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... und raus bist du!taz-Debatte: „Berlin nach Pisa: Wo bleibt die Chancengleichheit?“ (Teil 3) Von Andreas Heintze

Falsche Kinder? Falsche Schulen?

Nicht erst seit den Ergebnissen der Pisa-Studie ist klar: Von Chancengleichheit kann im deutschen Bildungssystem kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Kinder aus armen und eingewanderten Familien haben es schwer. In Berlin besuchen sie vor allem Kitas und Grundschulen in den Innenstadtbezirken. Was tun mit diesen Bildungseinrichtungen? Wie können sie allen Kindern gleiche Chancen eröffnen? Diesen Fragen widmet sich immer dienstags eine Debattenserie der taz. Letzte Woche: Bleiben oder Wegziehen? Ein Eltern-Pro-und-Contra. Nächste Woche: Erhard Laube, Leiter der Spreewald-Grundschule in Schöneberg: Auf die Mischung kommt es an.

Das Schulversagen eines weit überdurchschnittlichen Teils von Migrantenkindern in Deutschland ist, das zeigt die Pisa-Studie, ein Versagen der Schulen gegenüber diesen Kindern. Erheblich weniger als in anderen Ländern tragen unsere Schulen zur Herstellung von Chancengleichheit, unabhängig von der sozialen und ethnischen Herkunft bei. Dennoch werden in der öffentlichen Diskussion eher Defizite auf Seiten der Immigranten und ihrer Kinder als auf Seiten der Schule hervorgehoben. Schulen mit vielen Immigrantenkindern gelten als schlecht; schon bei der Einschulung richtet sich die erste besorgte Frage von Eltern – auch wenn sie selbst Immigranten sind – meistens nach der Höhe des Ausländeranteils, und wer kann, versucht sein Kind an einer Schule mit mehr deutschen Kindern anzumelden.

Manche Schule bemüht sich deswegen, mit besonderen Angeboten deutsche Kinder zu werben. Nichts gegen Anstrengungen, ethnischer Segregation entgegenzusteuern. Doch werden damit nicht Kinder, schon bevor sie auch nur einen Tag in der Schule zugebracht haben, als unterschiedlich erwünscht bewertet? Und worin ist der Glaube, mit der Anwesenheit von mehr deutschen Kindern stiegen auch die Bildungschancen der Immigrantenkinder, begründet? Ein Automatismus besteht nicht. Die richtige Frage, die sich Schulen und Schulverwaltung stellen müssen, ist nicht die nach dem Ausländeranteil, sondern nach dem Konzept, mit dem sie Gleichheit von Bildungschancen für die vorhandenen Kinder – in ihrer Heterogenität – herstellen wollen.

Die zentrale Rolle in der Diskussion um Schulen in der Einwanderungsgesellschaft spielt zur Zeit die Sprachenfrage – und auch hier ist die Schuldzuweisung für Defizite fast einhellig: Immigrantenkinder scheiterten in den Schulen wegen mangelnder Deutschkenntnisse, und die rührten vor allem daher, dass die Kinder zu Hause ihre Herkunftssprachen benutzen. In Kreuzberg, so wird gern angeführt, könne man ja von der Wiege bis zur Bahre gut allein mit Türkisch durchkommen. Das Gegenrezept heißt schlicht: Deutsch, Deutsch und nochmals Deutsch. So früh wie möglich und notfalls durch Sanktionen erzwungen.

Nicht nur ein Zerrbild wird hier konstruiert – welche Immigraten wollen nicht, dass ihre Kinder gut Deutsch lernen? Es wird darüber hinaus der alte Wunsch deutlich, mit einigen zusätzlichen Maßnahmen das althergebrachte monolinguale Schulsystem im Kern aufrechtzuerhalten. Dieser Wunsch ist unrealistisch: Genauso wenig wie die Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, lässt sich leugnen, dass es ein mehrsprachiges Land geworden ist. Die Anzahl der Kinder, die zwei- oder mehrsprachig aufwachsen, wird in Zukunft weiter steigen. Ihre Sprachentwicklung ist eine andere als bei einsprachigen Kindern; weniger normal oder problematischer ist sie nicht. Schwierigkeiten treten dann auf, wenn in den Bildungseinrichtungen keine Rücksicht auf die bilinguale Sprachentwicklung genommen, auf die Verdrängung der Erstsprache durch die Zweitsprache Deutsch hingearbeitet wird und diese Kinder, obwohl ihr Sprachlernprozess längst nicht abgeschlossen ist, in ihrer Zweitsprache ständig an der Elle einsprachiger deutscher Kinder gemessen werden – und dabei als sprachlich defizitär erscheinen.

Eine einsprachige so genannte Sprachstandsfeststellung, wie sie in diesem Jahr bei allen Schulanfängern in den Innenstadtbezirken vorgenommen wurde, sagt beispielsweise nichts über die allgemeine sprachliche und kognitive Entwicklung mehrsprachiger Kinder und über mögliche Förderschwerpunkte aus. Genauso wenig ist der Grad der mündlich-kommunikativen Zweitsprachkenntnisse am Schulanfang ein Indikator für späteren Schulerfolg. Pisa hat gezeigt, dass die eigentlichen Schwierigkeiten im für den Schulerfolg entscheidenden Umgang mit – häufig fachsprachlich geprägter – Schriftsprache liegen. Es liegt auf der Hand, dass Herangehensweisen, die alle sprachlichen Potenziale der Schüler und Schülerinnen fordern und fördern, mehr zum Erfolg beitragen können als ein auf die Zweitsprache verengter Defizitblick.

Nach der ersten deutschen Bildungskatastrophe in den frühen 60er-Jahren mit dem katholischen Arbeitermädchen vom Lande als Symbol für Bildungsbenachteiligung kam es, nicht zuletzt durch den Druck der entstehenden Frauenbewegung, zu einer massiven, erfolgreichen Ausweitung der Bildungsangebote für Mädchen. Ein ähnlicher politischer Wille, Schulstrukturen und Unterrichtsangebote für die Bedürfnisse der bildungsbenachteiligten Immigrantenkinder zu öffnen, ist heute nötig. Dazu gehören eine grundsätzliche Überwindung der monolingualen Ausrichtung der Schulen – von den Lehrplänen über die Unterrichtsangebote bis hin zur Zusammensetzung des Lehrpersonals, unter dem sich heute nur vereinzelt Mitglieder der verschiedenen sprachlichen Minderheiten befinden. Dazu gehören auch der Verzicht auf eine frühzeitige schulische Selektion und die Wandlung der Schulen zum Bildungstreffpunkt in ihrer Umgebung. Eine Reihe von Berliner Schulen arbeiten bereits in diese Richtung, zum Beispiel einige zweisprachige deutsch-türkische Grundschulen. Das Rad muss nicht neu erfunden, es muss zum Laufen gebracht werden.

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