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201.-203. Tag FDLR-KriegsverbrecherprozessDer „kleine Weiße“

Ein ehemaliges Mitglied des FDLR-Generalstabs erklärt, wie der in Stuttgart angeklagte FDLR-Präsident instrumentalisiert wurde.

„Sie brauchten Murwanashyaka als Deckmantel“: FDLR-Spezialeinheit in Nord-Kivu. Bild: Simone Schlindwein

STUTTGART/BERLIN taz | Zeuge I. weiß viel über das Innenleben der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Er war zeitweise Mitglied im Generalstab der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz.

Seit einigen Jahren lebt er in Ruanda, und an den ersten drei Verhandlungstagen des Jahres 2014 im Prozess gegen die beiden FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ist er als Zeuge geladen.

Es ist sein zweiter Auftritt nach bereits vier Tagen im Juli 2013. Und möglicherweise kommt noch ein dritter, denn die Verteidigung ist am Ende dieser Befragung noch nicht fertig.

Die aufschlussreichsten Teile seiner Aussage handeln vom Verhältnis zwischen Ignace Murwanashyaka, der in Stuttgart angeklagte Präsident der FDLR, und Sylvestre Mudacumura, der im Kongo stationierte Leiter des militärischen FDLR-Flügels FOCA (Forces Combattantes Abacunguzi).

Schon bei seinem ersten Auftritt hatte I. verraten, dass man den in Deutschland lebenden Murwanashyaka im Kongo als „kleinen Weißen“ bezeichnete und Mudacumura über ihn sogar als jemanden lästerte, der „Brot mit Mayonnaise“ isst - offenbar der Inbegriff von Luxus, wenn man im kongolesischen Busch Krieg führt.

„Sie brauchten ihn im Ausland als Deckmantel“, war I‘s Erklärung dafür, dass die ruandischen Hutu-Kämpfer im Kongo sich einen Exilanten in Deutschland zum Präsidenten ausgesucht hatten.

"Wenn er etwas gesagt hätte, wäre es befolgt worden"

„Er war sehr beliebt, so dass wenn er etwas gesagt hätte, was er will, es auch befolgt worden wäre“, hatte I im Juli 2013 über Murwanashyakas Stellung bei der Truppe und bei Mudacumura ausgesagt. „Aber da er nicht dort lebte, wusste er nicht richtig, was dort läuft“.

Jüngere FDLR-Kader, wie der mittlerweile nach Tansania abgesetzte Bigaruka, wollten Murwanashyaka dazu bringen, den Einfluss der „Alten“ wie Mudacumura oder auch den damaligen 2. Vizepräsidenten und heutigen amtierenden FDLR-Präsidenten Inyamuremye Rumuli zu schmälern. Aber „die Alten sagten ihm, er soll den jungen Leuten nicht glauben“.

Der Präsident erscheint als jemand, der in FDLR-internen Flügelkämpfen instrumentalisiert wird. Eindeutig, so sagt es I auch in seiner zweiten Vernehmung vor Gericht im Januar 2014, war Militärchef Mudacumura vor Ort im Kongo der Wichtigere.

„Es ist nicht Murwanashyaka, der Mudacumuras Autorität legitimiert hat. Für mich ist es fast das Gegenteil“, sagt er. „Ich denke, dass Murwanashyaka informiert wurde, was passiert. Aber dass Mudacumura, bevor er etwas tut, zunächst Murwanashyaka fragen musste, das glaube ich nicht... Ich kenne die Arbeitsweise von Mudacumura. Murwanashyaka musste nicht alles wissen.“

"Wenn Murwanashyaka einen Befehl erteilt..."

Es dauert fast bis zum Schluss der Befragung, bis Verteidigerin Andrea Groß-Bölting die naheliegende zentrale Frage stellt: „Wenn Ignace Murwanashyaka einen Befehl erteilt, den Mudacumura nicht befolgt, wäre das eine Straftat?“

„Ja, das wäre eine Straftat,“ antwortet. I. „Mudacumura stand nicht über den Gesetzen der FDLR. Auch Murwanashyaka nicht.“

Wieder einmal wird ein zentrales Problem dieses Prozesses deutlich: Rein formal war Murwanashyaka als Präsident und Oberbefehlshaber der FDLR-Streitkräfte verantwortlich für alle möglicherweise von der FDLR begangenen Verbrechen. Aber war er es tatsächlich? Wusste er, was geschah? Hätte er es verhindern können? Versuchte er es? Bei jedem Zeugen wird diese Frage behandelt, und abschließend geklärt ist sie nicht.

Zur Frage, ob Murwanashyaka etwas verhindern hätte können, sagte I im Juli 2013: „Das kann ich nicht bestätigen“. An anderer Stelle hatte er ausgesagt: „Ich weiß nicht, ob Murwanashyaka militärische Anweisungen gab. Wenn er welche gegeben hat, dann über Mudacumura“. Murwanashyaka sei schließlich „Laie in militärischen Dingen“.

"Wenn er unterschrieben hätte, hätten wir den Krieg eingestellt"

Aber politisch gab Murwanashyaka sehr wohl die Richtlinien vor. Im Januar 2014 sagt I zur berühmten Erklärung von Sant‘Egidio aus dem Jahr 2005, als die FDLR in Aussicht stellte, den bewaffneten Kampf unter Bedingungen zu beenden - was dann nie umgesetzt wurde, weil Ruanda die Bedingungen ablehnte: „Der Präsident, der auch der oberste Kommandant der Armee ist - wenn er diese Erklärung unterschrieben hätte, hätten wir den Krieg eingestellt.“

Und wenn Murwanashyaka und Mudacumura uneins wären, wie wäre dann eine Entscheidung herbeigeführt worden? „Ein solcher Fall hätte eine Rebellion innerhalb der FDLR verursacht. Aber ich denke, ein großer Teil hätte für Mudacumura entschieden. Denn er ernennt alle Kommandanten. Wenn Murwanashyaka auch der Präsident war, die Leute haben ihn zwar respektiert und gemocht, aber er hat nicht imTerrain gelebt.“

Vergewaltigungen? Sowas machen Ruander nicht

I nimmt die FDLR-Kämpfer weitgehend in Schutz, obwohl er angibt, dass er sichmit Mudacumura nicht gut verstand. Die diversen der FDLR vorgeworfenen Kriegsverbrechen seien keine Ziele der Miliz gewesen. Zivilisten habe man nicht absichtlich getötet. Vergewaltigungen entsprächen nicht der ruandischen Kultur. Frauen monatelang entführen - das ginge höchstens „auf dem Mond“.

I bezweifelt auch die Echtheit des berüchtigten FDLR-Befehls von 2009, in Reaktion auf die gemeinsame kongolesisch-ruandische Armeeoffensive „Umoja Wetu“ gegen die FDLR eine „humanitäre Katastrophe“ unter der kongolesischen Zivilbevölkerung anzurichten. Die ihm vorgelegte Version dieses Befehls, veröffentlicht als Abschrift in einem UN-Bericht, entspreche formal nicht dem FDLR-internen Funkverkehr.

Aber an anderer Stelle führt I aus, „dass man (gemeint ist in dem Kontext Mudacumura) mir Sachen verheimlicht hat, die ich hätte wissen müssen“.

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