Konsum von Zuckerersatz Isoglucose: Süß, billig, ungesund
Ab Oktober hat Zucker in Europa eine neue Konkurrenz: billigen Isoglucosesirup. Doch der neue Ersatzstoff gilt als noch problematischer als Zucker.
Vor einem warnt Udo Kienle, Agrarwissenschaftler an der Universtität Hohenheim, besonders: Isoglucose. „Dieser billige fructosehaltige Sirup aus Mais ist besonders schädlich, er macht fett.“ Trotzdem komme er nun „massenweise auf den europäischen Markt“.
Kienle forscht seit mehr als dreißig Jahren zu Süßungsmitteln. Derzeit produziere die Welt im Jahr rund 160 Millionen Tonnen Zucker im Jahr aus Zuckerrohr und Zuckerrüben, sagt er. Weltweit sei dieser Markt schätzungsweise 75 Milliarden Dollar schwer. Schlechte Ernten und schwankende Preise hätten den Produzenten zwar immer wieder zu schaffen gemacht. Bislang sei der Verbrauch aber Jahr für Jahr um bis zu 4 Prozent gestiegen. Denn die Weltbevölkerung wächst und eine aufstrebende Mittelschicht etwa in Chinas oder Afrikas Städten kurbelt den Absatz an.
Doch der Zucker ist in Verruf geraten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat erst Ende des vergangenen Jahres alle Regierungen der Welt aufgerufen, Steuern auf zuckrige Getränke zu erheben. Die gelten als besonders bedenklich, weil sie nicht nur viel Zucker enthalten, sondern auch nicht zu einem Sättigungsgefühl führen. So trinkt man sie – und die zusätzlichen Kalorien – einfach nebenbei.
In Deutschland ist eine solche Abgabe zwar nicht geplant. In Mexiko, wo die Bevölkerung massiv von Übergewicht betroffen ist, gibt es aber schon seit dem Jahr 2014 eine zehnprozentige Steuer auf zuckerhaltige Getränke. Der Umsatz der Produkte sank innerhalb eines Jahres um 12 Prozent. Auch Frankreich hat eine derartige, allerdings geringere Steuer.
Gleiche Süße, weniger Zucker?
Udo Kienle, Agrarwissenschaftler
Die Industrie arbeitet längst an ihren Rezepturen. Der größte Lebensmittelhersteller der Welt, Nestlé, hat von 2014 bis Ende 2016 weltweit „die Menge an zugesetztem Zucker um 39.000 Tonnen beziehungsweise 8 Prozent gemindert“, sagt eine Sprecherin. Die Forscher des Konzerns wollen einen Weg gefunden haben, die Struktur von Zucker so zu verändern, dass er sich schneller im Mund auflöst. Heißt: Für gleiche Süße soll weniger Zucker nötig sein. In jedem Fall setzen die Nahrungsmittelkonzerne aber auch auf süße Ersatzstoffe. Den meisten Verbrauchern sagen diese wenig. Auf der Zutatenliste stehen Aspartam, Erythrit oder Xylitol. Und Isoglucose.
Isoglucose ist bis zu 40 Prozent billiger als andere Süßungsmittel. Die bedeutendsten Produzenten sitzen in den USA. Die europaweit 300.000 Hersteller von Lebensmitteln und Getränken konnten den Isoglucosesirup bislang nur in kleinen Mengen einsetzen. Der Handel war zum Schutz der deutschen Rübenbauern stark beschränkt. Doch Brüssel hat den Zuckermarkt neu geregelt. Ab diesem Oktober darf der Sirup frei gehandelt werden.
„Experten, unter anderem der EU-Kommission, schätzen, dass bis zu 40 Prozent des verbrauchten Zuckers in Europa durch Isoglucose ersetzt werden“, sagt Wissenschaftler Kienle. Das gesundheitliche Risiko erklärt er so: Der flüssige Sirup enthalte einen hohen Fruchtzucker-, also Fructoseanteil, der anders als Saccharose in der Leber in Form von Fett gespeichert wird. Die Folge könne darum eine Fettleber sein. Zugleich werde die Insulinwirkung gehemmt, was Typ-2-Diabetes hervorrufen könne.
„Zucker versteckt sich hinter vielen Namen und ist für viele Verbraucher nicht erkennbar“, sagt Armin Valet, Experte für Lebensmittelkennzeichnung bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Das Problem: Hersteller müssen auf ihren verpackten Lebensmitteln zwar den Gesamtgehalt an Zucker angeben. Mischen sie aber klassischen Haushaltszucker mit anderen Süßmachern, müssen sie deren Anteil in der Nährwerttabelle nicht separat benennen. So bleibt unklar, wie viel Isoglucose im Produkt steckt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“