CDU-Justizministerin zu SBGG-Missbrauch: „Die Justizvollzugsanstalt ist ein Intimbereich“
Sachsens Justizministerin Geiert geht das Selbstbestimmungsgesetz zu weit. Es gefährde auch trans Personen. Und bei Catcalling? Da helfe kein Strafrecht.
taz: Frau Geiert, Sie sind erst die zweite Justizministerin in Sachsen. Sind Sie Feministin?
Constanze Geiert: Ich bin eine Frau, die deutlich für starke Frauen in der Gesellschaft und Frauen in Führungspositionen eintritt. Aber ich würde mich nicht als Feministin bezeichnen.
ist 49 Jahre alt, CDU-Mitglied und stammt aus Dresden. Dort amtiert sie seit 2024 als Justizministerin des Sächsischen Freistaats. Zuvor war sie stellvertretende Richterin am Verfassungsgerichtshof Sachsen.
taz: Was verstehen Sie unter Feminismus?
Geiert: Der Begriff ist in meiner Wahrnehmung vollgestopft mit allerlei politischen Inhalten, mit denen ich nichts anfangen kann. Mir sind Chancengleichheit, Leistung und Akzeptanz aller Lebensentwürfe – auch der sogenannten klassischen Rollenverteilung – wichtig. Feminismus, so nehme ich wahr, setzt dagegen auf Quoten und Pauschalisierungen. Starke Frauen brauchen aber kein Label.
taz: Wie finden Sie es, dass die Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) angekündigt hat, verbale sexuelle Belästigung und voyeuristische Aufnahmen strafrechtlich verfolgbar zu machen?
Geiert: Ich finde das nicht richtig.
taz: Warum nicht?
Geiert: Zum einen halte ich es aus dogmatischen Gründen für verfehlt, für jedes vorwerfbare Verhalten einen Sonderstraftatbestand zu schaffen. Das bringt Rechtsunsicherheit und Rechtsunklarheit. Juristen sind so ausgebildet, dass sie einzelne Gesetze auf eine Vielzahl von Fällen anwenden können. Das Gesetz muss nicht jeden Einzelfall gesondert abbilden, sondern muss kohärent und systematisch bleiben.
taz: Und der andere Punkt?
Geiert: Verbale sexuelle Belästigung ist zwar ein vorwerfbares Verhalten, aber eben nicht zwingend strafrechtlich vorwerfbares Verhalten. Das Strafrecht ist das schärfste Schwert des Staates, diese Taten überschreiten nicht die dafür nötige Schwelle. Ich erinnere mich selbst gut daran, wie solche Vorfälle auf einen persönlich wirken. Aber es ist die Gesellschaft, die das ahnden und verändern muss – nicht die Strafjustiz.
taz: Wie denn?
Geiert: Indem wir das Problem immer wieder benennen und Frauen ermutigen, sich zu wehren. Das hat auch schon geklappt: Was Männer sich vor 20 Jahren auf der Straße erlaubt haben, erlauben sie sich heute nicht mehr. Wir müssen diesen Weg weitergehen, gesellschaftlich Druck zu machen. Ein Straftatbestand würde daran nichts ändern.
taz: Betroffene berichten von Angstzuständen und darüber, dass sie sich verfolgt fühlen.
Geiert: Wenn jemand aufgrund solcher Taten in psychische Problemlagen kommt, ist das ernst zu nehmen. Da muss man gegen vorgehen. Aber was hat derjenige davon, dass der andere dafür bestraft wird? Das wäre pure Genugtuung, diese nimmt der Person nicht die psychische Belastung. Ich bleibe dabei: Solche Vorfälle lassen sich nicht wirksam durch das Strafrecht verhindern.
taz: Das Strafrecht wirkt da nicht abschreckend?
Geiert: Nein.
taz: Nein?
Geiert: Nein, nicht in solchen komplexen Konstellationen. Ich glaube nicht, dass ein Straftatbestand jemanden davon abhält, einer Frau einen blöden Spruch hinterherzuschicken. Ich gehe noch weiter: Wenn es einen Straftatbestand gäbe und ein Opfer, das solche Folgen davonträgt, erstattet Anzeige, dann ginge für diese Person eine Tortur los. Am Ende würde bei diesen Fällen ganz oft ein Freispruch herauskommen, weil sie schwer beweisbar sind. Was haben Sie dann für das Opfer getan, wenn Sie diesen Straftatbestand geschaffen haben? Hinzu kommt die fehlende Klarheit, was unter den Tatbestand Catcalling fallen würde. Ab wann ist eine Schwelle überschritten, wann nicht? Abschreckende Wirkung wird nur bei ganz klaren Tatbeständen geschaffen. Eine solche Klarheit können wir nicht in ein mögliches Gesetz bringen.
taz: Wie stehen Sie zur Kritik am Begriff „Catcalling“? Sollte man Frauen Kätzchen nennen?
Geiert: Frauen sind keine Kätzchen. Punkt. Aber allein diese Debatte zeigt, wie schwierig das Thema ist.
taz: Sie haben im Oktober mit den Justizministerinnen aus Thüringen und Sachsen-Anhalt eine Erklärung veröffentlicht. Darin fordern Sie auch eine Reform des Selbstbestimmungsgesetzes. Standesämter sollen, wenn sie Missbrauch des Gesetzes vermuten, eine Prüfung anordnen können. Warum?
Geiert: Weil es Menschen gibt, die dieses Gesetz für sich ausnutzen, Punkt eins. Punkt zwei: Weil ich eine Gesellschaft erlebe, die aufgrund dieser sehr liberalen Regelung den Änderungen des Personenstands nicht vertrauen. Deshalb werden Menschen, die ihren Geschlechtseintrag geändert haben, tagtäglich im gesellschaftlichen Kontext einer Prüfung unterzogen. Das finde ich unsäglich.
taz: Wie sieht die Prüfung der Gesellschaft denn aus?
Geiert: Die Gesellschaft misstraut diesen Leuten. Sie fragt sich: Ist es Missbrauch?
taz: Was wäre Missbrauch?
Geiert: Wenn eine Person ihren Personenstand ändert, obwohl sie keine trans Person ist. Wenn sie damit den Staat vorführen oder in Schutzräume von Frauen vordringen möchte.
taz: Und wenn die Standesämter wieder prüfen, würde der nicht so liberale Teil der Gesellschaft den geänderten Geschlechtseintrag eher anerkennen?
Geiert: Ich glaube schon. Die Gesellschaft sieht dann, dass man dieses Gesetz nicht einfach nach Gutdünken ausnutzen kann, wenn es eine anlassbezogene Vorprüfung gibt. Für die Gesellschaft ist dann klar: Wer seinen Personenstand ändert, macht das aus nachvollziehbaren Gründen. Das würde zum gesellschaftlichen Frieden beitragen. Wie läuft denn derzeit die gesellschaftliche Diskussion? Da heißt es: „Ich bin heute das und morgen das und dann wieder das.“ Wir brauchen nicht darüber diskutieren, dass das überzogen ist. Aber die Debatte ist da.
taz: Wenn das überzogen ist, warum sollte man darauf eingehen? Es gibt es doch schon Regeln, die Missbrauch verhindern.
Geiert: Was für Gesetze gibt es denn, um diesen Missbrauch zu verhindern?
taz: Hier in Sachsen gibt es zum Beispiel das Strafvollzugsgesetz. Dort kann im Einzelfall von der binären Geschlechtertrennung nach Männern und Frauen abgewichen werden. Die zugehörige Verwaltungsvorschrift sieht vor, dass die Vollzugsbeamt:innen ärztlich und psychologisch prüfen lassen können, ob die Geschlechtsidentität vorgeschoben ist, um die Vollzugsbedingungen zu manipulieren.
Geiert: Eine Verwaltungsvorschrift ist kein Gesetz. Das Strafvollzugsgesetz allein berücksichtigt nur, ob die Unterbringung von Personen zu einer Verletzung der Sicherheit und Ordnung innerhalb der Justizvollzugsanstalt führt. Berührt die Unterbringung den Schutzraum von Frauen oder Männern? Entstehen daraus Probleme? Das ist etwas anderes, als zu prüfen, ob der Personenstand zu Recht oder Unrecht geändert wurde. Die Mitarbeiter im Strafvollzug kennen sich zwar damit aus, wie man Menschen resozialisiert oder wie man sie in Ausnahmesituationen psychisch zu behandeln hat. Aber sie sind nicht dazu ausgebildet, herauszufinden, ob jemand das Selbstbestimmungsgesetz missbraucht.
taz: Trotzdem lässt sich mit dem Strafvollzugsgesetz doch verhindern, dass Männer das Selbstbestimmungsgesetz missbrauchen, um in den Frauenvollzug zu kommen.
Geiert: Das Problem entsteht nicht erst, wenn die Person in den Strafvollzug aufgenommen wird. Es genügt, dass ein solcher Wechsel ansteht, das bekommen die Frauen mit. Der Frauenvollzug ist ein ganz sensibler Bereich. Da kommen Frauen unterschiedlichster Prägung zusammen, alle haben ihr Päckchen zu tragen. Die Frauen sollen sich dort in Ruhe mit ihren Taten auseinandersetzen können, um später eine Resozialisierung zu ermöglichen. Und ein Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes bringt Unruhe in die Justizvollzugsanstalt. Selbst wenn der Mann dann in ein anderes Gefängnis kommt: Es greift in den Intimbereich dieser Frauen ein. Die Justizvollzugsanstalt ist ein Intimbereich. Das wirkt vorher Wochen, das wirkt nachher Wochen.
taz: Es sind wenige Sondersituationen, in denen so ein Missbrauch überhaupt möglich ist. Dafür soll dann allen, die beim Standesamt ihren Geschlechtseintrag ändern möchten, eine Prüfung drohen, wenn die Beamt:innen das möchten?
Geiert: Nicht, wenn der Standesbeamte es möchte – sondern wenn er berechtigte Zweifel daran hat, dass jemand den Geschlechtseintrag rechtmäßig ändern möchte. Da gibt es keine Willkür des Standesbeamten. Ich gehe davon aus, dass der Einzelne seine Arbeit nach Recht und Gesetz macht. Genau deswegen möchte ich eine Rechtsgrundlage für eine Missbrauchsprüfung im Gesetz. Das haben wir auch schon bei Scheinehen.
taz: Zur Ehe hat unsere Gesellschaft aber ein anderes Verhältnis als zum Geschlechtseintrag. Das ist sicher auch unter Beamten so. Wenn die bei der Änderung prüfen können, dann werden die das machen.
Geiert: Das klingt nach einem grundsätzlichen Misstrauen gegen Beamte, da mache ich nicht mit. Wenn ein Standesbeamter zu Unrecht prüfen will, dann kann man zum Gericht gehen und klagen.
taz: Seitdem das Selbstbestimmungsgesetz vor einem Jahr in Kraft trat, haben 22.000 Menschen ihren Geschlechtseintrag geändert. Das zeigt, wie hoch die Hürde durch die Gutachten war, die bis dahin vorgelegt werden mussten.
Geiert: Dahin will ja keiner zurück. Aber Missbrauch muss – auch im Sinne der Betroffenen – verhindert werden.
taz: Wenn bei jeder Änderung des Geschlechtseintrags eine Prüfung möglich ist, baut das wieder eine Hürde auf.
Geiert: In einer idealtypischen Gesellschaft würde die Änderung des Geschlechtseintrags ohne jede Hürde funktionieren, und ich fände das klasse. Wenn Menschen im falschen Körper geboren sind, sollen sie ihr Geschlecht ändern können. Wenn sich nach zwei Jahren herausstellt, es ist doch anders, sollen sie es auch wieder zurückändern. Ich sage: Lasst uns das Selbstbestimmungsgesetz reformieren und für Menschen, die das ausnutzen wollen, eine Hürde einbauen. Das würde die gesellschaftliche Diskussion befrieden und den Interessen der Sicherheitsbehörden wie denen des Justizvollzugs gerecht werden, aber auch trans Personen schützen.
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