20. Todestag von Silvio Meier: Mit dem Gedenken umgehen
Vor 20 Jahren wurde der Hausbesetzer Silvio Meier von einem Neonazis umgebracht. Wie wird an ihn erinnert?
Freitagmorgen im U-Bahnhof Samariterstraße. Vor 20 Jahren und zwei Tagen wurde hier Silvio Meier von einem Neonazi erstochen. Vor der Gedenktafel ein Mann mit einer Kerze in der Hand, er fragt mich nach Feuer. Ich gebe es ihm, er zündet die Kerze an, grüßt damit in Richtung Tafel und stellt sie zu den anderen Lichtern und Blumen. „Danke, Bruder“, sagt er zu mir.
Hier vor der Tafel stand am Mittwoch eine Silvio-Meier-Mahnwache, hier startet die Silvio-Meier-Demo, und bald soll es um die Ecke eine Silvio-Meier-Straße geben. Gegen Letzteres klagt ein Anlieger, aber egal: Vergesst Gedenktafel, Mahnwache, Demo und Straße. Was wirklich bleibt vom 20. Jahrestag des tödlichen Nazi-Angriffs, ist eine Broschüre mit dem Titel „Und die, die sterben, die werden weiterleben …“. Die Autonome Antifa hat sie gerade herausgegeben.
Darin sprechen drei enge Freunde und Silvio Meiers damalige Lebensgefährtin offen darüber, wie schwer sie sich manchmal mit all dem Gedenken tun: „Da wird einfach jemand zum Helden gemacht, weil man selbst nicht so richtig weiß, was man machen soll“, sagt einer. Und zu den Autoren: „Ihr seid die Ersten, die herkommen und fragen: Was war das für ein Typ?“
Dann erzählen sie, was für ein Typ Silvio Meier war: Wie er sich bei der „Kirche von unten“ engagierte und 1987 Element Of Crime für ein Konzert in der Zionskirche in den Osten holte. Wie Nazis das Konzert angriffen. Wie sie zusammen gegen eine Mülldeponie kämpften. Wie alle, die so etwas taten, die Punks wurden, Häuser besetzten oder schwul waren, den Hass der Mehrheitsgesellschaft zu spüren bekamen – vor 1989 und danach. Wie sich nach dem Mauerfall etwas entwickelte, was sie alle nicht wollten. Und schließlich: wie schwer es für Meiers Sohn ist, mit dem Gedenken an seinen Vater umzugehen.
Als Maskottchen, als aufrechten Antifaschisten hätten viele Linke Silvio Meier zu vereinnahmen versucht. Gerade er aber, sagt einer der Freunde, zeige doch eines: „Wer nur Antifa ist, der ist gar nichts, der versteht nichts von der Welt."
Die Broschüre im Netz: https://www.antifa-berlin.info/silvio-meier-doku/
Die ist ein Text aus der neuen Wochenendausgabe der taz.berlin - am Samstag im Briefkasten und am Kiosk
Für Samstag, 15 Uhr, plant ein Bündnis die traditionelle Silvio-Meier-Gedenkdemonstration. Sie steht diesmal unter dem Motto "Erinnern heißt kämpfen - den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!" und soll von der Frankfurter Allee Ecke Samariterstraße durch Friedrichshain und Lichtenberg führen.
Aus Anlass des 20. Todestages wird bundesweit mobilisiert. Mehrere tausend Teilnehmer werden erwartet.
Bereits um 13 Uhr findet eine Demonstration der rechtsextremen NPD in Rudow statt. Die Teilnemher der Silvio-Meier-Demo wurden aufgerufen erst gegen die NPD zu protestieren - am U-Bahnhof Rudow.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt