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Bratäpfel mit Gefrierbrand

Deutschlands höchster Weihnachtsmarkt auf dem Watzmann hat einige Überraschungen zu bieten

Auch auf dem Watzmann glüht der erhitzte Wein Foto: dpa

Von Patric Hemgesberg

Es ist vollbracht! Zehn Stunden hat der Aufstieg über die Watzmann-Ostwand gedauert. Nun hat es unsere Seilschaft endlich auf die Mittelspitze von Deutschlands dritthöchstem Berg geschafft. Belohnt werden wir mit Wohlgerüchen nach Anis, Zimt und gebrannten Mandeln. Auf dem zu beiden Seiten steil abfallenden Grat aus brüchigem Kalkfelsen fühlen wir uns allerdings extrem unsicher. Zum Glück hilft Leopold Hundsbichl uns beim Ablegen der bleischweren Bergsteigermontur.

„Herzlich willkommen auf dem Berchtesgadener Höhen-Weihnachtsmarkt!“, haucht der Urbayer zitternd Kondenswölkchen in die minus 17 Grad kalte Atemluft. Im Alpenstädtchen ist Hundsbichl Vorsitzender des örtlichen Gewerbevereins und Leiter des Ordnungsamtes in Personalunion. Für den 47-jährigen CSU-Politiker kein Widerspruch. „Wie hätte ich auch sonst ohne Sicherheitskonzept an die Genehmigung für unseren klimawandel-resistenten Tourismusmagneten kommen sollen?“

Während einem im Tal bei frühlingshaften Temperaturen die Lust aufs Glühweintrinken vergehe, so unser Gastgeber, sei die Weihnachtsstimmung hier oben dank eisiger Mordskälte garantiert. „Und das noch auf Jahre hinaus!“, jubelt Hundsbichl in den aufziehenden Schneesturm. „Kommen Sie!“

Auf der verschneiten und teilweise nur einen Meter breiten Piste Richtung Hocheck kommen wir trotz Steigeisen nur langsam voran. Zwischen schräg stehenden Rostbratwurst-Buden, Lebkuchen-Häuschen und Wachskerzen-Ständen klaffen auf dem Markt immer wieder Lücken.

„Dass die Befestigungsseile der Hütten bei klirrendem Frost irgendwann spröde werden, reißen und in die Tiefe rauschen, lässt sich leider nicht vermeiden“, lacht Hundsbichl. Der Spaß beim Besuch der winterlichen Advents-Gaudi komme aber trotzdem nicht zu kurz. „Die ins Tal gerutschten Pop-up-Verschläge werden sofort aus der Luft ersetzt. Achtung!“

Als plötzlich aus dem Nichts ein Hubschrauber der Bundeswehr auftaucht, um den nächsten Schwung an solventen Touristen abzuseilen, bringen wir uns mit Hundsbichl schnell in Sicherheit. Sorgen, dass die ständigen Vibrationen durch Shuttle-Flüge dem Ökosystem schaden könnten, hat der Süddeutsche überhaupt nicht. „Ganz im Gegenteil! Für die Artenvielfalt ist der Weihnachtsmarkt ein absoluter Segen. Viele Besucher gehen­ direkt nach ihrer Ankunft verloren und verfranzen sich hoffnungslos im weitläufigen Watzmann-Massiv. Sehr zur Freude der hiesigen Bartgeier-Bestände. Pfundig, gell?“

Es ist früher Vormittag. Wir haben uns mit Hundsbichl auf Schneeschuhen durch den dichten Eisnebel bis vor einen Glühweinstand gekämpft. Auf eine wärmende Stärkung hoffen wir allerdings vergebens. Der regungslose Verkäufer hinterm Tresen ist im Überwinterungsmodus und wirkt wie eingefroren. Stattdessen gibt es kalten Jager-Tee aus Hundsbichls Thermoskanne und ein paar Bratäpfel mit Gefrierbrand.

Die Bude nebenan mit polarfähiger Winter-Funktionsbekleidung betreibt das Finanzgenie höchstselbst. „Der Berchtesgadener Höhenweihnachtsmarkt ist der einzige Ort, an dem sich das ohnehin viel zu teure Outdoor-Zeug noch mal mit einem Preisaufschlag von 500 Prozent weiterverkaufen lässt“, quiekt Hundsbichl und reibt sich die wulstigen Fäustlinge. Die Schlange aus bibbernden Gästen in viel zu dünnen Übergangsjäckchen gibt dem findigen Geschäftsmann recht.

Langsam wird es dunkel. Unterbrochen von mehreren Lawinenabgängen haben wir die windschiefe Veranstaltungsbühne erreicht. Weil das abendliche Adventskonzert der Bad Reichenhaller Musikschule wegen des bitterkalten Wetters einseitig abgesagt wurde, muss Hundsbichl unterhaltungsmäßig umplanen. Auf seine Anweisung wird Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner als Zweitbesetzung aus einer Gletscherspalte gezogen. Der alpine Mahner aus Südtirol soll auf dem Plateau als wütender Grinch ohne Zehen spuken und die Gäste zurück ins Basislager treiben. Danach ist für heute ausnahmsweise schon Schluss.

„Ab 20 Uhr wird der Markt von Markus Söder und Gefolge für das Herstellen neuer Fressfotos benötigt“, freut sich Hundsbichl über eine saftige Geldspritze aus der bayerischen Staatskasse. Den Entrepreneur befällt beim Gedanken an randvolle Kassen ein Moment der Rührung. Seine Augen füllen sich m’it Tränen. Vielleicht ist es aber auch nur der schneidende Nordwind. „Schließlich ist Beschenktwerden seliger als Schenken“, ruft uns Leopold Hundsbichl beim Abstieg mit messianisch ausgebreiteten Armen hinterher. Noch im talwärts gelegenen ­Hotel meinen wir den Weihnachts-Guru von der Mittelspitze vorfreudig singen zu hören. „Morgen, Kinder, wirds was geben“.

Der Watzmann ruft!

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