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75 Jahre der SpiegelAuf dem Klo liegt kein Magazin mehr

Anlässlich zum Spiegel – Jubiläum fragt sich unser Autor, was eigentlich an all der Kritik dran ist. Und was in der Vergangenheit so los war.

Eine Kraft, die noch gebraucht wird: Das Spiegel-Verlagshaus in Hamburg Foto: Christian Charisius/dpa

H aben Sie’s gemerkt? Der Spiegel wird 75. Prompt rätselt tagesschau.de „Wie viel Kraft steckt noch im Spiegel“? Schließlich war da die Relotius-Affäre, bei der sich ein junger Starreporter als plumper Fälscher entpuppte.

Zudem macht die digitale Revolution auch dem Spiegel zu schaffen. „War der Spiegel immer das Magazin, das auf dem Klo lag, oder der Stern?“, fragt die Mitbewohnerin. Denn da liegt jetzt nichts mehr. Wir lesen nur noch im Netz. Die Spiegel-Redaktion macht mit spiegel.de da zwar eines der erfolgreichsten journalistischen Angebote, muss aber trotzdem sparen.

Allen Jubiläums-Unkenrufen zum Trotz hat der Spiegel natürlich noch Kraft. Und auch wenn Relotius noch immer am Selbstbewusstsein nagt, hat das früher gern mal als „Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnete Blatt in seiner Vergangenheit noch viel mehr Mist verzapft. Ganzen Kohorten aus Gestapo und Reichssicherheitshauptamt bot der Spiegel in den 50er Jahren Unterschlupf nebst Einkommen. Gleich zwei Spiegel-Ressorts wurden von ehemaligen SS-Offizieren geleitet.

Zum 75sten will der Spiegel nun sein Image als abgeschottet-elitärer Haufen, in dessen Kantine noch am Tisch bedient wird, abstreifen. Deshalb machen sich Melanie Amann und Steffen Klusmann von der Chefredaktion auf und treffen prominente Kri­ti­ke­r*in­nen des Blattes von Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) bis zu Fast-mal-selbst-Spiegel-Redakteurin Alice Schwarzer. Das Ganze ist als gut 20-minütiges Video auf der Spiegel-Website ganz lustig anzusehen, aber seltsam blutleer. Richtig zur Sache geht es nicht.

Die Meinungsverdreher drehen weiter auf

Und alle diese Kri­ti­ke­r*in­nen sind selbst Elite. Mit dabei sind auch Gregor Gysi, ein ehemaliger Siemens-Boss und Promi-Anwalt Matthias Prinz. Die taz hatte zu ihrem 25. Geburtstag ihre „Lieblingsfeinde“ immerhin eingeladen, das Blatt für einen Tag unter Führung von Damals-Bild-Chef Kai Diekmann komplett zu übernehmen.

Natürlich ist der Spiegel wie die taz zuweilen tendenziös. Der Spiegel zum Beispiel gerne mal, wenn es um die Öffentlich-Rechtlichen geht. Da ist er mit Spiegel TV ja auch Konkurrenz. Aber er steht fest auf dem Boden der Demokratie, die ihn und seine Kraft auch weiter verdammt braucht. Denn die Fakten- und Meinungsverdreher, die Querdenkenden und andere, die sich Zustände à la Donald Trump wünschen, drehen weiter auf.

Und finden willige Handlanger in bestimmten Medien. „Wie unsere Freiheit immer mehr in Gefahr gerät“ titelte Bild am Mittwoch riesengroß auf der ersten Seite und stänkerte gegen das RKI und die Corona-Beschränkungen. Die Freiheit ist aber gar nicht in Gefahr. Durch solche Meinungsmache aber sehr wohl unsere Demokratie. Worauf auch der Spiegel immer mal wieder hinweist.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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6 Kommentare

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  • Richtig scheint mir, sog Fall "Relotius" geht weit über dessen Person hinaus mit dem Spiegel als Herr personenbezogener Dossier Archive im Hintergund, Recherchen mehr im Gewande von Mutmaßungen mit bestimmt wahrem Kern über diesen hinaus dem Entertainment verschrieben personalisiert skandalisiert statt systemisch aufscheinen zu lassen, unter Preisgabe alle Aspekte eines Skandals aufgedeckt erfasst zu drucken, um einerseits absehbare Rechtstreitigkeiten, soweit möglich, zu vermeiden, andererseits Material für weitere Spiegel Titelgeschichte in Reserve zu halten als Munition für Rudolf Augsteins (1923-2002) Sturmgeschütz der Demokratie gegen innere, äußere Feinde?



    Der Spiegel war zumindest bei politischen Kommentaren von Anfang an 1947 doppelgleisig unterwegs, wofür die Rudolf Augstein alias Pseudonym Figuren "Jens Daniel" national gesamtdeutsch einheitlich Kontra Konrad Adenauer (1876-1967) Regierung, "Moritz Pfeil" liberal im Zweifel links Pro Regieurng standen. Was damals verdeckt doppelgleisig geschah, geschieht heute kenntlich und vor allem mehrgleisig mit Klarnamen

    • @Joachim Petrick:

      Der Herr Au Tor - ist halt*68 - als ab 1960 - 1975 Montag nicht mehr Spiegeltag war - also ganze sieben Jahre alter Dreikäsehoch - wa. - servíce =>



      Seien wir also nachsichtig & lesen lieber Ulrich Gutmair “ Nicht sagen, was war“



      taz.de/Der-Spiegel...5823819&s=Gutmair/



      Gern&Dannichfür - 🙀🥳 -

      kurz - Die Ahnungslosen - aber immer auf dicke Hose - sterben halt nicht aus •

      • @Lowandorder:

        Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - wirft ein:

        “ "Auf dem Klo liegt kein Magazin mehr"







        Warten wir es ab, wenn das Toilttenpapier wieder wird was knapp!“



        Öh - Der alte graue schonn - aber längst Hochglanz??



        “Da fährste dann - Aber voll & ganz!



        Und mit Schwung! - Hinein in deinen Dung!“

        Na Mahlzeit

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    So gesehen kann ja jegliche Kritik als "Meinungsverdrehung" angesehen werden. Und dann brauchts ja auch keine Argumente mehr - wie praktisch!

  • Die letzten drei Sätze kann man gar nicht oft genug schreiben. Nur reichen tut es auch nicht. Der Spiegel hat einfach an Bedeutung verloren. Hauptgrund ist, dass er keine Position mehr bezieht, allenfalls noch Positionen. Wer sich zum Beispiel einen Blome als Kolumnisten hält, der ist nicht nur nicht links, sondern ganz offensichtlich finster entschlossen, etwas für alle möglichen Meinungen anzubieten. Man kann das natürlich Vielfalt nennen, es ist aber doch eher Beliebigkeit. Diskursbestimmend wird man so jedenfalls nicht und investigativ ist der Spiegel auch höchstens noch auf gleicher Höhe mit anderen Recherchenetzwerken. Relotius sollte man nicht überschätzen, jefenfalls wäre ein Relotius kein Problem, wenn er kein Symptom wäre, ein Symptom nämlich von Anbiederung an den Zeitgeschmack und Depolitisierung durch Emotionalisierung. Richtig schlimm ist beim Spiegel diese ganze grundsätzliche Tendenz zum Situativen, Pseudo- Strategischen, Personalisierten. Das ist billig, aber auf die Dauer einfach langweilig und es ist auch letztendlich destruktiv und somit nicht gerade förderlich für unsere Demokratie.

  • ... stimmt schon alles und ich lese ihn auch immer noch täglich. Gleichwohl: Das journalistische Niveau war früher, wenn auch immer schon ziemlich selektiv in der Auswahl der Informationen zugunsten der "Meinung" deutlich höher. Es gibt immer noch Highlights, die das Lesen wieder lohnend machen, aber generell ist der Spiegel zur deutschen Ausgabe der Washington Post verflacht: Tendenzjournalismus, der sich nicht dazu bekennt.