Kurden im Iran: Die Vergessenen
Die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung in Iran erhält kaum Beachtung. Obwohl gerade von ihr Hoffnung auf politischen Wandel ausgeht.
Z wölf Tage lang standen sich Iran und Israel im Sommer in einem aktiven Krieg gegenüber. Doch auch abseits der Auseinandersetzung mit den USA und Israel gibt es weitere Kriegsschauplätze in Iran. So verstärkte das iranische Regime wenige Tage nach den israelischen Luftangriffen den Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Landesweit wurden Hunderte Iraner verhaftet und der „Spionage für Israel“, „Propaganda gegen den Staat“ oder „Störung der öffentlichen Meinung“ beschuldigt.
Ein Großteil der Verhaftungen erfolgte in den Provinzen mit einer kurdischen Bevölkerungsmehrheit. Das Dokumentationszentrum Hengaw berichtet über nahezu täglich vollstreckte Todesurteile. Dabei ist auffällig, dass der Anteil der Kurden, die nur etwa zehn Prozent der iranischen Bevölkerung ausmachen, an Hinrichtungen, Verhaftungen und politischer Verfolgung stets unverhältnismäßig hoch ist.
Seit Beginn des Regimes im Jahr 1979 befindet sich das Land in einem andauernden Krieg, der sich jedoch nicht nur außerhalb, sondern insbesondere innerhalb der Landesgrenzen abspielt. Nach außen hin fordert das iranische Regime Waffenruhe, um im Inneren unbehelligt seine Repressionen fortzusetzen.
Verwunderlich ist jedoch, dass sich Teile der iranischen Opposition im Ausland sowie mehrere linke Gruppierungen außerhalb Irans in einem Punkt mit dem islamischen Regime einigen können: Wenn Regierungsgebäude bombardiert werden, ist es eine nicht hinnehmbare Katastrophe und wenn dabei Zivilisten sterben, können plötzlich Beileidsbekundungen öffentlich geteilt werden.
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Eine bittere Frage
Dass erst auf das Völkerrecht gepocht wird, nachdem Israel und die USA iranisches Territorium angegriffen hatten, wirft eine bittere Frage auf: Gilt das Völkerrecht innerhalb der Landesgrenzen nicht, wenn das Regime seit Jahrzehnten mordet und foltert? Gilt territoriale Souveränität erst dann, wenn es darum geht, das Regime nach außen zu schützen, aber nicht, wenn es nach innen ganze Bevölkerungsgruppen systematisch entrechtet?
Oft bleibt unerwähnt, dass es das monoethnische iranische Volk gar nicht gibt und dass sich ausgerechnet die vermeintliche Mehrheitsgesellschaft passiv verhält. Seit Jahrzehnten sind es die Kurden, Belutschen, Luren, Afghanen, Araber und weitere Minderheiten, die sich gegen das Regime stellen und dabei den höchsten Preis zahlen.
Auch während der letzten großen Protestbewegung von 2022 nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini kam die treibende Kraft von Minderheiten und vor allem von Frauen. Sie organisierten sich, demonstrierten, wurden festgenommen und getötet, während die Mehrheitsgesellschaft, die internationale Zivilgesellschaft und die Politik diesen Protesten nicht genug Unterstützung entgegenbrachten und keinen ausreichenden Druck von innen und außen ausübten.
Insbesondere die iranische Mehrheitsgesellschaft im Ausland hat sich nicht mit ihrem eigenen repressiven Verhalten auseinandergesetzt. Sie pocht weiterhin auf eine Hegemonie, die nationalistische sowie islamistische Positionen im Iran teilt. Viele davon wünschen sich den Fortbestand des zentralistischen Staates anstatt eines multiethnischen Föderalismus.
Nicht auf eine Führungsfigur setzen
Dafür wird eine Führungsfigur gewünscht, die den politischen Wandel ausrufen soll. Doch die Geschichte zeigt, dass solche Anführer oft selbst zum Ziel des Regimes werden: Sie werden verhaftet, hingerichtet oder ins Exil gezwungen. Wer nicht eliminiert wurde, reiht sich in die Kontinuität der autoritären Macht ein, von einem Alleinherrscher zum nächsten.
Als der Schah beispielsweise eine größere Autonomie der iranischen Kurden ablehnte, beteiligten sich viele Kurden an den Demonstrationen Anfang 1979, die zum Sturz des Schahs und zur Machtergreifung von Ayatollah Khomeini in Teheran führten. Doch schnell entpuppte sich das wahre Gesicht der Islamischen Revolution: Kurdische politische Führer wurden 1979 von der Teilnahme an der Ausarbeitung der neuen Verfassung ausgeschlossen. Die neue Regierung wollte den Minderheiten erneut keine Autonomie zugestehen.
Gerade jetzt sollte man sich auf die Idee einer pluralistischen Demokratie konzentrieren. Dass selbst die verschiedenen kurdischen Parteien im Iran, die sich sonst eher gegenseitig im Weg stehen, als an einem Strang zu ziehen, zu ähnlichen Positionen kommen, macht Hoffnung. Dass Demokratisierung der einzige Weg zu Frieden sei, dass alle Völker im Iran wie auch die Azeris und Belutschen für ihre Rechte einstehen müssen, dass Aufstände etwas bewirken können, wenn unterschiedliche Meinungen dabei akzeptiert und toleriert werden.
Wer jedoch jeden Wunsch auf Mitsprache von Kurden, Belutschen und religiösen Minderheiten pauschal als „Separatismus“ diffamiert, zeigt, dass er nicht die Sprache der Freiheit spricht, sondern die Logik der gescheiterten nationalistisch-zentralistischen Staaten weiterführen will. Die Hoffnung auf echte Veränderung liegt nicht in Einzelpersonen, sondern in kollektiver Organisation, dezentralem Widerstand und politischem Bewusstsein.
Ein Megafon für politischen Wandel
Wer es mit der Solidarität mit der Bevölkerung im Iran ernst meint, sollte nicht erneut abwarten, bis der Status quo sich selbst regelt. Gerade jetzt muss Europa Haltung zeigen. Gemeint sind klare, konsequente Sanktionen gegen das Regime, Schutz für Oppositionelle und Unterstützung demokratischer Bewegungen – ohne eine deklarierte Führungsperson an der Spitze zu verlangen. Seit der Eskalation mit Israel im Sommer hat sich die Situation vor Ort kaum verbessert. Laut Beamten und Aktivisten verschärfen die iranischen Behörden die Razzien der inneren Sicherheit im ganzen Land mit Massenverhaftungen, Hinrichtungen und Militäreinsätzen. Solidarische Akteure im Ausland müssen als Megafon für einen politischen Wechsel auftreten.
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