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25 Jahre gescheiterte LänderfusionIch fühl mich Brandenburg

Nazis, industrielle Landwirtschaft? Oder Landlust, Ruhe, regionale Küche? Brandenburg hat sein provinzielles Image abgestreift. Die Berliner Sicht.

Am Standrand von Berlin, wo die Grenzen fließend sind, und Brandenburg beginnt Foto: Paul Langrock/Zenit

Berlin taz | Wer sich in der „Brandenburgerie“ von Thomas Skorloff in Prenzlauer Berg umschaut, wird Mühe haben, sich vorzustellen, dass von Brandenburg einst als „kulinarischer Wüste“ die Rede war. In Skorloffs Laden in der Sredzkistraße gibt es Wildschweinschinken aus Lehnin, im Eichenfass gereiften Pinotin vom Werderaner Galgenberg oder Bioschokolade aus der Lausitz.

2016 radelte Skorloff mit seiner Lebensgefährtin Yvonne Voigt durch die Uckermark und war überwältigt vom vielfältigen Angebot in den Hofläden. Seitdem sehen sich die beiden als „kulinarische Botschafter der Mark Brandenburg“ in Berlin.

Natürlich sind das „Asia-Eck“, „Kebap-Haus“ und „Gabi’s Imbisseck“ nicht aus den Brandenburger Kleinstädten verschwunden, aber es gibt eben auch die Wilde Klosterküche in Neuzelle oder die Alte Überfahrt in Werder, und beim Angebot dazwischen geht der Trend nach oben. „Nimm dir essen mit, wir fahren nach Brandenburg“, müsste Rainald Grebe heute nicht mehr texten, das augenzwinkernde „Na, na!“ nimmt er ohnehin in Kauf, pendelt der Liedermacher inzwischen doch selbst zwischen Prenzlauer Berg und Uckermark.

So schnell kann es also gehen mit dem Imagewandel. Als Grebe 2005 in seinem Brandenburg-Lied die Abwanderung mit dem Spottvers „Da stehen drei Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln“ aufs Korn nahm, hatte er die Schenkelklopfer noch auf seiner Seite. Inzwischen ist die Freundschaft einer stadtmüden Berlinerin mit einem sensiblen „Dorfnazi“ in Juli Zehs „Über Menschen“ sogar bestsellerfähig geworden. Überall bloß noch Brandenburgversteher? Was ist da bloß passiert?

Fluide Identitäten zwischen Stadt und Land

Gar nicht so viel, meint Thomas Skorloff von der „Brandenburgerie“ und weist zu Recht darauf hin, dass die Grenzen zwischen Berlin und Brandenburg bei den Alteingesessenen in Prenzlauer Berg schon immer fließend gewesen seien. „Schon in den achtziger Jahren sind die Leute ins Oderbruch oder in die Uckermark“, sagt der gebürtige Berliner. „Viele haben ja auch eine Datsche in Brandenburg oder ein Wochenendhaus. Für die gehört beides zusammen.“

Wer nach der Wende wie Rainald Grebe aus Westdeutschland in den Prenzlauer Berg gezogen ist, kennt diese fluiden Identitäten zwischen Stadt und Land aus der Nachbarschaft oder von Kneipengesprächen. Und wer das nötige Kleingeld hatte, folgte einfach der A 11 oder der B 96 über die Stadtgrenze hinweg und ließ sich nieder. Lange bevor Orte wie Gerswalde in der Uckermark ihre Hipstergeschichten schrieben, war Brandenburg für viele Berlinerinnen und Berliner Alltag – was nicht hieß, dass sie über Grebes Lied nicht auch herzlich lachen konnten. Immerhin hat er auch den Prenzlauer Berg aufs Korn genommen.

Um zu verstehen, wie es zum jüngsten und von Corona noch befeuerten Brandenburg-Hype in Berlin gekommen ist, muss man vielleicht weniger auf den Prenzlauer Berg schauen, als vielmehr in den Westteil der Stadt. Vor allem die linke Szene hat dort vor dem Fall der Mauer eine Selbstisolierung kultiviert, die es im Osten in diesem Ausmaß nicht gegeben hat.

Den Runden Tischen der Wendezeit stand in Kreuzberg nicht selten eine Wagenburgmentalität gegenüber. So sehr hatte man sich im Schatten der Mauer eingerichtet, dass sogar die Öffnung der Oberbaumbrücke eine Bedrohung darstellte. Allerdings steckte hinter dieser Abschottung nicht nur die Angst, politisch vereinnahmt zu werden, sondern auch eine gewisse Überheblichkeit gegenüber den „Normalos“.

Die Angst vor einem dominanten Berlin

Als man auf die dann nach dem Mauerfall im Umland in ihrer Brandenburger Variante traf, zog sich mancher schnell wieder in die eigenen Nischen (und den Kreuzberger Kinderbauernhof) zurück. Das Bild von Brandenburg als Naziland hat eines seiner Ursprünge auch in dieser Spielart des Klassismus.

Freilich ist das Verhältnis zwischen Westberlin und Ostberlin zu Brandenburg nicht frei von Paradoxien. Als es am 5. Mai 1996 zu zwei unabhängig voneinander stattfindenden Volksentscheiden kam, waren sich die Brandenburgerinnen und Brandenburger einig. Sie stimmten gegen die geplante Länderfusion. Zu groß war ihre Angst vor einem dominanten (und verschuldeten) Berlin in einem gemeinsamen Bundesland.

In Berlin dagegen votierte eine Mehrheit mit Ja. Dabei hat der Westteil den Ostteil interessanterweise überstimmt. Denn in Westberlin war die Mehrheit mit 58,7 Prozent pro Fusion, die Ostberliner aber stimmten mit 54,7 Prozent mehrheitlich dagegen.

War das Votum im Ostteil der Stadt eine späte Rache an der Vereinigung? Oder lag es auch an der im Vergleich zum Westteil niedrigeren Wahlbeteiligung? Oder dachten die in Ostberlin, man muss ja nicht gleich jemanden heiraten, mit dem man schon in den Kindergarten gegangen ist?

Berliner Hochnäsigkeit

Tatsache ist, dass zwischen beiden Ländern die schlechte Stimmung zunahm. Rhetorischer Höhepunkt Berliner Hochnäsigkeit war der Satz des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin, der von der Region als „Berlin mit angeschlossener Landschaftspflege“ gesprochen hatte. Im Gegenzug würde bis heute kein Politiker in Brandenburg mit der Idee punkten können, eine Neuauflage der Fusion zu fordern. Es wäre schlicht politischer Selbstmord.

Vielleicht auch deshalb, weil derzeit keiner so recht weiß, welche Folgen die neue Landlust der Berlinerinnen und Berliner für die Mark hat. Ist sie Segen, so wie in Bad Belzig, wo sich ein neues Miteinander von „Alten“ und „Neuen“ anbahnt und die Abwanderung nach der Wende gestoppt hat? Oder gibt es auch auf dem Land eine Verdrängung und neuen Streit, wenn die Berlinerinnen und Berliner ihre Blase mit in die Dörfer bringen. Die „urbanen Dörfer“, die in Berlin inzwischen propagiert werden, klingen manchem auf dem Land ja auch wie eine Drohung.

Gleichwohl ist die Eiszeit längst vorbei. In vielen Brandenburger Ämtern und Rathäusern hat eine junge Generation das Ruder übernommen, die nicht selten in Berlin studiert hat. Dort ist märkische Sturheit professioneller Vernetzung gewichen. Das moderne Brandenburg weiß, was es an Berlin hat. Und viele Berlinerinnen und Berliner, die auf dem Land ihre Projektideen vorbringen, haben neben der sprichwörtlichen Verstocktheit auch diese neue Offenheit kennengelernt.

Selbst in Kreuzberg scheint die Landlust inzwischen mehr zu wiegen als die Selbstgerechtigkeit des „woken“ Milieus mit seiner politischen Überkorrektheit. Die „Baseballschlägerjahre“ der Neunziger sind zwar nicht vergessen, aber auch in der Provinz ist das Leben heute vielfältiger geworden. Junge Berlinerinnen und Berliner können sich davon überzeugen, wenn sie im Sommer eines der alternativen Festivals besuchen.

Sehnsuchtsort Brandenburg

Für viele Berliner ist Brandenburg, erst recht seit der Pandemie, zum Sehnsuchtsort geworden. Stadtfrust und Landlust, neu ist das allerdings nicht. Schon während der Industrialisierung gab es die erste Idealisierung der Mark, die vorher kaum einer als „schön“ oder „lieblich“ empfunden hätte. Doch je mehr Berlin zum „Moloch“ geworden war, desto mehr sehnten sich die Berlinerinnen und Berliner nach der Natur. Das war die Geburtsstunde der Mark als touristisches Ziel.

Heute ist Berlin zwar kein Moloch mehr, aber für viele ist es unbezahlbar geworden. Wer freilich raus muss, der redet sich die Reise ins Unbekannte auch schön, so wie die Protagonisten Marthe und David in Kathrin Gerlofs Roman „Nenn mich November“.

Denn auch das gibt es im neuen Berliner Bild von Brandenburg. Das Land als Dystopie und erzwungenes Exil zwischen Windrädern, Schweinemastbetrieben und pestizidgetränkten Mais­äckern. Vielleicht ist das auch eine Immunisierung gegen die drohende Romantisierung.

Und ein Schritt in Richtung einer realistischeren Wahrnehmung der Mark in der Metropole. Denn daran scheint es noch etwas zu hapern, meint Thomas Skorloff. „Wenn die Berliner nach Brandenburg ziehen und ihren Nachbarn als Erstes anbieten, kollektiv zu gärtnern, dann hat ihnen wohl noch keiner verraten, dass die Leute im Dorf alle schon einen Garten haben.“

Uwe Rada, 57, lebt seit 1983 in Berlin und seit 2018 auch im Schlaubetal.

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