Arbeitszeiten im Krankenhaus: Halb auf Autopilot
24-Stunden-Dienste sind in vielen Branchen verboten – in Krankenhäusern nicht. So behandeln oft müde Ärzt*innen Patient*innen. Warum ist das erlaubt?
W enn Assistenzarzt Jan Schmitz im Krankenhaus einen 24-Stunden-Dienst macht, dann macht er einen normalen Tagdienst und kann sich danach in den Nachtstunden in ein kleines Zimmer zurückziehen. Zumindest dann, wenn in der Notfallambulanz keine Kinder mehr auf ihn warten. Das ist meist gegen ein oder zwei Uhr nachts der Fall.
Doch wenn sein Telefon klingelt, springt er auf und läuft los. Wenn sich der Zustand eines Kindes auf der Station verschlechtert. Oder ein Baby mit Fieber, ein Kind mit Bauchschmerzen oder Jugendliche nach einem Suizidversuch in die Notfallambulanz gebracht werden. „Ich werde auch zu allen Kaiserschnitten und komplizierten Geburten in den Kreißsaal gerufen, um die Neugeborenen zu untersuchen“, sagt er in einem Videocall mit der taz nach einer 24-Stunden-Schicht. Dazu betreut er die Wochenbett- und Neugeborenenstation.
Schmitz ist in der Nacht der einzige anwesende Arzt in seinem Fachbereich – deswegen ist das auch so eine Sache mit dem Schlaf. Passieren mehrere Notfälle gleichzeitig, muss er meist selbst entscheiden, ob er eine Oberärztin in Rufbereitschaft zu Hause aus dem Bett klingeln will. Die braucht dann aber noch 20 Minuten, um in die Klinik zu kommen.
Schmitz arbeitet in einem privaten Klinikkonzern in einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen und macht dort seine Facharztausbildung zum Kinder- und Jugendarzt. Er möchte anonym bleiben, denn er ist bereit, über ein heikles Thema im Gesundheitswesen zu reden: die verhassten 24-Stunden-Dienste. Deshalb haben wir ihm einen anderen Namen gegeben. In den meisten Berufen wären solche Dienste undenkbar, mehr noch, es ist verboten. Warum wird das Ärzt*innen, Pflegekräften – und vor allem Patient*innen zugemutet? Ausgerechnet im hochsensiblen Gesundheitsbereich?
Das Arbeitszeitgesetz: Das 1994 in Kraft getretene deutsche Arbeitszeitgesetz soll Arbeitnehmer*innen vor zu langen Arbeitszeiten schützen. Dort ist auch der Achtstundentag festgelegt. Die tägliche Arbeitszeit darf jedoch auf bis zu zehn Stunden ausgeweitet werden, wenn die Überstunden in einem Zeitraum von sechs Monaten ausgeglichen werden. Die europäische Arbeitszeitrichtlinie schreibt keine tägliche, sondern nur eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden vor. Die aktuelle Bundesregierung strebt auch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit an. Unternehmen erhoffen sich mehr Flexibilität. Gewerkschaften und Arbeitswissenschaftler warnen vor Gesundheitsschäden.
24-Stunden-Dienst: Die langen 24-Stunden-Dienste sind eine von mehreren Ausnahmen im Arbeitszeitgesetz. Voraussetzung dafür ist ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung. Die Arbeitszeit darf über zehn Stunden werktäglich verlängert werden, „wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt“. In der Bereitschaftszeit soll in der Regel die Ruhephase gegenüber dem tatsächlichen Arbeitseinsatz überwiegen. Nach einem solchen Dienst ist eine Ruhephase von 11 Stunden vorgeschrieben. Unterschreiben Arbeitnehmer*innen freiwillig eine sogenannte Opt-out-Vereinbarung, darf die wöchentliche Höchstarbeitszeit ausgeweitet werden.
Ein 24-Stunden-Dienst ist eine Ausnahme in einer Arbeitswelt, in der der 8-Stunden-Tag als Norm erkämpft wurde. Doch auch daran wird aktuell gerüttelt. Im ZDF-Sommerinterview forderte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mehr Arbeitseinsatz von der Bevölkerung. „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“, sagte er. Schwarz-Rot möchte laut Koalitionsvertrag „die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen“.
Es ist zwar nicht zu befürchten, dass künftig alle Menschen Tag und Nacht durcharbeiten sollen. Aber wer wissen will, wie lange Arbeitszeiten auf die Gesundheit wirken, sollte einen Blick ins Krankenhaus wagen. Denn dort, aber auch etwa bei der Feuerwehr oder Polizei ist es heute schon laut Arbeitszeitgesetz möglich, die täglichen Höchstarbeitszeiten zu überschreiten – wenn es entsprechende Regelungen im Tarifvertrag gibt. 24-Stunden-Dienste sind generell dort möglich, wo regelmäßig Bereitschaftsdienste anfallen. Besonders heikel sind diese Dienste in Kombination mit der sogenannten Opt-out-Vereinbarung, einem freiwilligen Ausstieg aus dem Arbeitsschutz. Unterschreiben Krankenhausmitarbeiter*innen eine solche Vereinbarung, darf die wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten werden. Oftmals wird diese Vereinbarung gleich mit dem Arbeitsvertrag vorgelegt.
Aus Sicht von Klinikbetreibern ist die Ausweitung von Arbeitszeit praktisch. Bei knappem Personal verschafft das mehr Flexibilität, und es lässt sich Geld einsparen: Zwei Ärzt*innen können die Arbeit von drei machen – und die Klinik spart sich die Lohnnebenkosten. Den Preis dafür zahlen aber die Angestellten mit Überstunden, Überlastung und einer höheren Fehleranfälligkeit.
 
Auf dem Papier sind 24-Stunden-Dienste streng reguliert. Sie sind nur zulässig in Häusern mit Tarifvertrag. Und in der Bereitschaftszeit muss die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegen. Ab dem Zeitpunkt, ab dem sich Assistenzarzt Jan Schmitz in sein Zimmer zurückzieht, sollte seine Ruhephase länger andauern als die tatsächlichen Arbeitseinsätze.
Nur: Wie sieht das in der Praxis aus? „War okay letzte Nacht“, sagt Jan Schmitz im Videocall. „Diese Nacht bin ich nicht so oft geweckt worden. Ich habe etwa vier Stunden geschlafen.“ Das sei nicht immer so. Oft schlafe er auch nur eine oder zwei Stunden.
Schmitz versteht nicht, warum es diese Dienste überhaupt gibt. „Es würde sich doch niemand aussuchen, dass ein Kind nach der Geburt von jemandem betreut wird, der seit 22 Stunden arbeitet“, sagt er. Selbstverständlich mache sich der Schlafmangel auch in seiner Arbeit bemerkbar. „Man wird mit der Zeit etwas gleichgültiger, alles ist etwas gedämpft“, so beschreibt es Schmitz. „Man macht Sachen halb auf Autopilot und ist nicht mehr so leistungsfähig.“ Es sei doch klar: Wenn am Ende einer 24-Stunden-Schicht ein Notfall eintrete, „dann arbeitet man nicht so, wie man es eigentlich machen würde, wenn man fit und ausgeschlafen wäre“.
Dabei ist im Krankenhaus oft schnelles Handeln gefragt. Es kann über Leben und Tod entscheiden. Ein 24-Stunden-Dienst kann herausfordernd sein, physisch und psychisch. Einmal, erzählt Schmitz, musste ein Kind intubiert werden, dafür wird ein Schlauch in die Luftröhre eingeführt, um eine künstliche Beatmung zu ermöglichen.
„Überforderung ist Teil von diesem Beruf“
Intubieren bei Säuglingen und kleinen Kindern ist selten und erfordert eine besondere Expertise, die Schmitz nicht hatte. Die Oberärztin in Rufbereitschaft hätte aber zu lange gebraucht, um ins Krankenhaus zu kommen. „Ich habe dann in der Anästhesie angerufen, die täglich intubieren, nur eben bei Erwachsenen und größeren Kindern.“ Es war nicht die perfekte Lösung. Aber mittlerweile habe er akzeptiert: „Überforderung ist Teil von diesem Beruf.“
Frank Brenscheidt, der seit 30 Jahren bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zum Thema Arbeitszeit forscht, sagt der taz: „Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht sehen wir die 24-Stunden-Dienste und die Opt-out-Vereinbarungen kritisch.“ Die Forschung zeige deutlich, dass „insbesondere die Dauer der Arbeitszeit entscheidenden Einfluss auf erforderliche Erholungsphasen hat“. Brenscheidt verweist auf verschiedene Studien, in denen untersucht wurde, wie fehlende Erholung und Schlafmangel auf den Körper wirken. „Die Wirkung ist durchaus mit Alkohol vergleichbar“, sagt Brenscheidt. „Die Reaktions- und Wahrnehmungsfähigkeit ist irgendwann eingeschränkt.“
Grundsätzlich sind Arbeitgeber verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen und dieses Risiko zu dokumentieren. Bei dieser Beurteilung ginge es „nicht nur um Gefahrenstoffe oder Hitze- oder Kälteeinwirkung, sondern auch um die physische und psychische Belastung, die an einem Arbeitsplatz entstehen kann“, erklärt Brenscheidt. Auch die Dauer der Arbeitszeit oder Nachtarbeit könnten ein Belastungsfaktor sein.
Dass Ärzte den Großteil ihrer Bereitschaftszeit durcharbeiten oder gar nicht schlafen, ist nach deutschem Arbeitsrecht nicht zulässig. Und doch bestätigen mehrere Ärzt*innen der taz: Kaum Schlaf in 24-Stunden-Diensten ist keine Ausnahme. Auch Chirurg Andreas Kirschniak nennt die 24-Stunden-Dienste ein „Hot Topic“. Zu Recht verunsichere es Menschen, wenn sie hören, dass Ärzt*innen die ganze Nacht durcharbeiten. Es hänge seiner Meinung nach „aber stark von der Struktur der Klinik und dem jeweiligen Fachbereich ab“.
 
Kirschniak ist Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie der Kliniken Maria Hilf GmbH in Mönchengladbach. In seiner Abteilung werde nach 24 Uhr nur „sehr selten operiert“. Gerade in der Chirurgie seien die meisten Operationen geplant und die Operationszeiten einsehbar. Und wenn Notoperationen in der Nacht stattfänden, käme immer ein weiterer Rufdienst dazu, um dem Oberarzt zu assistieren – beide gingen dann am Morgen nach Hause. Aus seiner Sicht gibt es in der Ärzteschaft keine einheitliche Meinung zu den Diensten. Es gebe durchaus Assistenzärzte, die diese Dienste gern machten, weil sie damit mehr verdienen und viel lernten.
Aber in puncto Arbeitsrecht sagt er: „Natürlich gibt es Kliniken, in denen nachts auch mehr als 50 Prozent gearbeitet wird.“ In großen Kliniken sei es häufig so, „dass Leute noch nach einem 24-Stunden-Dienst weiter arbeiten – und zum Teil noch operieren sollen“. Die Transplantationschirurgie sei zum Beispiel einer „der krassesten Bereiche in der Chirurgie, was die Arbeitsbelastung und Nachtarbeit betrifft“. Nach der Entnahme eines Organs gebe es nur ein ganz enges Zeitfenster, und davor müssten viele Vorbereitungen getroffen werden.
Kirschniak, der auch beim Berufsverband der deutschen Chirurgen das Ressort „Nachwuchs“ leitet, höre oft von Assistenzärzten, dass sie nach den 24-Stunden-Diensten „dazu angehalten werden, noch Stationsarbeit zu machen“. Viele könnten da schlecht Nein sagen. Denn: „Es ist schlicht und einfach kein anderer da.“ Es sei ja nicht so, „dass im Moment alle mit vollen Händen in die Personalstruktur investieren“.
Ärzt*innen sind häufig überlastet
Ein Alltag mit langen Arbeitszeiten, Überstunden und Nachtschichten bleibt nicht folgenlos. In einer Mitgliederbefragung der Ärztegewerkschaft Marburger Bund gab fast jeder vierte Krankenhausarzt oder jede Ärztin (24 Prozent) an, 60 Stunden oder mehr in der Woche zu arbeiten. 49 Prozent gaben an, häufig überlastet zu sein, 11 Prozent, dass sie ständig über ihre eigenen Grenzen gehen. Alarmierend ist: Mehr als ein Viertel der Befragten konnte sich vorstellen, die ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben.
 
24-Stunden-Dienste sind entstanden, weil es im Krankenhaus eine medizinische Betreuung rund um die Uhr braucht. „Es hatte sich einfach etabliert, dass ein paar Leute über Nacht dageblieben sind und sich um die Patienten gekümmert haben“, erklärt Andreas Botzlar, zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes. Am nächsten Tag sei einfach weiter gearbeitet worden, denn die Nachtdienste hätten anfangs gar nicht als richtige Arbeitszeit gezählt. „Vergütet wurde das schlimmstenfalls gar nicht und bestenfalls als Bereitschaftsdienst“, sagt er.
Erst 2003 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die Bereitschaftszeit von Klinikärzt*innen künftig als Arbeitszeit anerkannt werden muss. „Heute ist nach einem 24-Stunden-Dienst eine Ruhezeit von 11 Stunden vorgeschrieben“, sagt Botzlar, der selbst als Chirurg und Oberarzt an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau arbeitet. Für Botzlar waren die 24-Stunden-Dienste nie ein Idealmodell gewesen. Kliniken hätten dadurch einfach nur „weniger personellen und finanziellen Aufwand“. Doch nun spitze sich die Lage weiter zu – wegen der kontinuierlich zunehmenden Arbeitszeitverdichtung.
„Früher war die Belastung außerhalb der Kernarbeitszeiten viel niedriger“, erklärt Botzlar. In den vergangenen 30 Jahren habe sich aber die durchschnittliche Liegedauer von Patient*innen nahezu halbiert. „Das ist nicht möglich, ohne dass sie die Schlagzahl dessen, was gemacht werden muss, verdoppelt haben“, sagt er. Das diene „nicht der Gesundheit der Kollegenschaft und nicht der Gesundheit der behandelten Patienten“.
Die Verkürzung der Liegezeiten ist nicht nur auf eine verbesserte ambulante Versorgung, sondern auch auf die Einführung der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) im Jahr 2004 zurückzuführen – was starke Anreize setzte, möglichst viele und lukrative Fälle zu bearbeiten. Mit der beschlossenen Krankenhausreform sollen Krankenhäuser zwar neben den Fallpauschalen künftig auch Pauschalen dafür bekommen, dass sie Kapazitäten für Behandlungen vorhalten. Das soll ökonomischen Druck aus dem System nehmen, aber die grundsätzliche Logik ist nicht gebrochen.
Eigentlich sind die Abend- und Nachtstunden oder Wochenenden im Krankenhaus nur für Notfallmedizin gedacht. Mit Sorge beobachtet Botzlar nun, dass „aus rein wirtschaftlichen Gründen geplante Interventionen zunehmend dahin verschoben werden“. Im Sinne von: „Das kann dann die Dienstmannschaft machen, die sowieso da ist“, sagt Botzlar. Die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit werde dadurch „zum Teil krass überschritten“.
Arbeitsbedingungen oft nicht mit Arbeitsrecht vereinbar
Doch wenn sich so viele einig sind, dass vielerorts die Arbeitsbedingungen nicht mit dem Arbeitsrecht vereinbar sind: Warum wird das vonseiten der Ärzteschaft so stillschweigend hingenommen? Eine mögliche Begründung liegt in der Beschwerdestruktur selbst. Viele Gewerbeaufsichten fühlten sich nicht zuständig dafür, zu kontrollieren, ob die zulässige Zeit eingehalten werde, sagt Botzlar. Faktisch sei es deshalb so, dass nur das betroffene Individuum zum Arbeitsgericht gehen könne. „Aber wer verklagt schon gerne seinen Arbeitgeber?“, fragt er.
Gerade die jüngere Kollegenschaft befinde sich „in einem starken Abhängigkeitsverhältnis“. Innerhalb der Fachgesellschaften seien „die Obernasen deutschlandweit sehr gut vernetzt. Wenn da einer als Querulant gilt, dann bringt diese Person in 500 Kilometern Umkreis keinen Fuß mehr auf den Boden.“ Botzlar plädiert deshalb für ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften, um staatliche Stellen über systematische Verstöße gegen das Arbeitszeitrecht informieren zu können. Doch selbst wenn es ein solches Verbandsklagerecht gäbe, wäre unklar, ob sich mehr Menschen gegen solche Dienste aussprächen. Das Problem ist: Die Alternativen zum 24-Stunden-Dienst sind aus Sicht vieler Ärzt*innen auch nicht besser.
Wer den 24-Stunden-Dienst abschaffen will, müsste ihn durch ein Mehrschichtsystem ersetzen – Patient*innen müssen ja über Nacht versorgt werden. Gibt es aber nicht mehr Personal, bedeutet das für Ärzt*innen, dass sie dann mehr Schichten übernehmen müssen. „Sie arbeiteten dann keine 24 Stunden mehr am Stück, dafür aber häufiger am Wochenende, nachts oder später am Abend“, erklärt Botzler. Das wollten viele nicht. Für eine sinnvolle Umstellung bräuchte es also eigentlich „zusätzliche Kollegen, die es auf dem Arbeitsmarkt gar nicht gibt“.
„Mitarbeitersicherheit und Patientensicherheit hängen eng miteinander zusammen.“
Die von dem früheren Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angestoßene Krankenhausreform hat das erklärte Ziel, die Behandlungsqualität in den Krankenhäusern zu verbessern – und den ökonomischen Druck der Krankenhäuser abzumildern. Bundesweit wird ein Konzentrationsprozess eingeleitet. Künftig soll es neben der Notfallversorgung weniger, dafür aber stärker spezialisierte Häuser geben. Botzlar befürchtet, dass sich damit aber die negative Tendenz der 24-Stunden-Dienste verschärfen könnte. „In der Folge müssen ja mehr Häuser im relativ hohen Betriebszustand rund um die Uhr laufen“, sagt er. Denn wenn es weniger Krankenhäuser gibt, wird das Patientenaufkommen in den verbliebenen steigen.
Christian Deindl, Aktionsbündnis Patientensicherheit
Mit Überarbeitung des Klinikpersonals gerät das eigentliche Ziel medizinischer Versorgung immer stärker aus dem Fokus: das Wohl von Patient*innen. „Niemand will einen Piloten oder einen Lokführer, der 24 Stunden arbeitet. Warum sollte das bei Ärzten und Pflegerinnen anders sein?“, fragt Christian Deindl, stellvertretender Vorsitzender des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. Deindl ist selbst Kinderchirurg, heute im Ruhestand. Er sagt: „Mitarbeitersicherheit und Patientensicherheit hängen eng miteinander zusammen.“
Schon heute führe die hohe Arbeitsbelastung zu vielen Problemen: „Es gäbe mit Sicherheit weniger multiresistente Krankenhausinfektionen, wenn das Klinikpersonal genügend Zeit hätte, den Hygieneschutz in der Praxis auch umzusetzen“, sagt er. Auch ließen sich durch bessere Arbeitsbedingungen Behandlungsfehler reduzieren. Deindl verweist auch auf die höhere Suizidrate unter Ärzt*innen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.
Was Deindl als strukturelles Problem beschreibt, erlebt Schmitz jeden Tag auf der Station. Er findet es grundsätzlich falsch, dass im Gesundheitswesen überhaupt Profit zulässig ist. Aber er glaubt „nicht daran, dass sich etwas ändert“. In kritischen Momenten frage er sich nur noch: „Wie kann ich diese Situation lösen unter den gegebenen Bedingungen und dem Personal, das da ist?“ Die Angst, etwas falsch oder nicht schnell genug zu machen, die bleibt.
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