275.-285. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Das geheime Terrortagebuch (I)
Zum Abschluss die Krönung der Beweisaufnahme: die gesammelten SMS-Nachrichten aus dem Kongo an FDLR-Präsident Murwanashyaka.
STUTTGART taz | „Schöne Grüße“, beginnt die SMS-Nachricht, die am Ostermontag des Jahres 2009 aus dem Kongo nach Deutschland geht. „Unsere Soldaten haben in Mianga und in Cyanyundo angegriffen. Es gibt viele Verluste auf der Seite des Feindes … Gott ist auf der Seite unserer Organisation.“
Absender der Textnachricht am Morgen des 13. April 2009 ist Wilson Iratageka, Vize-Exekutivsekretär der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), die im Osten der Demokratischen Republik Kongo Krieg führt. Empfänger ist der in Mannheim lebende Präsident der FDLR, Ignace Murwanashyaka.
Wegen seiner mutmaßlichen Verantwortung für Kriegsverbrechen der FDLR im Kongo steht Murwanashyaka seit 2011 zusammen mit seinem Stellvertreter Straton Musoni in Stuttgart vor Gericht – angeklagt in Deutschland, weil sie hier leben und ihre Organisation von hier aus führten.
Der FDLR-Angriff in Mianga ist einer der wichtigsten Anklagepunkte: FDLR-Milizionäre, so die Bundesanwälte, hätten am 12. April 2009 Miangas Ortsvorsteher in seinem Bett enthauptet und danach „mindestens 41 weitere Zivilpersonen“ getötet, „bevor sie das Dorf schließlich völlig niederbrannten“.
Die SMS an Murwanashyaka vom 13. April erwähnt solche Verbrechen nicht. Aber sie beweist, wie unzählige andere auch, dass der FDLR-Präsident fortlaufend über die Aktivitäten seiner Miliz im Kongo informiert wurde.
193 Seiten SMS-Nachrichten
Sie steht in einer Datei von 193 Seiten gespeicherter Textnachrichten aus dem Kongo, die sich auf Murwanashyakas Computer befand, als er am 17. November 2009 in Mannheim verhaftet wurde. Jetzt wurden all diese Botschaften, die von September 2006 bis Oktober 2009 reichen, vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgericht Stuttgart verlesen – als eines der letzten Beweisstücke nach fast vier Jahren Prozess.
Die Verlesung der SMS an Murwanashyaka endete diese Woche. Nächste Woche kommen Murwanashyakas Antworten dran. Auch das dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen.
Der Vorsitzende Richter in Stuttgart, Jürgen Hettich, erklärte am 23. Februar, die SMS-Verlesungen seien praktisch der Abschluss der Beweisaufnahme im FDLR-Prozess. Danach bräuchte man noch einen Tag, aber bis Ende März wäre dann voraussichtlich die Beweisaufnahme beendet. Will heißen: Ein Urteil in diesem Prozess könnte noch vor Sommer 2015 fallen - rund vier Jahre nach Eröffnung.
Kriegstagebuch aus dem Kongo
Was der Senqt in Stuttgart in den vergangenen Wochen zu hören bekam, ist praktisch ein internes Kriegstagebuch. Dem Präsidenten wird alles gemeldet: Lieferung von Munition durch Kongos Armee. Ständige Kampfe gegen Tutsi-Rebellen. Plünderungen, Desertionen. Interne Reibereien, technische Probleme.
Und ab Januar 2009, als Kongos Regierung mit Ruanda gegen die FDLR kämpfte, statt sie wie bisher insgeheim zu unterstützen, die tiefe Krise der Miliz – sie verlor ihr Hauptquartier im Busch, zog sich in die ostkongolesischen Wälder zurück, rächte sich mit einer Serie brutaler Überfälle auf die Zivilbevölkerung.
Es mangelt dabei nicht an Kuriositäten. Ende 2008 erfährt der FDLR-Chef, Venezuelas Präsident „Igo Shavez“ (Hugo Chávez) habe Waffen angeboten: „Kriegsmaterial steht in Äthiopien zur Verfügung.“
Und direkt nach dem Angriff auf das Dorf Mianga meldet sich, was selten vorkommt, der oberste FDLR-Militärkommandant im Kongo, General Sylvestre Mudacumura, bei seinem Präsidenten in Deutschland – und bittet ihn um ein Gedicht mit dem Titel „Hutu, Tutsi und Twa – und du, was bist du?“. Er verlangt: „Du sollst dieses Gedicht auf ein Heftformat schreiben, damit jeder Abschnitt, von 1 bis 15, auf einer eigenen Seite steht.“
"Die Jungfrau Maria hat mir gesagt..."
Je schwieriger die Lage, desto religiöser die Sprache. Ständig ist 2009 von „Gottes Plan“ die Rede, vom Heiligen Geist und vom Gebet. Als im Herbst 2009 über ein Treffen des FDLR-Direktoriums (CD) diskutiert wird, erklärt der 2. FDLR-Vizepräsident Victor Byiringiro Rumuli: „Die Jungfrau Maria hat mir gesagt, dass wir das Treffen vorbereiten sollen.“
Die Miliz weiß da längst, dass in Deutschland Ermittlungen gegen sie laufen. General Mudacumura schreibt Murwanashyaka am 2. Mai 2009: „Ein deutscher Staatsanwalt ist auf Dienstreise hier in der Region, um Anschuldigungen gegen den Chef der FDLR zu erheben.“ Auffällig: Ab dann werden die gesammelten SMS deutlich spärlicher.
Wollte der FDLR-Präsident schon damals Spuren verwischen?