Regisseur über holländische Kämpferin: „Sie wurde von der Farc benutzt“

Regisseur Marcel Mettelsiefen über seine Recherchen zu Tanja Nijmeijer. Sein neuer Dokumentarfilm porträtiert die niederländische Farc-Kämpferin.

Eine junge Frau lehnt sich lächelnd aus dem geöffneten Beifahrerfenster eines blauen Taxis

Tanja Nijmeijer schloss sich als Studentin der Farc an Foto: Mindjazz Pictures

Als Filmemacher und Journalist berichtet Marcel Mettelsiefen aus Krisengebieten auf der ganzen Welt. In seinem neuen Dokumentarfilm widmet er sich der Holländerin Tanja Nijmeijer, die im Jahr 2000 beschloss, sich der kolumbianischen Guerilla Farc anzuschließen. Doch was motivierte die Studentin, die zu einem Aushängeschild der Organisation werden sollte? „Tanja – Tagebuch einer Guerillera“ erzählt die Geschichte einer Frau und die einer Gesellschaft, die vor einem radikalen Neuanfang stehen.

taz: Herr Mettelsiefen, Sie haben mehrere Jahre an Ihrem Film über die Holländerin Tanja Nijmeijer gearbeitet, deren Werdegang bis heute Rätsel aufgibt. In der Öffentlichkeit kursierten zunächst Bilder, die sie als hoffnungslos naiv darstellten, der Boulevard zeichnete sie bisweilen als kaltblütige Terroristin. Wer ist die Frau, der Sie in Ihren Recherchen begegneten?

Marcel Mettelsiefen: Tanja Nijmeijer ist eine Frau, die stets auf der Suche war und es heute nach wie vor ist. Es ging ihr immer darum, ein politisch würdevolles Leben führen. Dabei hat sie auf sehr harte Weise lernen müssen, dass bestimmte Entscheidungen im Leben schwere Konsequenzen nach sich ziehen.

Der Fotojournalist, Kriegsberichterstatter und Dokumentarfilmer Marcel Mettelsiefen wurde 1978 in München geboren. Er arbeitete unter anderem für AP, dpa, den Stern, Spiegel und Geo. Seit 2011 arbeitet er zudem als Dokumentarfilmer. Er bereiste für seine Projekte Krisengebiete wie Syrien und Afghanistan.

Nijmeijer kommt zunächst als junge, idealistische Studentin nach Kolumbien und engagiert sich politisch im Kampf für Gerechtigkeit und gegen die Ausbeutung. Schließlich schließt sie sich der radikalen Guerilla-Organisation Farc und deren gewalttätigem Kurs an. Wie wurde aus der sozial Engagierten eine per internationalem Haftbefehl Gesuchte?

Es gibt in Lateinamerika, besonders in Kolumbien, Grund genug, sich mit den politischen Umständen unzufrieden zu zeigen. Es gibt eine große soziale Ungerechtigkeit. Meine eigene Mutter ist Lateinamerikanerin. Ich kann daher sehr gut nachvollziehen, was eine 20-Jährige, die in dieses Land kommt, denkt, und dass sie möchte, dass sich etwas verändert. Angesichts der grotesken sozialen Ungerechtigkeit überlegte Tanja Nijmeijer sich: Wie kann ich aktiv werden? Schließlich lernte sie dort eine junge Frau kennen, die ihr erklärte, dass die Lösung für die Ungerechtigkeit der bewaffnete Aufstand ist. Ich würde aber sagen, verschiedene Gründe führten dazu, dass sie allmählich einen Point of no Return überschritt.

Ihr Film schildert die politischen Hintergründe, die zur Entstehung der sozialrevolutionären Farc führten. Sind die einstigen Bürgerkriegsereignisse die Ursache für immer neue Gewalt?

Kolumbien ist ein Land, das in den letzten vierzig Jahren – und auch davor – enorme Gewalt durchlitten hat. Es gibt viele offene Wunden. Fast jeder in der Bevölkerung hat schreckliche Geschichten zu erzählen, von Verwandten, die entführt wurden und nie mehr zurückgekehrt sind, sowie vom Bürgerkrieg. Heute versucht sich Kolumbien zu rekonstruieren und zu versöhnen, dabei brechen jedoch neue Gräben auf. Der Film erzählt von Tanja Nijmeijer, die auf ihrem Lebensweg versucht, Frieden mit sich selbst zu schließen, so wie auch das Land.

Der Film beschönigt das Vorgehen der Farc nicht. Wir erleben, wie die Gruppe Anschläge verübt, die viele Menschenleben kosten. In welcher Rolle wurde Tanja Nijmeijer aktiv?

Sie hatte als weiße Europäerin die perfekte Tarnung, die sie für die Farc wertvoll machte – niemand würde auf die Idee kommen, dass sie sich an illegalen Maßnahmen beteiligt. Gemeinsam mit anderen plante sie kleinere Aktionen. Sie war eine Kraft in der zweiten oder dritten Reihe der Organisation. Brenzlig wurde es für sie, als die Farc 2003 in Bogotá einen Anschlag auf den Nachtclub Nogal beging. Da die Behörden begannen, jeden Stein nach den Beteiligten umzudrehen, stand Nijmeijer plötzlich vor der Entscheidung: Kehre ich zurück in meine Heimat oder gehe ich mit den anderen in den Dschungel und den Untergrund?

Ein ungeheurer Schritt. Der Film ist auch eine Art Psychogramm einer Person, die bereit ist, sich bis zur Selbstaufgabe in den Dienst einer Sache zu stellen. Konnten Sie Nijmeijers Motivation im Laufe Ihrer Filmarbeiten besser nachvollziehen?

„Tanja – Tagebuch einer Guerillera“. Regie: Marcel Mettelsiefen. Deutschland 2023, 84 Min.

Ich glaube schon. Wenn man wie Tanja Nijmeijer ein Gespür für soziale Ungerechtigkeit besitzt, gibt es die verschiedensten Handlungsoptionen. Man muss natürlich nicht gleich zur Waffe greifen. Es stellt sich aber die Frage, ab welchem Punkt es notwendig wird, Widerstand zu leisten. Das ist ein schwieriger, schmaler Grat, den man nur im Einzelfall entscheiden kann. Für die einen war Nijmeijer eine Kämpferin, für die anderen eine Terroristin. Wer aber entscheidet das? Der Film handelt viel von dieser Außensicht und wie Tanja gesehen wurde. Sie hat das in ihrem Tagebuch, das gefunden und veröffentlicht wurde, reflektiert. Darin stellt sie auch die Frage: Darf ich mich da hineinziehen lassen? Und hat das alles überhaupt einen Sinn?

Tanja Nijmeijer räumt ihre Beteiligung an einigen Taten der Farc ein, andere – wie die Beteiligung an Attentaten, bei denen es Tote gab – streitet sie ab. Wie glaubhaft finden Sie ihre Ausführungen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Bild einer Person zu zeichnen. Als Filmemacher verstehe ich mich nicht als Tanja Nijmeijers Richter. Meine Arbeit ist keine polizeiliche Ermittlung. Mit dieser Vorstellung ließe sich keine gemeinsame Arbeit an einem Film leisten. Gleichzeitig wollte ich ihr auch nicht die Möglichkeit bieten, sich reinzuwaschen. In meinen Interviews habe ich Fragen gestellt, und sie hat geantwortet. Sie war aber auch sehr skeptisch mir gegenüber und hatte große Vorbehalte.

Was sicherlich auch mit der media­len Darstellung ihrer Person zu hat.

Um Tanja Nijmeijer ist eine Art Mythos entstanden, befeuert durch die Yellow Press. Der des gutaussehenden Mädchens im Dschungel, das zur Terroristin wurde. Sie ist bis heute von diesen Erfahrungen gezeichnet. Übrigens auch ihre Eltern, die hoch traumatisiert sind.

Welche Rolle nahm Nijmeijer während der Friedensverhandlungen der Farc mit der kolumbianischen Regierung ein?

Sie wurde von der Farc als Aushängeschild benutzt. Sie leitete fast jede Pressekonferenz in dieser Zeit und wurde zur Sprecherin der Organisation. Im Konferenzhotel in Havanna präsentierte sie täglich ihre Positionen und die der Farc. Bei Themen wie Amnestie und Bodenverteilung saß sie mit am Verhandlungstisch. Hier lernte sie auch die bürokratische Seite der Farc kennen, einer sozialistischen Vereinigung, die stur Parteilinien befolgt. Das stand in einem Widerspruch zu Nij­meijers eigensinnigem Charakter.

Die großen Hoffnungen, die viele in Kolumbien in den Friedensprozess gesetzt hatten, haben sich nicht erfüllt.


Die Friedensverhandlungen wurden unterschrieben. Im Anschluss gab es einen Regierungswechsel, der eine Mitte-rechts-Regierung unter Präsident Duque an die Macht brachte. Viele Beschlüsse der Verhandlungen wurden damals gestoppt oder verlangsamt. Duques Amtszeit waren vier verlorene Jahre für Kolumbien. Die Resozialisierung vieler ehemaliger Farc-Kämpfer ist gescheitert. Es gibt heute neue Verteilungskämpfe und leider auch neue bewaffnete Gruppen im Land. Wie etwa den kolumbianischen Ableger des mexikanischen Drogenkartells. Das liegt auch an der Unfähigkeit der aktuellen kolumbianischen Regierung, für die Ärmsten im Land Sorge zu tragen.

Wie sieht Tanja Nijmeijer sich selbst heute? An welchem Punkt steht sie nach den Friedensverhandlungen der Farc mit der kolumbianischen Regie­rung zu einem Zeitpunkt, an dem neue Konflikte das Land heimsuchen?

Sie ist dabei, ihre Vergangenheit und ihre Zeit im Dschungel bei der Farc aufzuarbeiten. Gerade studiert sie Friedens- und Konfliktforschung und plant einen Master zu machen. Sie muss sich zurechtfinden in einer modernen, globalisierten kolumbianischen Gesellschaft, in der sie zweifelsohne stigmatisiert ist. Der Film handelt auch von einem emotionalen Kater, einem schwarzen Loch, das kommt, wenn man so viel auf eine Karte gesetzt und verloren hat. Und davon, sich in dem Moment neu erfinden zu müssen.

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