piwik no script img

Abgeschaffte Verbeamtung in BerlinLehrer geben R2G Nachhilfe in Realität

Berlin ist das einzige Bundesland, das LehrerInnen nicht verbeamtet. Jetzt drohen Hunderte Lehrkräfte damit, davonlaufen.

Angestellten-Status? Schwamm drüber Foto: dpa

BERLIN taz | Erst mal ist es nur eine Drohung, aber das Signal kam an: Anfang der Woche empfing eine kleine Delegation von LehrerInnen Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vor ihrem Amtssitz am Alexan­derplatz. Mitgebracht hatten sie eine Unterschriftenliste: Exakt 847 Namen standen darauf – so viele LehrerInnen kündigen an, Berlin gen andere Bundesländer verlassen zu wollen, sollte sich die rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt nicht zu einer Wiedereinführung der Lehrerverbeamtung durchringen können.

Initiiert hatte die Unterschriftenaktion das Kollegium einer Grundschule im Stadtteil Schöneberg, andere Schulen griffen die Aktion auf. Eigentlich, betonten die Lehrerinnen bei der Übergabe, wollten sie ja gar nicht gehen. „Aber ich will mich verbeamten lassen, damit ich die gleichen Vorteile habe wie meine Kollegen in anderen Bundesländern“, sagte Lehrerin Maren Peters-Choi.

Alle anderen Länder verbeamten ihre PädagogInnen, Berlin nicht. Ein Wettbewerbsnachteil, sagt SPD-Bildungssenatorin Scheeres. Ihre Partei hatte zwar 2004 gemeinsam mit den Linken die Verbeamtung abgeschafft. Doch „nach Abwägung aller Vor- und Nachteile halte ich die Verbeamtung für sinnvoll, um voll ausgebildete Lehrkräfte halten zu können“, erklärt sie jetzt. Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagte der taz: „Wir müssen einfach kapitulieren.“

Damit bringt die Berliner SPD die Koalitionspartner und die Gewerkschaften gegen sich auf. Die Verbeamtung sei „zutiefst unsolidarisch“, sagt Grünen-Fraktionschefin Silke ­Gebel. Immerhin entziehe man eine große Gruppe von GutverdienerInnen dem Solidarsystem. Die Gewerkschaft GEW warnt vor hohen Pensionslasten, die am Ende der Steuerzahler trägt: „Nach etwa 30 Jahren Dienstzeit und 20 Jahren Versorgungszeit kostet die verbeamtete Lehrkraft gegenüber einer tarifbeschäftigten Lehrkraft rund 200.000 Euro mehr“, sagt Tarifexperte Udo Mertens.

„Neue Gerechtigkeitslücke“

Die Linke sieht derweil eine „neue Gerechtigkeitslücke“. Denn von den rund 17.000 angestellten LehrerInnen können nach Schätzungen der GEW mindestens 6.000 nicht verbeamtet werden, weil sie entweder zu alt sind, zu krank oder QuereinsteigerInnen.

Ein starkes Argument ist aber der Fachkräftemangel. 80 Prozent der Berliner ReferendarInnen bewerben sich zwar auch für den Schuldienst in der Hauptstadt. Das heißt aber auch: 20 Prozent gehen weg, der Anteil der Quereinsteigenden wächst mit jeder Einstellungsrunde. Die Senatorin ist unter Druck: Die Verbeamtung ist die letzte Karte, die sie ziehen kann – tut sie es nicht, ist das den Berliner Eltern schwer zu vermitteln.

Wir müssen einfach kapitulieren

Raed Saleh, SPD-Fraktionschef

In Sachsen, lange Zeit auf einem Kurs mit Berlin, wird seit Februar wieder verbeamtet. Das dortige Kultusministerium teilt mit: Auch deshalb sei man wieder „konkurrenzfähig“. Allerdings stehen 124 Versetzungs­anträgen aus anderen Bundesländern (davon immerhin vier aus Berlin) zum Schuljahresstart im August 42 Anträge von LehrerInnen gegenüber, die aus Sachsen wegwollen. Trotz Verbeamtung.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

27 Kommentare

 / 
  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Das Beamtentum gehört insgesamt abgeschafft. Bessere Bezahlung und Bonuszahlungen für gute Leistungen, mehr digitalisieren und dann kann man da mehr Leistung für weniger Geld raus-holen.

  • Wie wäre es Pflegekräfte zu verbeamten? Her damit. Die haben es wenigstens verdient!

    • @Frau Kirschgrün:

      ...oder Kanalarbeiter? ;-)

  • Defintiv eine bessere Lösung. Momentan existieren doch viel zu viele schlechte Pädagogen, die einfach durchgeschleppt werden. Auch der Anreiz sein v.A didaktisches Wissen aktuell zu halten wäre viel größer, weil der Job nicht so oder so sicher ist, wenn man schlecht ist.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    ...und arbeiten nix, blabla.

    Die leben von Steuergeldern und erziehen Ihre Kinder. Schon mal darüber nachgedacht?

    Haben Sie keine Kinder? Na dann, Gottseidank!

  • Dieses Beamten-Bashing ist mir zu billig. Verbeamtete Lehrer können z.B. auf die Vermittlung der im Grundgesetz verankerten Werte verpflichtet werden. Offen agierende Extremisten werden im Schuldienst nicht gebraucht (die können von mir aus bei VW arbeiten). Gleichzeitig werden demokratische Lehrer als Beamte vor politischer Erpressung wie durch die Denunziationsportale der AfD geschützt.

    Lehrer als kommunale Angestellte sind außerdem viel leichter unter Druck zu setzen, wenn z.B. ein Kind einer „besseren Familie“ in der Stadt schulische Probleme hat. Dann spricht eben der Baubürgermeister mal kurz mit seinem Parteifreund, dem Schulbürgermeister, dieser mit dem zuständigen Personaler und der Schulleitung und - schwups - wird die mündliche Note von Baubürgermeister junior um 1 nach oben korrigiert und - natürlich nur ausnahmsweise - höher gewichtet.

    • @Zwieblinger:

      Naja, NOten gehören ohnehin abgeschafft. Es gibt genug empirische Befunde für die pädgogische Unsinnigkiet, Subjektivität und damit sind sie so oder so nciht vergleichbar.

      Nicht verbeamten dafür aller gelich und anständig zu bezahlen, erscheint mir der bessere Weg. Und natürlich die Abschaffung von Noten

  • Die Verbeamtung ist in der Tat unsolidarisch. Solange es keine Bürgerversicherung in Rente und Gesundheit gibt sollte Berlin nicht nachgeben. Immerhin steigt jeder Lehrer ab dem Dienstjahr "0" in der höchsten Erfahrungsstufe auf E 13 ein. Das ist sehr gutes Geld.

    • @My Sharona:

      Sie verwechseln da was. E 13 ist eine Entgeltgruppe, keine Erfahrungsstufe.

      Dann wäre es ja schon mal eine Verbesserung, wenn die Behörden ihren Beamt_innen, die gesetzlich versichert sind, schon mal 50 % der Beiträge zahlen würden.

      Wäre ein Anreiz, sich gesetzlich zu versichern.

      Das will auch ein rot-rot-grüner Senat allerdings auch nicht. So viel Solidarität soll dann doch nicht sein.

      Beihilfe kommt dem Staat billiger.

      • @rero:

        Mutwilliges Missverstehen? Lehrer in Berlin fangen auf E 13/6 an (also "in der höchsten erfahrungsstufe auf E 13"), wofür meine Tochter als Universitätsdozentin 15 Jahre lang arbeiten musste.

  • Meine Frisöse möchte sich auch verbeamten lassen, damit sie „die gleichen Vorteile“ hat wie Lehrer „in anderen Bundesländern“.

    Wird wohl nichts.

    Die sollen doch einfach streiken. So macht man das heute.

    • @TurboPorter:

      Kündigen ist viel effektiver als Streiken.

  • Das eigentliche Problem ist nicht, dass Lehrer Beamte sind, sondern dass die Schule eine Behörde ist. Würden Schulbetriebe wie Unternehmen geführt werden und dem allg. Arbeitsrecht unterliegen, hätten Schulen und Lehrer Vertragsfreiheit und niemand bräuchte Mitarbeiter mit Treueeid. Solange aber Schulen als Dienstherren agieren, ist es verständlich dass die Bediensteten nicht nur Pflichten sondern auch Privilegien wünschen. In der CH hat man das besser gelöst. Dort sind Schulen kommunale Arbeitgeber. Der Lehrer kann jederzeit kündigen und den AG wechseln, er kann aber auch entlassen werden.

    • @Carine Salazar:

      "Der Lehrer kann jederzeit kündigen und den AG wechseln, er kann aber auch entlassen werden." - Sind beamtinnen Sklaven, die das nicht können?

    • @Carine Salazar:

      Seit wann sind Schulen Behörden? Stehen unter Zeugnissen jetzt Rechtsbelehrungen?

      • @Chutriella:

        Was glauben Sie denn, warum Sie gegen ein Zeugnis vor dem Verwaltungsgericht klagen können?

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Warum LehrerInnen verbeamtet werden sollen (müssen) erschließt sich mir nicht. Ganz im Gegenteil. Tarifierte Angestelltenverhältnisse begründen u. a. die Chance, gehaltlich zwischen High- und Low-Performern zu unterscheiden. Das wäre ein klarer Standortvorteil: Sehr gute und gute LehrerInnen verdienen sehr gut und gut. Schlechte LehrerInnen „wandern“ - vermutlich in die Verbeamtung.

    • @97088 (Profil gelöscht):

      Wer soll das bewerten, ob ein Beamter gut ist?

      • @JM83:

        Die Vorgesetzten bewerten das bei den Jahreszielgesprächen. Machen Millionen Arbeitnehmer so.

        • @TurboPorter:

          Wie bewertet man dann die Lehrkraft? Der Schulleiter sieht die Lehrkraft im Unterricht höchstens 2 mal im Jahr.

  • Ich verstehe den Reiz der Verbeamtung. Hätte auch gerne das viele Geld, die Absicherung der Arbeit und die fette, nicht nachzuvollziehende Pension.



    Ich finde es unverständlich, dass alle darüber hinweg sehen. Eine Rente nach 45 Arbeitsjahren im Bereich Ausbildung (ähnliche Arbeit, wie Lehrer) ergibt einen Fliegenschiss an Geld. Jedes fehlende Jahr durch Pflege von Kindern und Angehörigen schmälert es zusetzlich. Und dann wird die Pension nach den letzten 2 Jahren berechnet. Ein Faustschlag in das Gesicht normaler Arbeitnehmer. Aber wie soll sich daran was ändern, wenn die Profiteure des Systems das System bestimmen. Gerne kann jeder Staatsdiener Beamter werden, doch bitte belubt fair, wenn alle nicht mehr arbeiten.

    • @Bella Dresden:

      Molto bene detto, Bella

  • Die Folgekosten der Verbeamtungen trägt dann wieder die nächste Generation Steuerzahler und die Einwohner Berlins.



    Es ist ein Unding Lehrer immer noch zu verbeamten, es gibt dafür keinen sachlichen Grund, es ist ein rein historisches Privileg. Aber über die Zeit wurden bei den Beamten alle Nachteile geschliffen und nur die Vorteile behalten.



    Was hier anzuprangern ist, das ist das Verhalten aller anderen Bundesländer, nicht das Berlins.



    Alternativ zur Abschaffung des Beamtenstaus könnte man ihn durch mehr Gerechtigkeit unattraktiver machen, d.h. Beamte zahlen zu den selben Konditionen in die Rentenkasse wie normale Angestellte (für die selbe Rente) und sie erhalten keinen Zuschuss mehr für die private Krankenversorgung, sindern werden ganz normal gesetzlich versichert.



    Dann würde plötzlich keiner mehr sein Herz für den Staatsdienst entdecken...



    Es ist reine Privilegienschinderei auf Kosten aller anderen Bürger.



    Beamte ja, aber nur für hoheitliche Aufgaben in Kernbereichen wie Richter und Polizei. Lehrer waren vielleicht mal in der Kaiserzeit sinnvoll verbeamtet (obwohl...), aber ganz sicher nicht heute.



    Geradesogut könnte man das Gesundheitssystem verbeamten, oder den öpnv - oder, noch naheliegender, den ÖR, der sich schon jetzt ganz staatstragend gibt.

    • @hup:

      "Es ist ein Unding Lehrer immer noch zu verbeamten, es gibt dafür keinen sachlichen Grund, es ist ein rein historisches Privileg. Aber über die Zeit wurden bei den Beamten alle Nachteile geschliffen und nur die Vorteile behalten."

      Mit pauschalen Aussagen sollte man sich zurückhalten. An einer teuren privaten Versicherung kann ich keinen Vorteil erkennen. Zwar gibt es noch die Beihilfe, aber die wird auch stetig reduziert.

      Sicher haben da Beamte immernoch Vorteile, über deren Rechtfertigung zu streiten ist.

      Aber gerade Lehrer als Beispiel heranzunehmen, die trotz aller Beamtenvorteile angesichts ihrer Ausbildung nun wirklich nicht gut bezahlt sind, ist eher ein schlechter Scherz.

      Und die Geschichte, dass Beamte zu teuer seien und deswegen eine Anstellung besser wäre, ist auch eine Milchmädchenrechnung.

      Es sind die Beamtenvorteile, die den Job attraktiv machen. Fallen diese weg, müssten sie durch ein spaßeshalber angemessenes Gehalt ausgeglichen werden, was gleichermaßen zu Lasten des Steuerzahlers geht.

  • Wenn es den Gegnern wirklich nur um das Sozialsystem oder das Angestelltenverhältnis an sich ginge, dann könnten die finanziellen Nachteile durch eine zusätzliche Betriebsrente ganz einfach ausgeglichen werden. Die LehrerInnen erhalten die Differenz dann durch eine Aufstockungsausgleichszahlung. Um die Belastungen für die zukünftigen Steuerzahler gering zu halten, müsste eine kapitalgedeckte Pensionskasse eingerichtet werden.

  • NICHT nachgeben!

    Es betrifft hier nur Leerkräfte die nicht verstanden haben, dass die Verbeamtung nicht dazu dient, ein lebenslang garantierter Arbeitsplatz auch bei fehlende Leistung zu haben.

    • 9G
      91867 (Profil gelöscht)
      @Olav van Gerven:

      Zustimmung! Ich bin als Selbstständiger immer wieder aufs Neue fassungslos darüber, mit welcher Arbeitnehmeranspruchshaltung Beamte unterwegs sind. Die leben von Steuergeldern, die meinesgleichen erst einmal reinverdienen müssen.