Abbauprodukte der Nahrung: Biomarker in Blut und Urin
Verzehrstudien sind ungenau. Blut- und Urintests sollen die Ernährungsforschung verbessern. Abbau-Produkte im Körper zeigen, was es zu essen gab.
Ein Grund dafür: Lebensmittel sind hochkomplexe chemische Gebilde, deren Wirkung im Körper nicht vollends verstanden ist. Zudem spielen die Erbanlagen mit, wenn es darum geht, wie jeder Einzelne Nahrung verstoffwechselt. Ein dritter Grund sind die wenig verlässlichen Ernährungsbefragungen, die als Basis für epidemiologische Studien verwendet werden.
Denn die Menschen lassen sich nicht gern auf den Teller schauen. „Essen wird als Privatangelegenheit angesehen“, erklärt Heiner Boeing, Epidemiologe am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (Dife) das Dilemma seiner Zunft. Die Befragten schönen darum ihren Speiseplan, geben etwa an, lediglich eine Scheibe Wurst, anstatt zwei gegessen zu haben.
Vor allem bei ungesunden Speisen wie Süßwaren, Chips und Alkohol sollen schätzungsweise 60 Prozent der Befragten nicht die Wahrheit sagen. Oder die Studienteilnehmer verändern ihre Gewohnheiten, wenn sie jede Mahlzeit protokollieren müssen. Diese Kandidaten zügeln sich dann beim Alkohol oder verzichten auf ihre tägliche Sahnetorte. Wird nach dem vergangenen Verzehr etwa im sogenannten 24-Stunden-Recall gefragt, spielt auch das Gedächtnis des Probanden eine Rolle.
Die Fehlerquote bei solchen Ernährungsbefragungen ist entsprechend hoch. Sie kann bei bis zu 50 Prozent liegen. Das hängt auch davon ab, wen man befragt. Beispielsweise tricksen junge Menschen und Frauen eher als Männer und Senioren; Übergewichtige eher als Menschen, die sich mit ihrer Figur wohlfühlen. Zudem bereiten unregelmäßige und abwechslungsreiche Mahlzeiten Probleme. Schwierig ist es auch, Kinder oder alte Menschen zu befragen. Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen lassen sich häufig gar nicht erst als Studienteilnehmer gewinnen.
Schummeln wird schwierig
Zumindest der Schummelei könnte die sogenannte Metabolomik einen Riegel vorschieben. Dabei werden Stoffwechselabbauprodukte und deren Menge in Blut oder Urin mithilfe der Massenspektroskopie erfasst. Forscher des Imperial College London haben aktuell einen Urintest entwickelt, der die Ernährungsweise der Probanden erstaunlich gut wiedergeben konnte, denn bestimmte Metabolite entstehen nur beim Verzehr von bestimmten Lebensmitteln.
Dabei erhielten 19 gesunde Probanden abwechselnd vier verschiedene Diäten, abgestuft von „sehr gesund“ bis „ungesund“. Diese mussten die Teilnehmer in der Klinik einnehmen, damit die Forscher sicher gehen konnten, was tatsächlich gegessen wurde. Anschließend mussten die Probanden über 24 Stunden Urinproben abgeben. Das Ergebnis: Die Forscher konnten sehr genau im Urin ablesen, welche der vier Diäten ein Proband verzehrt hatte.
So deutete der Biomarker Hippursäure auf eine obst- und gemüsereiche Ernährung hin, Dimethylamin und Trimethylamin (TMAO) hatten die Fischfans vermehrt im Urin. Auch für Kohlgemüse, fetthaltigen Fisch und Hühnchen fanden die Forscher entsprechende Abbauprodukte. In einem weiteren Test mit fast 300 gesunden Probanden kontrollierten sie ihre Ergebnisse.
In Zukunft könnte man also aufwändige, teure und obendrein unzuverlässige Befragungen durch solche billigeren Urintests ersetzen. „Wir können zwar noch nicht sagen, ob eine Person 15 Chips und 2 Würstchen gegessen hat“, sagt die Studienautorin Isabel Garcia-Perez. Allerdings könnte man den Test weiter verfeinern.
Um die Gesamtheit der menschlichen Metabolite zu erfassen, speisen Forscher seit 2007 weltweit ihre Funde in die „Human Metabolome Database“ ein. Bei den Metaboliten handelt es sich nicht nur um Stoffwechselabbauprodukte, auch Substanzen, die Zellen oder Mikroben bilden, gehören dazu, von verschiedenartigsten Zuckermolekülen über Peptide oder Kofaktoren ist alles dabei. TMAO, das unter anderem auf Fischverzehr hinweist, kann etwa auch Darmbakterien aus Fleisch bilden.
Zentrale Datenbank in Kanada
In der kanadischen Datenbank sind derzeit 42.000 Stoffwechselprodukte katalogisiert – es könnten jedoch viel mehr sein. Allein in Lebensmitteln gibt es mehr als 25.000 Substanzen, die wiederum abgebaut werden. Letztes Jahr fand Tess Pallister vom King’s College in London 73 neue Stoffe, mit denen man etwa auf einen Speiseplan mit rotem Fleisch oder Pilzen schließen konnte.
Auch Forscher der University of Oxford konnten anhand von Blutproben eindeutig Mischköstler von Veganern unterscheiden, da bei Pflanzenköstlern kaum Phospho- und Sphingolipide im Blut schwimmen. Das macht auch biochemisch Sinn, schließlich entstehen diese Metabolite nur bei der Verdauung von Fleisch und Eiern.
In einigen großen Ernährungsstudien wie der „European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition“ (Epic) wird die Metabolomik bereits angewandt, um Angaben der Teilnehmer zu überprüfen und so Aussagen über gesunde Ernährung zu verbessern. Zwar läuft die Studie bereits seit Ende der 1980er Jahre, die Forscher haben jedoch von 360.000 Teilnehmern Blutproben genommen und eingelagert. Heute können sie mit den neuen Techniken auf Biomarker gescannt werden. „Dies wird uns helfen, Krankheitsprozesse besser zu verstehen und Präventionsmaßnahmen zu entwickeln“, sagt Boeing, der die Dife-Studie leitet.
Noch viele Fragen
„Bislang gibt es jedoch noch viele offene Fragen“, räumt Lars Ove Dragsted, Ernährungswissenschaftler an der Universität Kopenhagen, ein. Etwa: Gibt es andere, vielleicht seltener verzehrte Lebensmittel, die die gleichen Metabolite kreieren und damit die Ergebnisse verzerren? Geben alle Varianten eines Lebensmittels die gleiche Biomarker-Antwort? Wann ist die beste Tageszeit, die Blutprobe zu sammeln? Wie soll man Fertigprodukte erkennen?
Das Metabolom eines Menschen ist obendrein nicht nur abhängig vom Speiseplan, auch Gene beeinflussen, in welche Einzelteile ein Apfel letztlich zerlegt wird. Hier muss man also in verschiedenen Populationen prüfen, welche Biomarker möglichst unabhängig vom Genom entstehen.
Bis man alle Puzzleteile zusammengefügt hat und Speisepläne möglichst genau überprüfen kann, wird also noch einige Zeit vergehen. Dragsted schätzt, dass es noch rund fünf bis zehn Jahre dauern wird. Das Britische Forscherteam um Garcia-Perez ist ambitionierter: Sie glauben ihre Urintests könnten bereits in zwei Jahren zur Verfügung stehen.
Derweil wird mit anderen Methoden versucht, Verzehrstudien zu verbessern. Über entsprechende Apps können Teilnehmer etwa ihre Ernährung genauer erfassen. Anhand von Fotos können Forscher dann Mengen besser abschätzen. Ob die Probanden dann wirklich nur diese Portion gegessen haben, ist damit natürlich immer noch nicht gesagt.
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