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Beten und genießen„Zwischen Gastronomen und Pfarrern gibt es Gemeinsamkeiten“

Matthias Lasi arbeitet als Gastropfarrer. Hier spricht er über Burn-out-Sorgen, nächtliche Gottesdienste und gesegnete Spiegeleier.

Abendmahl, mal anders: Gastro-Pfarrer Lasi 2024 als Praktikant in der Küche des Wellnesshotels Tanne in Baiersbronn Foto: Andreas Steidel

Interview von

Benjamin Fischer

taz: Herr Lasi, wann waren Sie zuletzt in einem Restaurant?

Matthias Lasi: Vor ein paar Wochen mit meiner Frau, ich hatte Hirschragout, sie bestellt in dem Restaurant jedes Mal die Kohlrouladen. Vor einiger Zeit wollte der Wirt die Rouladen von der Karte nehmen, doch wir konnten ihn glücklicherweise davon abbringen. Seitdem müssen wir bei der Reservierung am Telefon nur „Kohlrouladen“ sagen, schon wissen sie Bescheid und wir kriegen einen Tisch. Gut essen gehört bei mir zur Lebensqualität dazu.

taz: Sie sind der einzige Gastropfarrer Deutschlands und für die Seelsorge der Gastronomen im nördlichen Schwarzwald zuständig. Was hat Sie an dieser Stelle gereizt?

Lasi: Ich war bis Februar 2022 Pfarrer der Evangelischen Auslandskirche in Kyjiw, doch als der Krieg begann, musste ich nach Deutschland zurückkehren und suchte nach einer neuen Aufgabe in meiner Landeskirche in Württemberg. Ich hatte schon in Kyjiw viel mit Menschen zu tun gehabt, die nicht kirchlich sozialisiert sind, das fand ich immer faszinierend. Ich dachte mir, dass das bei den Gastronomen auch so sein könnte. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass es zwischen Gastronomen und Pfarrern viele Gemeinsamkeiten gibt und wir uns gut ergänzen würden.

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taz: Was meinen Sie?

Lasi: Wir bieten beide Wellness, die Gastronomen für Körper und Geist, wir Pfarrer für die Seele. Wir gehen beide einem uralten Beruf der Gastfreundschaft nach und sind zu Tageszeiten tätig, an denen andere meist nicht arbeiten, zum Beispiel abends oder am Sonntag.

taz: Warum gibt es gerade im nördlichen Schwarzwald die Stelle eines Gastropfarrers?

Lasi: Alleine in Baiersbronn, wo ich im Pfarrhaus wohne, gibt es zwei Drei-Sterne-Restaurants sowie zwei Ein-Sterne-Restaurants, es gibt in der ganzen Region viele Hotels, Gaststätten und Restaurants. Bereits vor etwa zwanzig Jahren fragten die Gastronomen bei der Kirche nach seelsorgerischer Unterstützung an, weil sie festgestellt hatten, wie schwierig es ist, außerhalb der Arbeit soziale Kontakte zu knüpfen.

taz: Was machen Sie für die Gastronomen?

Lasi: Wenn jemand über etwas reden will, dann kriegt er bei mir innerhalb von ein, zwei Tagen einen Termin. Es kommen auch Gastronomen auf mich zu, die eigentlich keinen Kontakt mit der Kirche haben, das kommt immer häufiger vor. Außerdem veranstalten wir drei Mal im Jahr spezielle Gottesdienste, beim Weihnachtsgottesdienst kommen 150 bis 200 Gastronomen. Es gibt eine Predigt und danach einen ­Empfang, natürlich mit sehr leckeren Häppchen. Diese Gottesdienste beginnen abends um 21 Uhr, denn erst dann haben die Gastronomen Zeit. Es war ein kleiner Kampf, dass die Gottesdienste nicht noch später beginnen. Früher gingen die erst um 21.30 Uhr los und dann locker bis 2 oder 3 Uhr morgens. Wir haben den Beginn eine halbe Stunde vorverlegt, sonst bin ich am nächsten Morgen zur ersten Schulstunde Religionsunterricht nicht fit.

taz: Gibt es noch weitere Angebote?

Lasi: Einmal im Jahr richte ich ein Sommerfest aus hier im großen Pfarrgarten, für das meine ukrainische Frau und ich kochen. Im ersten Jahr gab es Borschtsch, letztes Jahr haben wir gegrillt. Die Sterneköche haben mir gesagt, dass sie das genießen, wenn es mal etwas anderes gibt. Auch bei den zweimonatlichen Stammtischen der Gastronomen bin ich dabei, generell habe ich ein offenes Ohr.

taz: Sie können aufgrund Ihrer Schweigepflicht sicherlich nicht ins Detail gehen, aber was sind die größten Probleme der Gastronomen?

Lasi: Ein großes Thema ist der Personalmangel. Wenn zum Beispiel ein Koch wegbricht, kann der nicht so einfach ersetzt werden, das kann Betriebe an den Rand der Existenz bringen. Viele Gastronomen haben Angestellte, die nicht aus Deutschland stammen. Einer hat mir kürzlich gesagt, dass er Angestellte aus 18 Nationen im Betrieb hat, die Sprachbarriere ist da oft eine Herausforderung. Allerdings würde es ohne diese Menschen überhaupt nicht gehen, dann müsste jeder zweite, wenn nicht sogar noch mehr Betriebe schließen.

Im Interview: Matthias Lasi

62, ist seit Juli 2022 Pfarrer für die Gastronomie- und Tourismus­seelsorge im Kirchenbezirk Freudenstadt sowie Pfarrer für die Kirchengemeinde Schwarzenberg. Er arbeitete zuvor als Pfarrer in Bösingen, im Donautal und in Kyjiw.

taz: Haben Sie in Ihrer Zeit als Gastropfarrer erlebt, dass Betriebe schließen mussten?

Lasi: Das ist mir nicht begegnet, aber manche arbeiten schon sehr am Limit. Die sagen mir auch immer wieder, dass sie kurz vor dem Burn-out seien. Wenn sie die Chance hätten, morgen zu schließen, würden manche das sofort machen. Ich finde es aber sehr ermutigend, dass es im letzten Jahr einigen kleineren Betrieben gelungen ist, ihre Gaststätte oder ihr Hotel in neue Hände zu übergeben.

taz: Essen Sie als Gastropfarrer häufig in Gaststätten?

Lasi: Im Sternerestaurant war ich noch nie, das ist mir zu teuer, aber in kleinere Gaststätten gehe ich schon manchmal, einfach um Kontakt zu halten. Ich liebe es, im Schankraum zu sitzen, den Geschmack des Essens zu genießen und was Gutes zu trinken. Früher hatte ich bei Lokalen vor allem verrauchte Gaststätten im Kopf, in denen die Menschen schon ein paar Biere zu viel intus hatten, da habe ich mich nie wohlgefühlt. Doch das hat sich zum Glück geändert. Und wenn die Kirchen immer leerer werden, muss man die Menschen vielleicht in den Gaststätten aufsuchen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

taz: Sie haben auch ein Praktikum im Wellnesshotel Tanne gemacht. Wie war das?

Lasi: Die Idee dieses Praktikums war, zu schauen, wie es hinter der Küchentür zugeht. Ich habe gelernt, wie man Zwiebeln ganz fein schneidet. Ich war auch beim Frühstücksbuffet dabei und dort für das Braten der Omeletts und Spiegeleier zuständig. Dabei habe ich gemerkt, wie anspruchsvoll dieser Jobs ist, denn es geht nicht nur darum, die Spiegeleier zu braten, sondern man muss gleichzeitig auch noch mit den Gästen kommunizieren und während der Unterhaltung dann lässig ein bisschen mehr Salz auf das Spiegelei streuen. Es stehen zehn Menschen in der Schlange und während man mit der vierten Person redet, muss man sich erinnern, wie die ersten drei Gäste ihr Spiegelei wollten.

taz: Hat man Sie als Pfarrer erkannt?

Lasi: Ich wurde ein paar Mal angesprochen, ein Ehepaar hat ein Foto von mir gemacht und an ihren Diakon geschickt. Ich habe sie gefragt, ob sie ein gesegnetes Spiegelei wollen und ihnen dann mit Schnittlauch ein Kreuz aufs Ei gestreut. Der Chef von der Tanne ist dann immer wieder reingekommen und hat gefragt, ob ich nicht noch ein gesegnetes Spiegelei machen wolle.

taz: Wie gut vertragen sich das Christentum und die gehobene Gastronomie?

Lasi: Ich lebe, um zu glauben, aber ich glaube auch, um das Leben zu genießen, dazu gehören Beziehungen, Freundschaften, Erfolg zu haben, anerkannt zu sein. Aber natürlich auch essen zu gehen, deswegen passt das für mich gut zusammen.

taz: Hätte Jesus ein Problem damit gehabt, in ein Sternerestaurant zu gehen?

Lasi: Ich glaube, dass er keine Berührungsängste gehabt hätte und neugierig gewesen wäre. Vielleicht hätte er ein Problem damit gehabt, wenn das Menü mehrere Hundert Euro kostet, aber es wäre ihm vor allem um die Menschen und den Zusammenhalt gegangen. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie sehr sich die Gastronomen hier in der Region unterstützen, die renommierten Hotels, die Sternerestaurants und die kleineren Gaststätten. Es gibt eine Whatsapp-Gruppe, da wird sich ausgetauscht, ob jemand Erfahrungen mit einer bestimmten Fritteuse hat. Wenn jemandem die Sahne ausgeht, dann wird sofort ausgeholfen. Es ist wie eine große Familie.

taz: Was wünschen Sie sich für die Gastronomen im kommenden Jahr?

Lasi: Ich hoffe, dass die Preise wieder ein bisschen günstiger werden. Manche Gastronomen erzählen, dass der Käse auf einmal das Doppelte gekostet hat. Da wäre ein bisschen Entspannung gut. Vor allem wünsche ich mir aber für die Gastronomen einen positiven Blick in die Zukunft – ich glaube, das brauchen wir alle.

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