20 Jahre nach Rio: Von der Graswurzel zum Atomausstieg
Die „Lokale Agenda 21“ gilt als dröge. Zu Unrecht: Ohne „global denken, lokal handeln“ wäre zum Beispiel die Energiewende kaum zu machen.
BERLIN taz | Es sind nur 5 Prozent. 5 Prozent aller ihrer Finanzrücklagen legt die Stadt München nach ethisch-ökologischen Kriterien an. Das sind 57 Millionen Euro, die mit einer Rendite von etwa zwei Prozent die Pensionen der Mitarbeiter sichern, vermeldet die Stadtkämmerei.
Seit einem Beschluss des Stadtrats von 2008 ist München damit Vorreiter bei der nachhaltigen Bewirtschaftung der Finanzen, lobt das „Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung“ (IZT).
5 Prozent sind ziemlich mickrig, könnte man sagen. Oder aber: Ein Anfang ist gemacht. So geht es mit vielen Projekten der „Lokalen Agenda 21“. Die ethischen Geldanlagen der bayerischen Landeshauptstadt sind eine konkrete Folge dieses sonst oft nebulösen Prozesses. In der Abschlusserklärung von Rio 1992 wurden die Städte und Gemeinden weltweit dazu aufgerufen, nachhaltige Entwicklung zu definieren und durchzusetzen.
Vom 20. bis 22. Juni findet im brasilianischen Rio die UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung statt. 20 Jahre nach dem „Erdgipfel“ von Rio suchen die Staaten weiter eine Lösung, um Umwelt, Wirtschaft und Entwicklung zu versöhnen. Die taz beleuchtet dieses Thema bis zu dem Gipfel.
Denn die Konferenz ging davon aus, dass die meisten Probleme von Armut, Energie, Wasserversorgung, Naturzerstörung, Krankenversorgung oder Arbeitsplätzen, die die globale „Agenda 21“ lösen wollte, nur lokal anzugehen seien. Für Maurice Strong, den Generalsekretär des Rio-Gipfels 1992, war „von den vielen Programmen, die aus dem Weltgipfel resultierten, keines vielversprechender und wichtiger als dieses“.
20 Jahre wurde also in Tausenden Gemeinden global gedacht und lokal gehandelt. In Deutschland sind die „Agendagruppen“ in fast 2.000 Gemeinden aktiv, oft angestoßen von Bildungshäusern und Kirchengemeinden. Nach anfänglicher Euphorie verlor die Bewegung an Schwung, ist aber heute aus einem Deutschland von Energiewende und Wutbürgern nicht mehr wegzudenken.
Keine Pflastersteine aus Kinderarbeit
Denn die kommunale „Green Economy“ wird allerorten geprobt, findet eine Untersuchung des IZT: Erfurt gründete das „Ökoprofit“-Programm, mit dem Energie und Ressourcen gespart und eine Bürgerstiftung gegründet wurde; Dortmund, Bonn und Tübingen achten bei der öffentliche Beschaffung auf nachhaltige Kriterien; im „Umweltpakt Bayern“ oder dem „Eine-Welt-Netz“ in NRW haben sich viele Kommunen gemeinsam organisiert. Anderswo werden Pflastersteine aus Kinderarbeit verboten, die Feuerwehr bekommt Kleidung aus fairem Handel und die Bürger werden gefragt, wenn die Gemeinde ihren Finanzetat aufstellt.
Stark ist die LA-21-Politik vor allem im Energiebereich: Inzwischen haben sich über 70 Städte oder Gemeinden mit acht Millionen Menschen in Deutschland zu „100-Prozent-Regionen“ erklärt, die sich in der Zukunft selbst mit heimischer Energie versorgen wollen.
Die LA21 in Deutschland sei einzigartig basisorientiert, sagt Stephan Kuhn vom internationalen Städtebündnis ICLEI, das weltweit 1200 Kommunen aus 70 Ländern mit 570 Millionen Menschen vertritt und gerade eine Bilanz der Agenda-Arbeit weltweit erstellt hat.
Ohne Rio kein Widerstand in Stuttgart
Während in anderen Ländern die Programme von Behörden oder ausländischen Hilfsorganisationen ins Land kamen, wurde in Deutschland die Agenda-Arbeit von Graswurzelinitiativen getragen. „Das war am Beginn oft nicht wirklich relevant, denn die Unternehmer und der Stadtrat haben weiter die Gewerbegebiete ausgekungelt, während die Initiativen über den Verkehrslärm klagten“, bilanziert Kuhn. Doch mit der Zeit seien die Aktivisten in die Politik, Verwaltung und Unternehmen gelangt und setzten dort ihre Vorstellungen um.
Ohne die Vorarbeit der Agenda hätte es die Bereitschaft zum Atomausstieg und zu erneuerbaren Energien nicht gegeben. Und auch nicht den Widerstand gegen Großprojekte wie Stuttgart 21. „Darin haben die Leute jetzt 20 Jahre Training.“
Allerdings zeigte sich auch schon vor zehn Jahren bei einer Zwischenbilanz: Die Belange der Jugend und einer gerechten Wirtschaftsordnung sind auf der lokalen Ebene oft nur schwer zu erreichen. Und manchmal sind auch die Widersprüche in der „Lokalen Agenda 21“ sehr lokal: Etwa wenn Bürgerinitiativen mit dem Argument des Naturschutzes und der Gesundheitsgefahr gegen Stromtrassen protestieren, die Strom aus Windkraftanlagen durchs Land schicken. Auch wenn die Windräder den Bürgern gehören.
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