4. Jahrestag der ägyptischen Revolution: Tote statt Party
Vier Jahre nach der ägyptischen Revolution ist vom Geist jener Tage wenig übrig: Demonstrationen sind verboten und 23 Menschen wurden getötet.
KAIRO | Revolutionsjahrestage sind ein guter Indikator dafür, wie es um ein Land und die Dinge steht, für die die Menschen einst auf die Straße gegangen sind. In Ägypten ist dies der 25. Januar, der Tag, an dem 2011 der Aufstand gegen Präsident Husni Mubarak begann.
Doch anders als bei den bisherigen Jahrestagen blieb der Tahrirplatz dieses Mal gespenstisch leer. Jeder, der sich ihm näherte, riskierte, verhaftet zu werden. Die Militärs hatten den symbolträchtigen Ort abgesperrt und ein Demonstrationsverbot verhängt. Um das zu unterstreichen, wurde am Vorabend die Tahrir-Aktivistin Schaima al-Sabbagh nur wenige hundert Meter entfernt erschossen.
Sie hatte mit einigen Dutzend Anhängern einer kleinen sozialistischen Partei Blumen und Kränze auf dem Platz niederlegen wollen, um der 840 Toten des Aufstands zu gedenken. Nach wenigen Minuten wurde die kleine Ansammlung von der Polizei mit Tränengas und Schrotgewehren angegriffen. Laut Bericht der Gerichtsmedizin wurde Schaimas Herz und Lunge durch Schrotmunition aufgerissen.
Am Tag zuvor wurde die 17-jährige Sondos Reda Abu Bakr bei einem Anti-Putsch-Marsch der Muslimbruderschaft in Alexandria von der Polizei erschossen. Am Jahrestag selbst kam es vor allem im Kairoer Armenviertel Matariya zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Muslimbrüder und der Polizei. Insgesamt 23 Menschen wurden in den vergangenen Tagen getötet, wie das Gesundheitsministerium am Montag bekanntgab. Weitere 97 seien verletzt worden. „Vier Jahre nach der Revolution tötet die Polizei immer noch regelmäßig Demonstranten,“ schlussfolgere Sarah Leah Whitson vom Human Righst Watch.
Aber vielleicht am auffälligsten war die Leere der Straßen in der 20-Millionen-Stadt Kairo. Die meisten Menschen blieben zu Hause, aus Angst oder aus Indifferenz gegenüber dem Regime und seinen Gegnern.
Gigantischer Sternmarsch
Am ersten Jahrestag nach dem Sturz Mubaraks hatte auf dem Tahrirplatz Partystimmung geherrscht. Hunderttausende Ägypter waren dort zusammengekommen und gelobten, die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen, auch wenn der oberste Militärrat damals bereits die Geschicke lenkte. Die Zusammenkunft auf dem Tahrir war in Form eines gigantischen Sternmarschs mit fünfundzwanzig Treffpunkten organisiert. Bis zum Nachmittag waren noch längst nicht alle Demonstranten auf dem Tahrir angekommen.
Es wurden Parolen gegen den Militärrat gerufen, aber es herrschte eine friedliche Atmosphäre, mit Alten und Jungen, Männern und Frauen, Armen und Bessergestellten, zahlreichen Familien mit Kindern. Im gesamten Umkreis des Tahrir-Platzes war keine Polizei zu sehen.
Ein Jahr später gab es wieder eine große Demonstration, aber die Lage war angespannt. Der Muslimbruder Mohammed Mursi war bereits Präsident. Es kam landesweit zu Auseinandersetzungen. Büros der Muslimbrüder wurden, meist von maskierten jungen Männern, angegriffen. Jugendliche lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei vor dem Innenministerium in unmittelbarer Nachbarschaft des Tahrir. Es war ein Tag, der Unzufriedenheit auf allen Seiten hinterließ und Sorgen, ob die Revolution im Chaos enden würde.
Sisi mit Schlachtermesser
Am dritten Jahrestag veranstalteten die Anhänger des damaligen Militärchefs und Präsidenten in spe, Abdel Fattah al-Sisi, auf dem Tahrir enthusiastisch eine große Siegesfeier und hielten Poster mit Sisi als Löwen hoch. Sisi hatte ein halbes Jahr zuvor durch einen von weiten Teilen des Volkes unterstützten Putsch Mursi entmachtet. Auf einem großen Banner war Sisi mit einem Schlachtermesser zu sehen, darunter Mursi als Schaf, mit einer ganzen Reihe anderer führender Muslimbrüder.
„Exekutiert die Muslimbrüder“ und „Sisi ist mein Präsident“, skandierte die Menge. Ein Polizeioffizier stand auf einer Bühne auf dem Tahrir und sang vor Tausenden fahnenschwingender Ägypter die Nationalhymne. Damit war die Geschichte der ägyptischen Revolution offiziell umgeschrieben. Das Innenministerium, das in den 18 Tagen des Aufstands zahlreiche der 840 Toten zu verantworten hatte, war nicht nur rehabilitiert, sondern beanspruchte die Revolution nun für sich.
Doch ein anderer Teil Ägyptens demonstrierte an diesem Tag weiter gegen das Regime. „Was auf dem Tahrir gerade passiert, ist, dass sie einen neuen Pharao schaffen, das ist das Letzte, was unser Land braucht“, sagte damals der Aktivist Khaled Daoud bei einem Protest vor dem Journalistenverband, der kurz darauf von der Polizei aufgelöst worden war.
Dabei wurde El Sayed Wezza erschossen, ein junger säkularer Tahrir-Aktivist, der Monate zuvor noch Unterschriften für die Tamarud, die Rebellenbewegung, gesammelt hatte, um Präsident Mursi aufzufordern, vorgezogene Neuwahlen abzuhalten. Nun wollte Wezza gegen die Militärführung demonstrieren, die ihren Putsch mit Tamarud gerechtfertigt hatte - der Versuch eines Dissens, den er mit seinem Leben bezahlte.
Söhne Mubaraks freigelassen
Es waren aber vor allem die zahlreichen Gegendemonstrationen der Muslimbrüder, die zahlreiche Opfer forderten. 49 Menschen kamen am dritten Revolutionsjahrestag ums Leben, die meisten in den Kairoer Armenviertel Alf Maskin und Matariya, als als Hochburgen der Muslimbrüder gelten.
Vier Jahre nach der Revolution ist von deren Geist nicht mehr viel übrig, vielleicht abgesehen von den wenigen Menschen wie Schaima, die es immer noch wagen, dafür auf die Straße zu gehen. Symbolisch ist auch, dass am Morgen nach dem Jahrestag des Sturzes von Mubarak dessen einst wegen Korruption verurteilte Söhne Gamal und Alaa Mubarak aus dem Gefängnis entlassen wurden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!