Post Covid und Suizid: Eine Zahl, die alarmieren sollte
Immer mehr Post-Covid-Betroffene bitten um Suizidhilfe. Es wird dringend Zeit, dass Auflärung zu der Krankheit in die Mitte der Gesellschaft rückt.
E s war eine denkwürdige Kombination: Die Betroffenenhilfe für Post-Covid-Erkrankte (PiER) und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) luden am Donnerstag zu einer gemeinsamen Pressekonferenz. Der Auslöser: Immer mehr Menschen, auch unter 30 Jahren, die schwerst an Post Covid beziehungsweise an ME/CFS erkrankt sind, bitten bei der DGHS um Suizidhilfe.
Die Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis/Chronische Fatigue (ME/CFS) entsteht, so bisher der Wissensstand, als Folge einer Viruserkrankung und auch als Folge von Corona. Im letzteren Fall wird es als Post-Covid bezeichnet.
In einigen Fällen entwickelt sich die schwerste Variante der Krankheit: Die Betroffenen können nur noch im Dunkeln und in Stille liegen, haben Schmerzen, können sich nicht selbst versorgen, mit ungewisser Besserungsaussicht.
Innerhalb der vergangenen zwölf Monate hat die DGHS bereits in fünf solcher Fälle bei der Selbsttötung assistiert, drei weitere Anträge auf Suizidhilfe laufen. Die Gesellschaft wollte mit der Pressekonferenz aber keineswegs den Suizid propagieren, sondern vielmehr dazu beitragen, auf das Leid der Schwerstkranken aufmerksam zu machen und auf Mängel in Forschung und Versorgung hinzuweisen.
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Diese Mängel sind erschreckend bei einer Erkrankung, von der je nach Schätzung in Deutschland 650.000 bis 1,5 Millionen Menschen im Jahr betroffen sind. Mehr Aufklärung und ärztliche und pflegerische Weiterbildung sind dringend nötig.
Es klingt gruselig, wenn Gutachter der Pflegekasse einer Betroffenen keinen Pflegegrad zugestehen, weil die Krankheit doch irgendwie „psychisch“ bedingt sei. Es ist ein Zeichen von Hilflosigkeit, wenn Ärzt:innen Betroffenen raten, doch Sport zu treiben, weil dem Leiden angeblich eine Depression zugrunde liege.
Hilfe durch Telefonseelsorge
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seelsorger*innen zu chatten.
Derlei Erfahrungsberichte von Betroffenen sind zahlreich, und sie machen deutlich: Die Krankheit muss durch mehr und präzisere Aufklärung und Information in die Mitte der Gesellschaft rücken, so wie es zum Beispiel bei Krebs und Parkinson in den vergangenen Jahren geschehen ist.
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