piwik no script img

Pussy Riot für UkraineMaria, erlöse uns von Putin

Einfache, aber keine vereinfachenden Wahrheiten: Die russische Punkband Pussy Riot kam mit einem Drei-Punkte-Appell in die Berliner Volksbühne.

„Schau hin!“, schreien die PerformerInnen. Pussy Riot in der Volksbühne, Berlin Foto: David Baltzer/Bildbühne

Sind Sie frei?“ schreit Maria Aljochina ins Mikrofon. Auf der Leinwand sind die Aufnahmen eines russischen Gefangenentransporters zu sehen. Mit dieser Frage konfrontierte die Pussy Riot-Aktivistin einst eine Angestellte der Strafkolonie, die der politischen Gefangenen den Moment ihrer Entlassung mit genau denselben Worten – aber im Imperativ – ankündigte. Sind die Menschen, die für die Autokratie arbeiten oder sie geschehen lassen, frei?

Aljochina hat, als sie diese Frage von der Bühne donnern lässt, die Geschichte ihrer feministischen Rebellion gegen die herrschenden Strukturen eines autokratischen Staates (bis zum Zeitpunkt ihrer Haftentlassung im Dezember 2013) zu Ende erzählt. Was im Raum stehen bleibt, ist diese Frage. Sie wandert mit den Bühnenscheinwerfern, die sich dem Saal zuwenden und ihn grell illuminieren, in die Zuschauerreihen, trifft einen unvorbereitet, schutzlos und geht genau darum rein in eine Bewusstseinsschicht, die sich weit unter dem antrainierten Schutzfilm befindet.

Querflöte, die wie eine Sirene klingt

Seit ihrer spektakulären Flucht aus dem Moskauer Hausarrest im vergangenen April tourt Maria Aljochina mit „Pussy Riot perfoms Riot Days“ durch Europa. Ihren ersten Auftritt hatte sie im Mai im Berliner Funkhaus an der Nalepastraße. Nach sieben Monaten Tour kehrte sie in die deutsche Hauptstadt zurück und rockte am Donnerstag die Volksbühne. Im Theater am Rosa-Luxemburg-Platz kommt die Pussy-Riot-Bühnenshow besser zur Geltung als im Funkhaus. Das zeigt sich vor allem in der größeren Videoleinwand und in der ausgefeilteren Lichttechnik. Auch passen hier auf die Bühne spielend fünf PerformerInnen, im Funkhaus waren es gedrängt vier.

Tasso Pletner erweitert die Instrumentenpalette um die Querflöte, die bei ihr wie eine Sirene klingt. Diana Burkot ist am Schlagzeug und am Pult für die vorwärtspeitschenden Beats verantwortlich. Anton Ponomarew entlockt dem Saxophon hysterisch-kreischende Töne. Während Olga Borisova und Maria Aljochina den russischen Leadpart übernehmen. Die übertitelte Performance enthält zu einem großen Teil dieselbe Erzählung wie im Mai, es ist die Vertonung und Bebilderung von Aljochinas biographischen Aufzeichnungen „Riot Days“.

Maria und Maria Magdalena

Es sind einfache, aber alles andere als vereinfachende Wahrheiten, die mit schnellen Bässen unterlegt im packenden Punk-Aufklärungs-Agitprop verkündet werden: So ist es vor allem die Verzahnung von kirchlichen und staatlichen Machtstrukturen, die Pussy Riot, 2011 gegründet, von Anfang an in ihrer Heimat Russland kritisieren.

Ein Jahr später gibt es dann den großen Skandal mit dem (41 Sekunden dauernden) Punk-Gebet in der Moskauer Christi-Erlöser-Kathedrale. Einem nach dem Zerfall der UdSSR neuerbauten gigantischen Gotteshaus, in dem Patriarch Kirill und Wladmir Putin gern den Schulterschluss zwischen orthodoxer Kirche und autokratischem Herrschertum demonstrieren. Maria Aljochina unterlegt die stummen Bilder mit den Worten von damals: „Maria, erlöse uns von Putin!“ Pussy Riot ordnete im Punk-Gebet Maria und Maria Magdalena, zwei zentrale Frauenfiguren des Neuen Testaments, in einen feministischen Kontext ein.

In der Ukraine gibt es keine Nazis

„Schau hin!“ schreien alle PerformerInnen immer wieder, als in schneller Folge Fotos von politischen Gefangenen gezeigt werden, die momentan in Russland ihrer Freiheit beraubt werden. Als Zugabe gibt es den neuen Ukraine-Song, der am 24. Dezember auf Youtube gestellt wurde. Es ist auch die Vertonung eines Telefongesprächs zwischen einem russischen Soldaten und seiner Mutter: „Mama, bitte schalte den Fernseher nicht ein! In der Ukraine gibt es keine Nazis.“ In dem Lied wirft Pussy Riot dem Westen vor, Russland in den letzten zehn Jahren Waffen geliefert zu haben.

Und so endet der Abend mit einem radikalen Drei-Punkte-Appell, der so auch auf dem Youtube-Video zu finden ist: 1. Embargo auf russische Waffen, Gas, Erdöl und Kohle. 2. Einfrieren aller Konten und Immobilien von russischen Funktionären und Oligarchen. 3. Putin und allen für den Angriffskrieg Verantwortlichen wird der Prozess gemacht. „Ukraine, ich liebe dich“, singen Aljochina und Borisowa.

Pletner hat unterdessen ein Putin-Porträt an den Tisch gelehnt, stellt sich auf den Tisch, blickt auf das Poträt runter, nimmt eine Wasserflasche, schüttet sich den Inhalt in den Ausschnitt und wartet, bis das Wasser sich auf Putins Kopf ergießt, als würde sie auf ihn pissen. Die Pussy-Riot-T-Shirts und Hoodies gehen nach dem Konzert weg wie warme Semmeln. Man weiß, mit den Einnahmen wird ein Kiewer Krankenhaus unterstützt, und wird gern zum Gratis-Werbeträger für einen David, der einfach nicht aufhört, sich mit Goliath anzulegen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!