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25 Jahre nach dem MauerfallWas bleibt von der Revolution?

Wenn die Massen auf die Straße gehen, können Regime fallen. Und dann? Ein Blick auf die ehemalige DDR, Tunesien und die Ukraine.

Demonstranten in Leipzig im September 1989, sie rufen: „Wir wollen raus!“ Foto: dpa

Als am 9. November 1989 der erste Schlagbaum an der Bornholmer Straße in Berlin hoch ging, war für viele DDR-Bürger das Ziel erreicht: Freiheit, Reisen, Einkaufen – und das Ende der Diktatur.

Für viele derer allerdings, die den Fall des Staates monate- oder jahrelang konspirativ und oft unter Einsatz ihrer Freiheit vorbereitet hatten, die Bürgerrechtler und Gemeindemitglieder, war der 9. November eine Enttäuschung. Sie wollten kein vereinigtes Deutschland, sie wollten einen demokratischen Sozialismus.

Das ist lange her. Heute, wo Deutschland seit 26 Jahren wieder vereint ist und von der Mauer nur noch Versatzstücke geblieben sind, spricht kaum noch jemand offen über die zwiespältigen Gefühle von damals. Im Gegenteil: Was bleibt, von dieser Revolution im Herbst 1989, sind die Bilder der stillen Protestanten in Leipzig, der jubelnden Massen auf der Berliner Mauer, von Helmut Kohl und seiner Vision von „blühenden Landschaften“. Aber wird das dieser Revolution gerecht?

Ähnlich wichtig wie der 9. November für Deutschland, ist der 14. Januar 2011 für Tunesien. Es ist der Tag, an dem der autokratische Präsident Zine el-Abidine Ben Ali nach 23 Regierungsjahren fluchtartig das Land verlässt. Knapp einen Monat lang hatte die tunesische Bevölkerung protestiert: gegen die hohe Arbeitslosigkeit, gegen die korrupten Eliten, gegen die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes.

taz.am wochenende

Wenn die Massen auf die Straße gehen, können Regime fallen. Neue Hoffnung wächst. Und dann? Wir fragen Menschen aus der ehemaligen DDR, der Ukraine und Tunesien, was von ihrer Revolution geblieben ist. Die Titelgeschichte „Was bleibt von einer Revolution“ lesen Sie in der taz. am wochenende vom 7./8. November. Außerdem: Wer über Müll spricht, muss auch über Design reden. Eine Sachkunde der guten Verpackung. Und: Die schaffen das! Unsere KorrespondentInnen haben FlüchtlingshelferInnen besucht. Das und mehr gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Nur, im Gegensatz zu den DDR-Bürgerrechtlern erreichten die Demonstranten am 14. Januar genau das, was sie wollten: Die Regierung wurde gestürzt, es folgten die ersten freien Wahlen und eine neue Verfassung. Die tunesische Revolution war der Funke, der die gesamte arabische Welt zum Glühen brachte: Algerien, Ägypten, Bahrain, Libyen – nur endete keine so glimpflich, wie die tunesische. Ist Tunesien also ein Glanzstück der Demokratiegeschichte?

Als Helden gefeiert – und dann vergessen?

In der Ukraine, schließlich, steht ein solcher Tag, wie der 9. November 1989 oder der 14. Januar 2011 noch aus. Seit bald zwei Jahren tobt in dem Land ein Krieg, der die Revolution ablöste. Im Dezember 2013 protestierte eine halbe Million Ukrainer auf dem Maidan in Kiew gegen den Präsident Wiktor Janukowitsch, für vorzeitige Präsidentschaftswahlen und die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union. Zwar floh Janukowitsch im Februar, aber die Proteste hielten an, wurden mehrfach niedergeschlagen und mündeten schließlich in den Krieg mit Russland. Ist die ukrainische Revolution also gescheitert?

Revolutionen sind die großen Erzählungen der Demokratien. Wer dabei war, wird meist als Held gefeiert – zumindest so lange, wie die Nachwehen der Revolution noch zu spüren sind. Heute, wo es für Ostdeutsche längst Alltag ist, die ganze Welt zu bereisen, wo auch in den Dresdner Kaufhallen zwanzig Joghurtsorten zur Auswahl stehen und jede Cottbusserin auf dem Bahnhofsvorplatz frei ihre Meinung sagen darf, erscheint der Kampf gegen die DDR-Diktatur weit weg. Kaum einer kennt noch die Namen der Bürgerrechtler, der Fall der Mauer ist in deutschen Geschichtsstunden ein Kapitel unter vielen.

Was also bleibt von der Revolution? Lohnt es sich, das eigene Leben zu riskieren für den Traum von einem besseren Land? Auch wenn dieser Traum am Ende nicht wahr wird? Und würdigen wir die Revolutionäre dieser Welt genug?

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Die taz. am wochenende hat mit Menschen gesprochen, die sich in der ehemaligen DDR, in Tunesien und der Ukraine an der Revolution beteiligt haben. Wir haben sie gefragt, was von ihrer Revolution noch da ist. Die Titelgeschichte „Was von der Revolution bleibt“ lesen Sie in der taz. am wochenende vom 7./8. November 2015.

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7 Kommentare

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  • Meine Erinnerung an den 9. November 1989: http://www.thomasius.de/berlin/erwin_thomasius_november_1989.html

  • revolutionen haben dort ihr ende, wo die frage "wogegen ?" gemeinsam beantwortet, die frage "wofür" aber im streit der meinungen unbeant-wortet bleibt. die pariser stürmten die bastille nicht für die ziele der aufklärung, nicht für "freiheit, gleichheit und brüderlichkeit", sondern gegen die brotpreise. so versandete die einzige erfolgreiche revolution in deutschland 1989 in der sprachlichen verholzung als "wende" und im wunsch der ddr-bürger nach "d-mark und bananen" statt der erfolgreichen selbstbehauptung "wir sind das volk" unter einem gemeinsamen dach gestalt zu geben.

  • Die gestohlenen Revolutionen - 2: Bei den seither folgenden friedlichen Revolutionen in aller Welt, meist initiiert von den Jungen und Gebildeten, freue ich mich stets, wie diese Idee immer wieder „die Massen ergreift“ – und sehe entsetzt, dass stets Ähnliches passiert, wie bei uns damals in der DDR: Nutznießer der friedlichen Revolutionen sind meist die Reaktionären, die Klerikalen (CDU/CSU, Muslimbrüder), die Hardliner, die Etablierten, die eh schon wussten „wie man regiert“. Die, die ihre berufliche und soziale Existenz oder gar Freiheit und Leben riskiert hatten, bleiben als Betrogene zurück. Sie sind daran oft nicht unschuldig, andererseits ist aber offenbar auch der Sprung, den der Erfolg verlangte, zu groß: Weg von etablierter Politik hin zur Basisdemokratie, zur tatsächlichen Alternative, zu einer Politik, die sich folgerichtig die schärfste Gegenwirkung des alten Staatsapparates, besonders des Militär- und Repressionsapparates, wie der Kapitalisten einhandeln würde. – Noch ein Wort zur Gewaltlosigkeit: Die ist bei solchen Bewegungen unverhandelbar. Wir wissen heute, dass sich unter die Maidan-Protestler von Beginn an Bewaffnete gemischt hatten, und das ist der Anfang vom Ende solchen Protests. Gibt er doch den Repressionsorganen des eigenen Staates ebenso wie interessierten Dritten die Möglichkeit, den Gang der Dinge in ihrem Sinn zu beeinflussen.

  • Die gestohlenen Revolutionen - 1: „An der Revolution beteiligt“ habe ich mich in der DDR auch. Es ist gut, dass Anne Fromm auf das längst Vergessene hinweist: Die meisten von uns wollten tatsächlich einen demokratischen Sozialismus. Und diese waren sich einig, dass Marxens Analyse des Kapitalismus – in modernisierter Form – zutraf. Allerdings war die Alternative, die seine späten Adepten verwirklicht hatten, bloß die Karikatur einer gerechten und freien Gesellschaft – und nur aufrecht zu erhalten mittels Diktatur. Gegen diese Diktatur richtete sich unser Protest. Dieser Tenor herrschte etwa bis Mitte Oktober 1989 vor. Dann witterte die Kohl-CDU ihre Chance und machte aus „Wir sind das Volk!“, dem Ruf demokratischer Selbstermächtigung, „Wir sind ein Volk!“. (Ist keine Verschwörungstheorie – das zeigt diese Recherche: http://www.deutschlandradiokultur.de/wir-sind-ein-volk.1001.de.html?dram:article_id=155887). Mit dem ZDF als Verstärker, das von den Leipziger Montagsdemos immer häufiger nur noch die Deutschlandfahnenschwinger zeigte (und von der Mehrheit der DDR-Bewohner konsumiert wurde). Eine freiheitliche soziale Bewegung wurde geschickt in eine bloß noch nationale „gewendet“, im 20. Jahrhundert (meistens) das reaktionärste und dümmste aller Revolutionsziele. Immer mehr meiner Freunde, der Mutigen, der Gutausgebildeten 25-35jährigen, blieben diesem nationalen Spektakel fern: „Das ist nicht mehr unsere Revolution!“

  • Der Begriff "Revolution" wird heutzutage leider inflationär für jeden inszenierten OTPOR/CANVAS-Aufstand oder gar für irgendwelche Lifestyle-Phänomene verwendet. Schon das Ende der DDR war eine reine Schmierenkomödie, die von Kohl und Gorbatchev eingestielt wurde, die Akteure von der Straße reine Staffage.

     

    Die französische Revolution brachte Frankreich zahlreiche Errungenschaften, von denen Deutschland noch heute träumt.

  • Was bleibt von einer Revolution? Was, beispielsweise, ist von der Französischen Revolution geblieben? Oder von der Oktoberrevolution? Oder von der Novemberrevolution von 1918? Die Freiheit? Die Gleichheit? Die Brüderlichkeit? Die temporäre Umkehr der Machtverhältnisse? Die Guillotine und der Terror selbsternannter "Garden"? Oder die scheinbar unvermeidbare Restauration?

     

    Lohnt es sich, das eigene Leben zu riskieren für den Traum von einem besseren Land? Kommt das nicht drauf an? Darauf zum Beispiel, wessen Traum es ist? Ist es der eigene? Ist es der Traum von fremden Leuten, die sich zudem selbst gern im Hintergrund aufhalten? Wem soll, wem kann "das Land" nachher gehören? Und was ist einem eigentlich das Leben wert? Ist man verzichtbar oder nicht? Ist man mit seinem Leben WIRLICH unzufrieden?

     

    Was, wenn der Traum am Ende gar nicht wahr wird? Tja, was dann? Was ist das überhaupt, das "Ende"? Wann ist es? Im Jahr danach? Heute in 25 Jahren? 200 Jahre später? An Sankt Nimmerlein? Was wäre das denn für ein blöder Traum, an dem ein Ablaufdatum steht: "Verfällt nach falscher Lagerung sofort"? Und welcher echte Traum ist jemals wirklich wahr geworden? So richtig 1:1? Und dann noch für die Ewigkeit?

     

    Würdigen wir die Revolutionäre dieser Welt genug? Wie bitte: DIE Revolutionäre? Wer soll das sein? Und kann man eine Würde denn verschenken? Was wären das für Revolutionäre, die unbedingt gewürdigt werden müssen? Womöglich gar auf einem Sockel aus geschliffenem Granit? Hat nicht, wer nicht von selbst erinnert wird, die Würdigung gar nicht verdient? Und was, wenn sich die Zeiten ändern – und auch die Vorstellung vom Revolutionär? Scheint denn nicht mancher, der mal revolutionär gewesen ist, später fast konterrevolutionär zu sein? Was wird dann aus der Würde respektive Ehre?

     

    Ich habe keine Antworten. Ich glaube fast, Revolutionen sind was fürs Gefühl. Mit dem Verstand komme ich ihnen nicht so richtig bei.

    • @mowgli:

      Lieber Mowgli - danke für Ihre vielen Fragen! Sie scheinen zwar gar nicht zu dem zu passen, was ich eben in zwei Posts schrieb - aber sie sind wohlüberlegt, und das gefällt mir sehr an Fragen, die ohnehin meist besser, als die Antworten sind.