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Autobiografie von Mascha AljochinaDer Kampf von Pussy Riot gegen eine Welt ohne Seele

Mascha Aljochina erzählt in „Political Girl“, wie sie zu Pussy Riot kam. Die Gruppe kämpft weiter gegen Patriarchat, Kirche und russischen Staat.

Mascha Aljochina (r) mit Pussy Riot bei einem Konzert in Berlin 2022 Foto: David Baltzer

Mit einem Punkgebet ist Maria „Mascha“ Aljochina berühmt geworden. Mit ihrer Gruppe Pussy Riot stieß sie es 2012 in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau aus. „Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin!“, lautete die Fürbitte des russischen Performance-Kollektivs. Doch die Jungfrau hat nicht geliefert.

In Aljochinas Autobiografie „Political Girl“ lässt sich nun ihr Weg in die Fundamentalopposition gegen die fortschreitende Diktatur in Russland nachverfolgen. Aljochina, 1988 geboren, geht in Krylatskoje im Westen Moskaus zur Schule, sie ist geprägt von Punk und von den Songs der oppositionellen So­wjet­künst­le­r:in­nen Janka Djagilewa und Viktor Zoi. Letzterer forderte mit seiner Rockband Kino in den Achtzigern: „Ich will Veränderung.“

Aljochina ist schon früh anders als ihre angepassten Mitschüler:innen. Später sind die Suffragetten ihre Vorbilder, Trost findet sie inmitten der totalitären Diktatur bei Hans Fallada und dessen Roman „Jeder stirbt für sich allein“.

Aljochina geht in den nuller Jahren zu Greenpeace, dann zum Künstlerkollektiv Woina und schließlich zu Pussy Riot. Alle Performances ihrer Gruppe beschreibt sie noch mal: das Punkgebet, für das sie eineinhalb Jahre in ein Straflager kam, die Proteste in Sotschi bei den Olympischen Spielen 2014, wo Pussy Riot von Sicherheitskräften mit Peitschen attackiert werden, die grandiose Aktion, bei der sie zu Putins Geburtstag Staatsgebäude mit Regenbogenflaggen verzieren. Als sie 2014 nach Nischni Nowgorod zurückkehren, werden sie von einem Schlägertrupp empfangen und mit Farbe, Essensresten und Metallgegenständen angegriffen. Das Zentrum E (für Extremismusbekämpfung) habe die Attacke initiiert, schreibt Aljochina.

Das Buch

Maria Aljochina: „Political Girl. Pussy Riot – Leben und Schicksal in Putins Russland“. Aus dem Englischen von Nina Frey und Stephan Pauli. Berlin Verlag, Berlin 2025, 528 Seiten, 26 Euro.

Der Körper muss dem Staat gehören

Wie lebt es sich als Feministin in Russland? Aljochina schreibt über die Lüge der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Sowjetunion und die Allianz von Kirche und Staat im Kampf gegen weibliche Selbstbestimmung im heutigen Russland. Den einflussreichen russisch-orthodoxen Priester Andrej Tkatschew zitiert sie mit den Worten: „Man muss eine Frau übers Knie legen, ihr die Hörner ausreißen, sie verbiegen und abreiben, in die Waschmaschine stopfen. Ein Mann muss eine Frau zu hundert Prozent brechen!“ Aljochina analysiert die Körperpolitik des Regimes: „Warum brauchen sie das Patriarchat? Der Körper muss dem Staat gehören. Dem Körper einer Frau darf nicht erlaubt werden, selbst zu entscheiden, ob er gebären will. Dem Körper eines Mannes darf nicht erlaubt werden, selbst zu entscheiden, ob er in den Krieg ziehen will.“

Eine wie Aljochina muss aus einem solchen Land natürlich irgendwann fliehen – im Mai 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs, gelingt ihr das, obwohl sie unter Hausarrest steht.

Aljochina erinnert in ihrem Buch an oppositionelle Politiker:innen, Aktivist:innen, Journalist:innen, ob tot oder lebendig. Über die autoritäre Achse Nordkorea, Iran, China, Belarus schreibt sie treffend: „Die Welt, die sie aufbauen, ist eine Welt, der die Seele ausgesaugt wurde.“

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1 Kommentar

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  • Mal zurückgeblättert:



    2012 spiegel.de



    "Langsam dämmert auch Kreisen der russischen Orthodoxie, dass sich Kreml und Kirche einen Bärendienst erwiesen haben könnten mit der gleichermaßen unbarmherzig und bizarr anmutenden Strafverfolgung der drei Frauen.



    Ein hartes Urteil werde nicht die erhoffte abschreckende Wirkung haben, warnt der orthodoxe Intellektuelle und Geistliche Andrej Kurajew. Im Gegenteil: Die Kirche provoziere Nachahmungstäter und leiste einer Radikalisierung der Opposition Vorschub. In Russland habe es "noch nie einen Mangel an jungen Extremisten" gegeben, mahnt Kurajew."



    Aus Kalkül damals:



    "Kreml-Chef Wladimir Putin dagegen schwang sich zum obersten Richter auf und verlangte öffentlich - ebenfalls bei einer Olympia-Stippvisite - die jungen Frauen "nicht zu hart" zu verurteilen."



    Wenn ich heute über Alexander Dugin, Carl Schmitt u. Martin Heidegger lese, sehe ich wie b. dem Normandie-Format u. den Minsker Beschlüssen die Naivität, mit der blauäugig offensichtliche Motive beiseite geschoben wurden, um vermeintlich Stabilität zu sichern.



    Damals noch d. Titel:



    "Pussy-Riot-Prozess



    Der Fehler der unbarmherzigen Kirche



    Die einen wollen sie "auf dem Scheiterhaufen" sehen..."