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Wie Zusammenleben und Raumgestaltung gelingen könnte. Das Deutsche Architektur Zentrum DAZ in Berlin zeigt zehn Strategien für nachhaltiges Umbauen auf
Von Tom Mustroph
Munter sprudelt das Wasser aus dem Springbrunnen, sogar im Winter. Gut, die zierende Fontäne ist drinnen installiert, in den Ausstellungsräumen des Deutschen Architektur Zentrums Berlin. Eine Anmutung von Erholungsqualität wie einst in barocken Gärten geht von ihr aus, selbst wenn es sich nicht wie dort üblich um edlen Marmor handelt und der Charakter eher temporär ist.
Vier hölzerne Böcke, wie man sie beim Tapezieren unter die Arbeitsplatte legt, sind als provisorische Sitzgelegenheiten strahlenförmig um den kleinen Brunnen arrangiert. Die Anordnung ist Konzept. Die gesamte Ausstellung „Baustelle Transformation. Zehn Strategien für Stadt und Land“ ist auf solchen Böcken installiert.
Sie fußt auf dem gleichnamigen Programm des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten. In ihm geht es um minimalistische Eingriffe in städtische Räume und bestehende Bauten. Weil Neubau, egal wie energiearm die Baustoffe auch produziert wurden, den CO2-Fußabdruck massiv vergrößert, loben die Organisatoren denn auch die bereits gebaute Architektur als „unsere wertvollste Ressource auf dem Weg in eine klimagerechte Zukunft“.
Bedürfnisse und Anforderungen
Wie diese klimaschonend auf aktuelle Bedürfnisse und Anforderungen hin verändert werden kann, wird in den „zehn Strategien“ beispielhaft vorgestellt. Inhaltlich lassen sich diese Strategien zu drei Themenblöcken zusammenfassen: erstens in ernstgemeinte Beteiligung von Bauherren, Nachbarn, Nutzern und Verwaltung. Zweitens in Zwischennutzungskonzepten und vor allem geeigneten Finanzierungsformen dafür. Ein dritter Schwerpunkt von mehreren der Strategien liegt in der intelligenten Gestaltung von Zwischenräumen und -flächen.
Als verhältnismäßig unaufwendiger Ansatz wird das Projekt „Ein Zimmer für dich“ vom Projektbüro Hamburg vorgestellt. Als eine Art Zwischenraum zwischen Öffentlichkeit und privatem Rückzugsraum kann für maximal zwei Wochen ein Zimmer angemietet und als Proben-, Schreib- oder Spielraum, Atelier oder Begegnungsstätte benutzt werden. Der Raum richtet sich an alle, die über begrenzte Räumlichkeiten verfügen und ihr angestammtes Quartier (noch) nicht verlassen wollen oder können. Im Berliner Bezirk Lichtenberg wurde es vor zwei Jahren erstmals umgesetzt.
Größere Dimensionen hat der Umbau des Stadtbads Luckenwalde. Das Berliner Büro Rurbane Realitäten entwickelte dafür neue Beteiligungsformen, lud die Bevölkerung etwa über eine Fahrradrikscha, Postkartenaktionen und einen Anrufbeantworter zum Austausch von Geschichten über das alte Bad und neue Nutzungswünsche ein. Geplant ist, das Stadtbad in einen Kulturort zu verwandeln. Dafür vor den baulichen Eingriffen zu eruieren, welche Arten von Kulturnutzung gewünscht sind und später auch nachgefragt werden, ist sicher sinnvoll.
Tief in den ländlichen Raum, in die Gemeinde Dettmannsdorf (Mecklenburg-Vorpommern), ging die Berliner Architektin Marika Schmidt. Sie gestaltete dort eine Schule und integrierte in das Gebäude auch andere dörfliche Gemeinschaftsräume, wie etwa eine Bibliothek und ein – vor allem in den Ferien genutztes – Jugendwanderquartier. Vorbild waren Gebäudekomplexe in Dänemark, bei denen Schulgebäude unter anderem Arztpraxen und Arbeitsämter beherbergen und somit zu mehrfach genutzten öffentlichen Infrastrukturen werden.
Ehemalige Filiale
Ein Zwischennutzungskonzept einer ehemaligen Kaufhof-Filiale in Stuttgart – laut Ausstellungstext eines von insgesamt 307 (!) bereits geschlossenen Warenhäusern des Unternehmens – entwickelte das Stuttgarter Studio Cross Scale. Auch hier steht eine Nutzung durch Kulturakteure im Vordergrund. Beispielgebend könnte dabei das bereits 2004 eröffnete Kulturkaufhaus der diesjährigen Kulturhauptstadt Europas, Chemnitz, sein. Es enthält in einer leer gezogenen Kaufhof-Filiale Ausstellungsräume, Cafés, Volkshochschule und Stadtbibliothek.
Größer dimensioniert ist wiederum das NRE-Gelände im holländischen Eindhoven. Die dortige Stadtverwaltung legte bei der Umgestaltung des ehemaligen Gaswerk-Areals vor allem Wert auf die Zwischenräume. Diese „shared spaces“ können Spazierweg, Grillfläche, Vorgarten oder Spielplatz sein. Über manche Flächen staksten gar Hühner – rurale und urbane Elemente sind hier glücklich vereint.
Die Ausstellung und das vom Jovis Verlag herausgegebene Begleitbuch bieten zwar keine allumfassenden Lösungen für Großprobleme wie den innerstädtischen Wohnungsmangel. Abseits der quantitativen Debatten um den großsprecherisch angekündigten „Bauturbo“ der aktuellen Bundesregierung fokussieren die Fachleute hier dankenswerterweise auf inhaltliche Aspekte und die Qualitäten des Zusammenlebens und Zusammengestaltens. Dazu passt ein Sinnieren am Brunnenrand doch perfekt.
„Baustelle Transformation. Zehn Strategien für Stadt und Land“ D A Z – Deutsches Architektur Zentrum Berlin. Bis 1. März 2026
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