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Post Covid und SuizidEine Zahl, die alarmieren sollte

Barbara Dribbusch

Kommentar von

Barbara Dribbusch

Immer mehr Post-Covid-Betroffene bitten um Suizidhilfe. Es wird dringend Zeit, dass Auflärung zu der Krankheit in die Mitte der Gesellschaft rückt.

Long Covid Awareness Day: eine Protestaktion vor dem Reichstag, Berlin, am 15.3.2024 Foto: ipon/imago

E s war eine denkwürdige Kombination: Die Betroffenenhilfe für Post-Covid-Erkrankte (PiER) und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) luden am Donnerstag zu einer gemeinsamen Pressekonferenz. Der Auslöser: Immer mehr Menschen, auch unter 30 Jahren, die schwerst an Post Covid beziehungsweise an ME/CFS erkrankt sind, bitten bei der DGHS um Suizidhilfe.

Die Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis/Chronische Fatigue (ME/CFS) entsteht, so bisher der Wissensstand, als Folge einer Viruserkrankung und auch als Folge von Corona. Im letzteren Fall wird es als Post-Covid bezeichnet.

In einigen Fällen entwickelt sich die schwerste Variante der Krankheit: Die Betroffenen können nur noch im Dunkeln und in Stille liegen, haben Schmerzen, können sich nicht selbst versorgen, mit ungewisser Besserungsaussicht.

Innerhalb der vergangenen zwölf Monate hat die DGHS bereits in fünf solcher Fälle bei der Selbsttötung assistiert, drei weitere Anträge auf Suizidhilfe laufen. Die Gesellschaft wollte mit der Pressekonferenz aber keineswegs den Suizid propagieren, sondern vielmehr dazu beitragen, auf das Leid der Schwerstkranken aufmerksam zu machen und auf Mängel in Forschung und Versorgung hinzuweisen.

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Diese Mängel sind erschreckend bei einer Erkrankung, von der je nach Schätzung in Deutschland 650.000 bis 1,5 Millionen Menschen im Jahr betroffen sind. Mehr Aufklärung und ärztliche und pflegerische Weiterbildung sind dringend nötig.

Es klingt gruselig, wenn Gutachter der Pflegekasse einer Betroffenen keinen Pflegegrad zugestehen, weil die Krankheit doch irgendwie „psychisch“ bedingt sei. Es ist ein Zeichen von Hilflosigkeit, wenn Ärz­t:in­nen Betroffenen raten, doch Sport zu treiben, weil dem Leiden angeblich eine Depression zugrunde liege.

Suizid-Hinweis

Hilfe durch Telefonseelsorge

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seel­sor­ge­r*in­nen zu chatten.

Derlei Erfahrungsberichte von Betroffenen sind zahlreich, und sie machen deutlich: Die Krankheit muss durch mehr und präzisere Aufklärung und Information in die Mitte der Gesellschaft rücken, so wie es zum Beispiel bei Krebs und Parkinson in den vergangenen Jahren geschehen ist.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch). Kontakt: dribbusch@taz.de
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2 Kommentare

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  • Seit 2020 können Sterbehilfevereine in Deutschland aktiv sein. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Fälle von Sterbehilfe von Jahr zu Jahr ansteigen. Die 5 zitierten Fälle sagen da erst einmal nichts aus. Aussagekräftiger sind langjährige Zahlenreihen wie z.B. die der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS (s.u.)

    Die im Artikel genannte Zahl von 650.000 an ME/ CFS Erkrankten deckt sich mit der Zahl der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS . Allerdings snd das Vor-Corona Werte. Sollten die Schätzungen aus der Vor-Corona-Zeit und aktuell gleich sein, dann hat Corona keinen nennenswerten Einfluß auf ME/CFS, da es zu keinem Anstieg kam. Da ach der Artikel keinen berichtet, gehe ich davon aus, dass auch die journalistische Recherche nichts ergab.

    Post-Covid wäre dann eine völlig falsche Bezeichnung für die wirklich üble Erkrankung ME/CFS.

    www.mecfs.de/daten...0.000%2520Personen.

  • Bekanntermaßen erkranken überdurchschnittlich mehr Frauen als Männer & vielleicht ist dieser Gender Health Gap die Ursache für das geringe öffentliche Interesse, aber vor allem die mangelnde Bereitschaft, sich in Studien & Forschung damit auseinanderzusetzen. Die zumeist geringer verdienenden Frauen bieten einfach keinen lukrativen Anreiz für börsenorientierte Pharmariesen. Die männliche Medizin hat Jahrhunderte gebraucht in denen sie Endometriose, PCOS, Cushing-Syndrom… mal nicht mit „Hysterie“ abgewatscht, sondern endlich ernsthafte Krankheitsbilder anerkannt hat. Die übrigens in nicht wenigen Ärzteköpfen bis heute nicht angekommen sind, wie viele von Medical Gaslighting betroffene Frauen berichten. Frau kann von der Politik & Medizin nicht wirklich erwarten, sich mit sowas neumodernen wie die Folgen von ME/CFS & den Post- sowie Long Covid Erkrankungen auseinanderzusetzen (sarcasm out)… aber über Fachkräftemangel schwadronieren 🤦🏾‍♀️🤦‍♀️🤦🏻‍♀️

    www.mecfs.de/daten-fakten/



    www.bmg-longcovid..../gastbeitrag-grobe

    Mein Mitgefühl für alle Betroffenen & der Wunsch, den Weg zu finden den jeder individuell für richtig empfindet. 🙏🌺