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100 Tage US-Präsident BidenKritik von rechts und links

Eine neue Migrationspolitik hatte Joe Biden versprochen. Seither herrscht Andrang an der US-Südgrenze. Auch die Zahl der Abschiebungen steigt.

Menschen auf der mexikanischen Seite der US-Südgrenze: „Biden, lass uns bitte rein!“ Foto: Stringer/dpa

New York taz | Einen Abschiebestopp in seinen ersten 100 Tagen im Amt hatte Joe Biden angekündigt, als er am 20. Januar als neuer US.Präsident ins Weiße Haus einzog. Nach vier Jahren Trump mit Muslim-Einreiseverboten und Familientrennung an der Südgrenze reagierten AktivistInnen erleichtert.

Jetzt sind Bidens erste 100 Tage vorbei, und tatsächlich haben sich Ton und Personal in der Washingtoner Einwanderungspolitik geändert. Statt von „Illegalen“ ist nun von „undokumentierten Nicht-Bürgern“ die Runde. Flüchtlinge müssen nicht mehr auf der Südseite der Grenze auf die Entscheidung über ihren Antrag in den USA warten. Statt Mauerbau steht die „Bekämpfung der Grundursachen“ im Vordergrund. Und statt weißer Nationalisten hat Biden mehrere Latinos und Bürgerrechtler für die Spitzen von Grenzschutz (CBP), von Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) und Heimatschutzministerium (Homeland Security) ausgewählt.

Aber die Abschiebungen gehen weiter. Für manche Gruppen haben sie sogar zugenommen. So hat die Regierung Bidens in ihren ersten 100 Tagen mehr Menschen nach Haiti abgeschoben als Trump im kompletten letzten Jahr, stellt der kürzlich veröffentlichte Bericht Invisible Wall fest. Insgesamt sind seit Bidens Amtsantritt weit über 120.000 Menschen aus den USA abgeschoben worden.

Die ImmigrantInnen-Gruppe UnitedWeDream, die auch die sofortige Abweisung durch GrenzschützerInnen mitzählt, kommt bis Ende März sogar auf 302.072 Abschiebungen. Sie sammelt jetzt Unterschriften dagegen. Obwohl Texas, unterstützt von 13 weiteren Bundesstaaten, den von Biden angekündigten Abschiebestopp vor Gericht anficht, könnten Behörden wie ICE und CBP jederzeit ihre Abschiebungen stoppen, argumentiert UnitedWeDream.

Unter den „wesentlichen Arbeitern“ sind viele Papierlose

„Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass Biden sein Versprechen nicht gehalten hat“, sagt die New Sanctuary Coalition ernüchtert. In dieser Woche, in der Biden seine ersten Erfolge mit einer Ansprache vor beiden Kammern des US-Kongress zelebriert, verlangen AktivistInnen quer durch die USA mehr Rechte für EinwanderInnen und schnellere und konsequentere Reformen.

In Alabama sind einige von ihnen mit dem Slogan „Free Karim Golding“ zu einem Abschiebezentrum gekommen. Golding, der seit dem Alter von fünf Jahren in den USA lebt, war zehn Jahre wegen eines Drogendeliktes inhaftiert. Seit inzwischen vier Jahren sitzt er in Abschiebehaft. In den zurückliegenden Monaten hat der zuvor gesunde 36-Jährige sich dort zweimal mit Covid-19 infiziert. Er leidet jetzt an massiven Covid-Nachwirkungen.

Die Gruppe Relay Across America demonstriert mit einem nationalen politischen Staffellauf an jedem Tag in einem anderen Bundesstaat für schnelle Wege zur Staatsangehörigkeit. Sie verlangt die Naturalisierung für alle Papierlosen – auch für die fünf Millionen „wesentlichen Arbeiter“, die seit dem Beginn der Pandemie die US-Landwirtschaft am Laufen halten und die in den Städten als LieferantInnen dafür sorgen, dass Privatleute trotz Quarantäne ihre Lebensmittel nach Hause geliefert bekommen.

Auch die Dreamer, junge Leute, die als Kinder ohne Papiere von ihren Eltern in die USA gebracht wurden, sollen davon profitieren. Der radikale Elan, der die Kritik an Trumps Einwanderungspolitik bestimmte, ist unter Biden weitgehend verstummt. Der Slogan „Löst ICE auf“ ist kaum noch zu hören.

Handelskammern für Migrationsreform

Gleichzeitig steht Biden auch unter Beschuss von rechts. Der republikanische Senator Tom Cotton, der mit einer Präsidentschaftskandidatur 2024 liebäugelt, wirft dem Präsidenten und den DemokratInnen vor, „Illegale zuerst und Amerika zuletzt“ zu praktizieren. Sarah Huckabee Sanders, die unter Trump Sprecherin im Weißen Haus war und Gouverneurin von Arkansas werden will, nennt die Einwanderungspolitik „eines der schlimmsten Dinge, die die Regierung bisher getan hat“.

Aber auch auf der politischen Rechten gibt es Spaltungen. So arbeiten moderate RepublikanerInnen mit zentristischen DemokratInnen an Kompromissvorschlägen für ein anderes Management der Südgrenze. Sie haben die Rückendeckung der Handelskammern, deren Mitglieder EinwanderInnen beschäftigen und denen Trumps Positionen zu weit gingen.

Als der republikanische Präsident George W. Bush oder sein Nachfolger Barack Obama nach Lösungen für die rund elf Millionen Papierlosen im Land suchten, führte parteipolitischer Streit zur Blockade in Washington. So könnte es auch diesmal sein. RepublikanerInnen bereiten sich bereits darauf vor, die „Invasion“ ins Zentrum der Halbzeitwahlen im November 2022 und der nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 zu rücken.

Im Versuch, die Kritik weg von der Grenzpolitik zu lenken, hat Biden seine Vizepräsidentin beauftragt, nach Lösungen in Zentralamerika zu suchen. Kamala Harris soll an Guatemala, Honduras und El Salvador die relativ überschaubare Summe von vier Milliarden Dollar als humanitäre Hilfen verteilen.

In dieser Woche sprach sie mit Guatemalas Regierung und mit Bürgerinitiativen darüber, wo und wie die Mittel verwendet werden könnten. Anders als unter Trump ging es dabei sowohl um langfristige Abwanderungsursachen wie Korruption, Gewalt, Armut und Klimaveränderung, als auch um neuere Ereignisse wie die Pandemie, Stürme und Dürren.

Bei aller Kritik an Biden erkennt Ravi Ragbir von der New Sanctuary Coalition eine „positive Richtung“. Der Aktivist, dem selbst eine Abschiebung droht, glaubt, dass die Bilder von Kindern in Gefängnissen vielen gezeigt haben, dass eine andere Einwanderungspolitik nötig ist. Diese Gelegenheit will er nutzen: „Wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns.“

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