10 Jahre Lehman-Pleite und Finanzkrise: The Boys’ Club
Auch nach der Finanzkrise bleibt die Börsenwelt männlich. Warum Banker nur Banker befördern und Frauen nicht ernst nehmen.
Der neue Vorstand hat etliche Insider um sich gescharrt, die seit Jahrzehnten zusammen arbeiten. Santoli spricht von einem „soften Ausschluss“. „Sie sagen nicht direkt, dass du nicht zur Konferenz kommen darfst. Aber du wirst auch nicht eingeladen.“ Frauen sind in den Chefetagen der Banken kaum zu finden. Spitzenpositionen besetzen Männer. Die wenigen Frauen sind absolute Expertinnen in ihrem Fachgebiet, hart in der Sache, wiegeln jegliche emotionale Reibung ab – oder werden zum Vorzeigepüppchen der Firma in schwierigen Fällen. Santoli hat beides erlebt.
Als acht Börsenmaklerinnen Merrill Lynch verklagten, weil sie sich aufgrund ihres Geschlechtes von der Firmenleitung diskriminiert fühlten, wird Santoli damals von der Chefetage in die Öffentlichkeit geschoben – und quasi zum Gesicht der Firma in diesem Fall. „Das blonde weiße Mädchen mit den blauen Augen sollte diesen Job übernehmen – diese Entscheidung fiel sehr schnell“, sagt sie.
Wie Frauen an der Wall Street behandelt werden, war immer wieder Thema. „Boom-Boom Room“ – unter diesem Namen kam ein besonders brisanter Fall in den 1990er in die Schlagzeilen. Im Keller eines Standorts von Smith Barney, einem Unternehmen der Citigroup, hatten etliche Männer ihren Kolleginnen offenbar anzügliche Angebote gemacht. Im Verfahren willigte Smith Barney ein, den betroffenen Frauen rund 150 Millionen US-Dollar zu zahlen und mehr Geld in die Frauenförderung zu stecken.
Äußerungen über Aussehen sind Standard
Anne Connelly arbeitet seit rund 30 Jahren im Finanzsektor. Sie ist Topmanagerin der Investmentfonds-Branche, hat Karriere gemacht in den USA, in Europa, in Deutschland. Heute will sie Frauen vernetzen, die in dem Sektor arbeiten. „Frauen werden oft unterschätzt“, sagt Connelly. „Und ich bin auch noch blond.“ Sie sagt diesen Satz unvermittelt, mit einem lauten, bitteren Lachen.
Connelly arbeitete für Pioneer Investments, – heute Amundi – später war sie Geschäftsführerin bei Morningstar und dort eine der wenigen weiblichen Führungskräfte. „Sie bekommen Avancen gemacht, Äußerungen über Kleidung und Aussehen waren Standard“, sagt Connelly. Und: Es habe mit der Optik zu tun, dass Frauen in der Branche nicht ernst genommen werden.
Sowohl in den USA als auch in Deutschland ist die Debatte um mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Finanzwirtschaft angekommen. Aber: „An den Frauen wird immer zuerst gespart“, sagt Connelly. Förderprogramme werden gestrichen, Schulungen und Veranstaltungen gekappt, die sich mit der Karriere weiblicher Führungskräfte beschäftigen. Dass als Folge der Finanzkrise besonders viele Frauen ihren Job verloren, erstaunt Connelly nicht. „Viele hatten Jobs, die einfach nicht essentiell für das Business waren. Die wurden natürlich zuerst gekürzt.“
Anders liegt der Fall bei Sallie Krawcheck. Sie zählte zu den Topbankerinnen in den USA vor der Lehman-Pleite, wurde vom Forbes Magazine zu einer der zehn mächtigsten Frauen der Welt gekürt. 2008 wurde sie geschasst, weil sie Kunden, die Geld bei hochriskanten Investments verloren hatten, entschädigen wollte. Eine Idee, die der Chefetage nicht gefiel. Heute leitet sie Ellevest, eine digitale Finanzplattform für Frauen.
Hätten Frauen die Finanzkrise verhindert?
Krawcheck ist überzeugt, dass mehr weibliche Führungskräfte die Finanzkrise verhindert oder mindestens entschleunigt hätten. „Frauen arbeiten kundenorientierter und sind risikobewusster“, sagt Krawcheck. Mit dieser Haltung ist sie nicht allein. Christine Lagarde, Chefin des IWF, prägte den Begriff der „Lehman Sisters“. Hätte es sie gegeben und nicht die „Lehman Brothers“, sähe die Welt heute wohl ganz anders aus. Da die Branche nach wie vor männlich dominiert ist, sei die Gefahr neuer Finanzkrisen noch lange nicht gebannt.
Die MeToo-Bewegung hat die Geschlechterungerechtigkeit auch in den Unternehmen in den Fokus gerückt. Es gab etliche Gerichtsverfahren in den vergangenen Jahren in den USA, an deren Ende Firmen wegen Diskriminierung viel Geld an die Betroffenen zahlen mussten. In Deutschland gibt es eine gesetzliche Quote, die Frauen den Weg zu Führungspositionen erleichtern soll.
„Die Lehmschicht kriegen sie damit aber nicht los. Der Wandel in den Köpfen, dort wo eine unbewusste Diskriminierung stattfindet, geht nur sehr langsam voran“, sagt Connelly. Sie kennt unzählige Beispiele: Wie sehr der Wandel stockt, zeigt sich daran, wenn Auszeichnungen vergeben werden. Sie selbst hat erlebt, wie die einzige Frau, die eine Ehrung erhielt, für ihre intelligenten Aussagen in der Laudatio gelobt wurde. Bei Männern geht die Öffentlichkeit offenbar davon aus, das schlaue Antworten Standard sind.
Nach wie vor sind Frauen die Ausnahme in hohen Positionen, in denen sie für viel Geld und Personal verantwortlich sind. „Mehr Männer sitzen bereits in Führungspositionen unter dem Vorstand. Die kommen natürlich schneller an die Spitze“, sagt Elke Holst, Forschungsdirektorin und Genderexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Warum dieser Zustand bestehen bleibt, erklärt sich durch den Lebensalltag vieler Frauen, der sich von jenem der Männer in der Regel deutlich unterscheidet.
Der Fortschritt ist eine Schnecke
Etliche weibliche Fachkräfte reduzieren ihre Arbeitszeit, wenn sie Kinder haben. Diese Entscheidung rächt sich in der beruflichen Karriere. Geändert hätte sich an diesem Umstand in den vergangenen zehn Jahren nichts. „Der Fortschritt ist eine Schnecke“, sagt Holst. Veränderungen brauche es auf allen Ebenen. „Wir müssen dafür sorgen, dass auch späte Karrieren möglich sind. Der Aufstieg wird derzeit zwischen 27 und 38 Jahren eingeleitet. Wer nicht dabei ist, kann später kaum aufholen.“
Zwar werden heute mehr weibliche Fachkräfte nachgefragt. Aber die Chance, tatsächlich verantwortungsvolle Posten zu übernehmen, bekommen nur wenige. Hinzu kommt, dass viele junge Frauen – wie auch Männer – andere Prioritäten setzen. Eine 80-Stunden-Woche wollen nur noch wenige. Stattdessen werden Freunde, Freizeit und Familie wichtiger.
Monika Schulz-Strelow beobachtet ohnehin eine Art „roll-back“. Sie ist Präsidentin von Fidar – kurz für „Frauen in die Aufsichtsräte“. Die Initiative setzt sich für mehr weibliche Fachkräfte in der Chefetage ein. „Weniger Frauen sind im Bundestag, trotz gesetzlicher Vorgaben sind immer noch zu wenig Frauen in verantwortungsvolle Positionen in Unternehmen.“ Die Gründe, warum dies so ist, sind die selben wie vor der Finanzkrise.
„Männer befördern Männer. Frauen wird nicht zugetraut, dass sie mit hohen Budgets und finanzieller Verantwortung umgehen können“, sagt Schulz-Strelow. Das zeigt sich nicht nur an der Wall Street in New York, an den Börsen in Frankfurt, London oder Tokio. Diese Entwicklung setzt sich auch in jungen Unternehmen fort. „Die meisten Start-ups werden von Männern gegründet und geführt“, sagt Schulz-Strelow. „Es gibt nach wie vor den weit verbreiteten Irrglauben, Frauen schaffen das nicht.“
Männer dominieren die Börsenwelt
Susan Thomson Santoli hat die Wall Street längst verlassen. Ihre neue Chefin ist die einst geschasste Spitzenbankerin und Ellevest-Gründerin Sallie Krawcheck. Die männerdominierte Börsenwelt schlägt sich auch in privaten Investmententscheidungen von Frauen nieder, sagt sie. „Männer managen die Partnerschaft finanziell. Frauen sind nur Kontoinhaberinnen, aber sie treffen keine Entscheidung über Geldanlagen.“ Es wird wohl noch lange brauchen, bis diese Schere aus den Köpfen von Männern – wie Frauen – verschwindet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin