Demobilisierter von hier getötet – als er seine Familie in einer anderen Gegend besuchte. Yajure sagt, dass sich ihr Alltag viel ruhiger anfühle, seitdem sie nicht mehr im Dschungel ist.

Yaquelin Yajure benutzt ihren Kriegsnamen bis heute. Sie ist 39, schlank, immer in Bewegung. Yajure stammt aus der indigenen Ethnie der Barí, die in den Bergen der Serranía de los Motilones an der Grenze zu Venezuela lebt. Der Krieg war Teil ihrer Kindheit, die Farc bestimmte den Alltag in ihrer Region. Ihre Eltern waren arme Bauern. Sie konnte nicht zur Schule, mit 14 ging sie zur Guerilla.

Von der einfachen Guerilla zur Führungspersönlichkeit

Hinter der kollektiven Entscheidung zum Friedensabkommen steht sie bis heute. „Ich kämpfe immer noch für Gerechtigkeit und Veränderung.“ Ohne Gewehr, dafür mit Vernetzung: Sie brachte etwa Demobilisierte und Menschen aus dem Nachbardorf zusammen, um gemeinsam eine Trinkwasserleitung zu bauen. Von der einfachen Guerilla ist sie zur Führungspersönlichkeit geworden und heute die rechtliche Vertreterin der Kooperative, die Demobilisierte gegründet haben, um zusammen ihren Traum vom eigenen Haus umzusetzen.

Denn dass sie auf den Staat und sein Versprechen auf Land nicht zählen konnten, das war schnell abzusehen. Ein Bauer aus der Region verkaufte ihnen ein Stück Land. Ciudadela de Paz Bertulfo Alvarez heißt die neue Friedenssiedlung. Sie liegt direkt neben der alten Barackensiedlung, also weiter in der Gegend, wo sie sieben Jahre lang Fuß gefasst haben.

Was hier entsteht, ist einzigartig, sagt Architekt Carlos Duica. Er ist spezialisiert auf nachhaltiges Bauen und gemeinschaftliche Architektur. Bis vor Kurzem entwarf er für den Nationalen Wiedereingliederungsrat Wohnraum für Un­ter­zeich­ne­r:in­nen des Friedensabkommens. Den Prozess in Tierra Grata hat der 68-Jährige zusammen mit mehreren regionalen Universitäten begleitet. Bis heute beeindruckt ihn der Zusammenhalt in der Gemeinschaft.

In einem Zimmer hängt mitten im Raum eine Hängematte, keine weiteren Möbel sind dort zu sehen.

Das künftige Wohnzimmer. In der Hängematte schlief Yajure, wenn sie am Wochenende an ihrem Haus arbeitete Foto: Katharina Wojczenko

150 Häuser sollen entstehen

In der Guerilla gab es keinen Privatbesitz. Yajure trug ihr Gewehr in der Hand, die Ausrüstung auf dem Rücken: eine Decke, Teller, Löffel, etwas Kleidung. Im Dschungel war sie ständig in Bewegung, verbrachte jede Nacht an einem anderen Ort. „In den Bergen schläft es sich so gut. Du hörst den Fluss, die Vögel.“ 2016 kam sie mit ihrer Einheit in Tierra Grata an – und hörte auf einmal jeden Mucks der Nachbar:innen.

Sieben Jahre später steht sie vor ihrem ersten eigenen Haus. „Ist es nicht schön?“. In Kübeln wachsen ihre geliebten Pflanzen, an der Grundstücksgrenze hat sie Obstbäume gepflanzt: Mango, Orange, Kochbanane, Pflaume. Alle Be­woh­ne­r:in­nen wollten auf ihrem Grundstück einen Gemüsegarten, um sich und ihre Familie zu versorgen. Dazu am Haus eine Veranda, ein klassisches Element in der Karibik­region.

Alle Parzellen sind gleich groß. Von den 500 Quadratmetern entfallen 94 auf das Haus – der Rest ist Garten. Je­de:r Demobilisierte, egal ob Mann oder Frau, hat eine Parzelle. Das gibt den Frauen Sicherheit und Unabhängigkeit. Sollten sie sich von ihrem Partner trennen, haben sie immer noch ihr eigenes Stück Land oder gar Haus. 150 Häuser sollen es werden. 80 stehen schon, in 20 sind die Be­woh­ne­r:in­nen eingezogen. Gleiches Format, unterschiedlicher Anstrich. Der Nachbar baggert gerade das Loch für seine Klärgrube. Hinter den Häusern das Bergpanorama. Am Horizont die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada an der Karibikküste. Und ganz nah die Berge der Serranía de Perijá, ein Vogelparadies. Dahinter liegt Venezuela.

Schnell zu den traditionellen Geschlechterrollen

Yajures Haus hat drei Zimmer: das Elternschlafzimmer und zwei Kinderzimmer, dazu Wohnküche und zwei Badezimmer. „Wir haben die Menschen nicht gefragt, wie sie sich ihr Haus vorstellen – sondern was sie darin machen“, sagt Architekt Carlos Duica. Daraus haben sie zwei Grundrisse entwickelt. Frauen haben den Prozess geprägt. „Das Zuhause ist weiblich. Der Mann verbringt dort die Nacht und ist dann weg“, sagt Duica. Nach dem Ende des gleichberechtigten Guerilla-Lebens haben sich schnell die traditionellen Geschlechterrollen etabliert. Bei der Planung hätten sie darauf beharrt, die Küche rancho zu nennen und nicht cocina. Rancho hieß die Kochstelle im Guerilla-Camp, in der Männer wie Frauen Küchendienst schoben.

Die Häuser sollten an das karibische Klima angepasst sein, erdbebensicher, nachhaltig und so simpel, dass die Be­woh­ne­r:in­nen es selbst bauen und sogar das Material dafür herstellen können. Die Grundlage sind gepresste, stabilisierte Lehmziegel, die sich legoartig ineinander stecken lassen. Stabilisiert, weil sie einen minimalen Zementanteil in der Mischung haben. Der Rest stammt, zumindest theoretisch, aus lokalem Baumaterial – zum Beispiel aus dem Aushub fürs Fundament. Die Ziegel sind hohl, zum Verputzen ist weniger Mörtel nötig. Klimaneutrales Baumaterial, sagt Duica.

Die Presse für ihre Herstellung wurde schon in den 1950er Jahren in Bogotá entwickelt, später kam die Technik auch in anderen Ländern im globalen Süden zum Einsatz. Durch die Produktion vor Ort sollten Arbeitsplätze entstehen, die EU finanzierte unter anderem die Schreinerei und Ziegelei in Tierra Grata. Doch stellte sich die Sache mit den Ziegeln als schwieriger als gedacht heraus: Der Aushub fürs Fundament ergab nicht genug Erde für die Mischung. Einige Demobilisierte heuerten Baufirmen an, aus Zeitgründen. Diese überzeugten sie, mit Zementziegeln zu bauen. Das verschlechtert Klimabilanz und Raumklima, ist für die Firmen aber billiger.

Keine Elternschaft in der Guerilla

Auch Yajure hat ihre Blöcke gekauft. Geschmackssache, sagt sie. Vor zwei Jahren hat sie zusammen mit zwei Arbeitern mit dem Bau begonnen. 40 Millionen Pesos hat sie investiert, rund 9.300 Euro. Sie erhält eine monatliche Grundrente in Höhe von 90 Prozent des Mindestlohns, aktuell rund 270 Euro.

Von ursprünglich 162 Demobilisierten hat sich die Bevölkerung in der Siedlung auf 310 Menschen verdoppelt. Die Jugend stand im Zentrum aller Planungen, weder Kirche noch Polizeistation wird es geben. Bevor die ersten Häuser standen, war der Kinderspielplatz fertig. Das erste vollendete Gemeinschaftsgebäude ist eine Schule. „Wir wollen, dass unsere Kinder in einem besseren Umfeld aufwachsen, als wir es hatten“, sagt Yaquelin Yajure. Mittlerweile leben etwa 100 Kinder in Tierra Grata. Viele wurden hier geboren.

Yajure ist seit 26 Jahren mit Octavio zusammen, sie haben drei Kinder. Yakana, ihre Älteste, brachte sie im Dschungel zur Welt. Nach der Geburt musste sie ihr Baby einem Verwandten übergeben, Elternschaft war in der Guerilla verboten. „Die Trennung war für mich voller Schmerz und Sehnsucht. Aber ich musste es tun, damit sie lebt.“ Als sie vor sieben Jahren nach Tierra Grata kam, holte sie Yakana zu sich, heute ist sie 14. „Ich kam gerade noch rechtzeitig, um meine Tochter aufwachsen zu sehen, die verlorene Zeit aufzuholen. Mein Leben hat sich gewaltig verbessert.“ Im zivilen Leben bekam sie zwei weitere Kinder.

„Das Haus ist ein gigantischer Schritt. Jetzt weiß ich, dass meine Kinder eine Zukunft haben.“ Das Haus gibt Sicherheit und Stabilität. Freude liegt in Yajures Stimme.

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