Antisemitischer Vorfall in linkem Café: Als Falafel getarnter Antisemitismus
Das Berliner Lokal „K-Fetisch“ warf Gäste wegen Hebräisch auf einem T-Shirt raus. Nun verkündet es, das habe mit Antisemitismus nichts zu tun.
Fast eine Woche brauchte das linke Lokal „K-Fetisch“ in Berlin-Neukölln, um auf einen antisemitischen Vorfall in seinen Räumen zu reagieren. Die Stellungnahme, die das Kollektiv am Donnerstagnachmittag veröffentlicht hat, ist beachtenswert. Das „K-Fetisch“ versucht auf sehr abenteuerliche Weise, den Rauswurf von zwei Gästen wegen eines T-Shirts mit unter anderem hebräischem Schriftzug als nicht antisemitisch darzustellen. Ein Umstand, der die Betroffenen bestürzt.
Am vergangenen Freitag hatte das geschädigte Paar den Fall öffentlich gemacht. Die Betroffene trug demnach ein T-Shirt, auf dem in lateinischer, hebräischer und arabischer Schrift das Wort „Falafel“ stand. Nach ihren Angaben habe sich eine Person aus dem Kollektiv des sich als links und queer verstehenden Lokals sie zunächst auf die hebräische Schrift angesprochen und sich dann geweigert, sie zu bedienen. Die Person habe gesagt, sie bediene „keine Zionisten“, und der Besucherin vorgeworfen, sie unterstütze „den Genozid in Gaza“ und Hebräisch sei „die Sprache des Unterdrückers“.
Dann seien sie und ihr Partner aufgefordert worden, das Lokal zu verlassen – anschließend aber noch von innen fotografiert worden. „Die Situation war insgesamt zutiefst feindselig und einschüchternd“, sagte die Betroffene im Tagesspiegel, der zuerst über den Zwischenfall berichtet hatte. Sie möchte anonym bleiben und wird hier im Text Rafaella genannt, ihre Identität ist der taz bekannt.
Nach sechs Tagen äußerte sich nun das „K-Fetisch“ zu dem Vorfall: Der Antisemitismus-Vorwurf sei „falsch“, und habe zu Drohungen gegen das Lokal, seine Mitarbeitenden und Gäste geführt, beklagt das Kollektiv auf Instagram. Aus dem eigenen intersektionalen Selbstverständnis heraus exkludiere man keine Menschen aufgrund ihrer Religion, Ethnizität oder Nation. Und die Weigerung, die beiden Gäste zu bedienen, sei gar nicht in der hebräischen Sprache des Schriftzugs begründet gewesen.
„Erneute grobe Verletzung“
Vielmehr sei das Design „kulturell anstößig“, da es „versucht, die Gesamtheit der Kulturen der Region auf ein kulinarisches Symbol zu reduzieren“. Und mehr noch: „In einer Zeit, in der die Menschen in Gaza von Israel absichtlich ausgehungert werden“, könne die Botschaft des Shirts – „Falafel“ – „leicht als beleidigend“ aufgefasst werden. Auch sei das Paar aggressiv aufgetreten.
„Wir, die Geschädigten, möchten erneut klarstellen, dass wir nicht aufgrund unseres Verhaltens, sondern allein aufgrund der hebräischen Schrift auf dem T-Shirt aus dem Café geworfen wurden“, sagen Rafaella und ihr Partner der taz. Der Vorfall sei „klar antisemitisch“.
Sie empfänden es als „erneute grobe Verletzung“, dass das Kollektiv behaupte, es „heiße Menschen aller Hintergründe willkommen“, solange diese sich nicht diskriminierend verhielten. „Anstatt Verantwortung für ihr eigenes ausgrenzendes Verhalten zu übernehmen, werfen sie uns also vor, wir würden durch ein ‚Falafel‘-Shirt diskriminieren.“
Das Verhalten des Kollektivs sei eine „deutliche Distanzierung von jeglichen Bestrebungen nach Koexistenz und Dialog“. Wer sich für humanitäre Werte einsetze, der müsse sich „nicht für eine Seite entscheiden, sondern wünscht sich Frieden und Sicherheit für alle“. Genau dafür stehe auch das „Falafel“-Shirt.
Spenden an israelische Friedensaktivist*innen
Das T-Shirt ist eine Kooperation des Hamburger Designers Nikolai Dobreff mit der iranischen Designerin Golnar Kat Rahmano und dem israelischen Designer Liad Shadmi. Es stehe für „Gemeinschaft, Zusammenhalt, Menschlichkeit und Frieden“, heißt es auf Dobreffs Webseite.
Die Gewinne des T-Shirt-Verkaufs fließen als Spende an die Initiative Women Wage Peace in Israel – eine der größten Friedensorganisationen in Israel mit rund 50.000 Mitgliedern und Schwesterorganisation der palästinensischen Friedensorganisation „Women of the Sun“. Eine der Aktivistinnen von Women Wage Peace war Vivian Silver, die am 7. Oktober im Kibbuz Be’eri von der Hamas ermordet wurde, und deren Sohn Yonatan Zeigen bis heute beständig für einen nachhaltigen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern kämpft.
Mit einer ersten Auflage des T-Shirts hatten die Designer*innen im November 2023, also unmittelbar nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, Spenden für die israelische jüdisch-palästinensische Graswurzelbewegung „Standing Together“ gesammelt.
Auch die Macher*innen des T-Shirts haben inzwischen auf den Vorfall und auf das Statement des „K-Fetisch“ reagiert. In einem gemeinsamen Statement erklären Dobreff, Shadmi und Rahmano, Ziel des Projekts sei im November 2023 gewesen, „den Dialog über Frieden und Zusammenleben“ aufrechtzuerhalten. „Der Bedarf, in Zeiten von Krieg und Katastrophen ‚Frieden‘ zu thematisieren, ist für uns vor allem jetzt größer denn je“, das „Falafel Humanity Shirt“ sei ein „kreativer Versuch der Annäherung“, sagen sie.
„Gespräche über das Unrecht, über die Verzweiflung, aber auch über die Hoffnung auf Frieden schließen sich nicht aus, sie gehören zusammen.“ Die Macher*innen betonen, sie seien im „stetigen reflektierten Austausch“ und offen für andere Meinungen. „Gleichzeitig stehen wir zu unseren Werten der Hoffnung auf Gemeinschaft. Wir sind davon überzeugt, dass Hass und Ausschluss nie der richtige Weg sind, und dass ein Ende von Krieg und Gewalt dringend nötig ist.“
Das betonen auch Rafaella und ihr Partner: Das T-Shirt stehe für „Solidarität mit allen Betroffenen in Israel und Palästina“. Und noch etwas ist den beiden wichtig: die Distanzierung von rechten Stimmen, die den Vorfall instrumentalisierten, um gegen linke und palästina-solidarische Menschen zu wettern. „Wir positionieren uns selbst als politisch links und lassen uns das weder von antisemitischen Linken noch von anti-palästinensischen Kräften nehmen.“
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