25 Monate Haft für Journalistin: Härter wegen „Terrorpropaganda“
Nach der Verurteilung der türkisch-finnischen Journalistin Ayla Albayrak wird in Skandinavien gefordert, die türkische Regierung anzugehen.
Die am Mittwoch erfolgte Verurteilung der Journalistin Ayla Albayrak (taz berichtete) zu einer Haftstrafe von 25 Monaten wegen „Terrorpropaganda“ durch ein türkisches Gericht, hat in Finnland für viel Aufregung gesorgt. Albayrak, die als Reporterin für das Wall Street Journal (WSJ) arbeitet, hat neben der türkischen auch die finnische Staatsangehörigkeit. Sie ist damit die erste Medienvertreterin aus einem EU-Land, die in der Türkei für ihre Arbeit unter dem Vorwurf des Verstoßes gegen die Antiterror-Gesetzgebung verurteilt wurde.
Staatspräsident Sauli Niinistö schickte am Freitag einen – nicht veröffentlichten – Brief an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und bat darin um nähere Aufklärung. Am gleichen Tag war auch der türkische Botschafter in Finnland ins Außenministerium zitiert worden. Außenminister Timo Soini verurteilte das Urteil und bezeichnete es als Ausdruck einer „besorgniserregenden Entwicklung“. Seiner Meinung nach gebe es nichts in der Arbeit der Reporterin, das die jetzige Verurteilung rechtfertigen könne. Er habe das Thema Menschenrechte bereits mehrfach mit seinem türkischen Amtskollegen erörtert, es werde nun verstärkte diplomatische Kontakte geben.
„Man hätte da ruhig etwas deutlicher werden können“ kritisiert der ehemalige Außenminister Erkki Tuomioja die Reaktion von Niinistö und Soini, und auch der türkischstämmige Abgeordnete der Grünen, Ozan Yanar, fordert die Regierung in Helsinki auf, „die Samthandschuhe auszuziehen“. Gerade Soini habe trotz aller Menschenrechtsverletzungen noch im Januar von den „gleichen demokratischen Werten“ gesprochen, die Finnland und die Türkei angeblich teilten.
Der Fall Albayrak solle sofort zu einem Thema auf Regierungsebene gemacht werden, meint Kaius Niemi, Chefredakteur von Helsingin Sanomat und Vorstandsmitglied des International Press Institute: Nicht nur die finnische Regierung, sondern auch die EU müssten „nachdrücklicher und beständig zu der zunehmend problematischer werdenden Pressefreiheits- und Menschenrechtslage in der Türkei Stellung nehmen“.
Die Behandlung Albayraks zeige, „dass Erdoğan seinen Feldzug gegen unabhängigen Journalismus fortsetzen will“, kommentierte Bitte Hammargren, Leiterin der Nahostabteilung des schwedischen Außenpolitischen Instituts in Stockholm. Man müsse dieses Urteil in einem größeren Zusammenhang sehen, unter anderem auch in Bezug auf den Welt-Korrespondenten Deniz Yücel. Und Hammargren kritisiert: „Wirklichen Druck auf Ankara zu machen, wagen die Regierungen der EU-Länder aus Angst, die Türkei werde dann das Flüchtlingsabkommen aufkündigen, offenbar nicht.“
Das Zeichen: Wir bestrafen jeden
Der gerade aus der Türkei zurückgekehrte TV-Korrespondent Tom Kankkonen vermutet, dass die türkische Justiz jetzt ganz bewusst die Journalistin einer angesehen US-Zeitung ausgewählt habe, „um zu demonstrieren, dass wir jeden bestrafen, unabhängig davon, woher er kommt und für wen er arbeitet“. Was auch ein Fingerzeig sein könne, was Yücel erwarten könnte.
Bitte Hammargren
Der Vorwurf der „Terrorpropaganda“ gegen Ayla Albayrak gründet sich auf eine im August 2015 im WSJ veröffentlichte Reportage über den Kurdenkonflikt, in dem sowohl die Regierung wie PKK-SprecherInnen zu Wort kommen. Laut WSJ-Chefredakteur Gerard Baker war die Absicht, ein wahrheitsgetreues Bild der Situation zu vermitteln: „Was auch gelungen ist.“ Baker verurteilte das Vorgehen gegen die Journalistin, ähnlich wie US-Senator John McCain, der forderte, „die USA sollten verlangen, dass die türkische Regierung alle zu Unrecht inhaftierten Journalisten freilässt“.
Das Urteil gegen Albayrak, die sich laut WSJ gerade in New York aufhält, erfolgte in ihrer Abwesenheit. Sie will Berufung einlegen.
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