Neues Album von Múm: Pflaster auf das Unheil kleben
Die isländische Softindieambientrockband Múm ist zurück. Was sagt ihr neues Album „History of Silence“ zur Gegenwart?
Man darf es auf keinen Fall ein Comeback nennen. Denn: „Wir haben uns ja nie aufgelöst. Weil wir genau das vermeiden wollten. Lass machen wie Sonic Youth und nie aufhören“, lacht Örvar Þóreyjarson Smárason, Mitgründer des isländischen Band-Kollektivs Múm. Wobei: Im Falle der US-Noiserockband Sonic Youth kam es zur Entfremdung. Anders bei Múm, sie blieben miteinander befreundet und gaben regelmäßig Konzerte. Nur nahmen sie eben kein neues Album mehr auf, seit zwölf Jahren. Der Zustand hat sich geändert, jetzt kommt „History of Silence“. Der Zeitpunkt habe sich einfach „richtig angefühlt“.
Múm waren in den frühen nuller Jahren ein Indie-Pop-Phänomen. Mit ihrem Debütalbum „Yesterday Was Dramatic – Today Is OK“ im Jahr 2000 avancierten die vier Musiker:Innen zu Lieblingen der Kritik. Múm blieb ein ewiger Geheimtipp für softe, introspektive Popmusik. Das Quartett erschuf einen Sound, in dem sich die Gegenwart zu entfalten schien, ohne je konkret zu klingen. Und damit landeten sie im Niemandsland zwischen Artrock-Update, Electronica und Postrock.
Zur selben Zeit veröffentlichten auch Radiohead ihr Album „Kid A“ und die isländischen Kollegen Sigur Rós ihr Debüt „Ágætis byrjun“. Múm, neben Smárason waren das Gunnar Örn Tynes und die Schwestern Kristín Anna und Gyða Valtýsdóttir, setzten sich in die Mitte.
In ihrer erfolgreichsten Zeit wurden Múm vor allem als Teil der isländischen Indie-Szene wahrgenommen. Das allein wirkte beinahe mystisch. Die Musik schien bei vielen Hörer*innen Kamerafahrten über endlose, schneebedeckte Gebirgslandschaften und blubbernde Vulkane zu evozieren.
Múm: „History of Silence“ (Morr Music/Indigo); live: 27.11. „Lido“ Berlin
Für das Zweitwerk „Finally We Are No One“ fanden sie sich an einem verlassenen Leuchtturm zusammen. „Das Märchenhafte war nie unsere Intention, aber es half dabei, dass unsere Musik gehört wurde. Also haben wir uns nicht dagegen gewehrt, auch wenn wir nicht glücklich damit waren. Andererseits lieben wir die Natur – das liegt in Island doch nahe.“
Unbehagen statt Geborgenheit
Dabei lebte der Kern von Múm eigentlich in Berlin, einzelne Mitglieder sind immer noch hier. Es ist eine Stadt, die Smárason als „zweite Heimat“ der Band bezeichnet. Die Erfahrung von Distanz, räumlich und persönlich, war deshalb ein zentrales Motiv in der Musik von Múm. Auch so begründet sich ihr Kollektivcharakter – Mitglieder wechselten stetig.
Und vielleicht wohnte ihrer Musik auch deshalb Unbehagen inne und eben nicht das Gefühl von wohliger Geborgenheit. Und auch, wenn ihr Sound inzwischen ein bisschen oldschool klingt: Eigentlich hat sich die Zeit eher an Múm angepasst, als dass sie sich von ihnen entfernt hat: Videocalls, dezentrales Arbeiten und das Verschicken von Sounddateien sind heute Standard.
Trotzdem fragt man sich, was eine Band, die ihren Klang in fast 30 Jahren zwar modifiziert – hin zu Songs, weg von elektroakustischen Tracks –, aber nie gewechselt hat, in dieser völlig veränderten Welt zu sagen hat. Die permanente Erschöpfung nennt Smárason als Grund, warum es so lange gedauert hat, bis nun ein neues Album erschienen ist. Aus der Musik spricht der graue Alltag im Spätkapitalismus.
Pause vom Brotjob
„Früher konnten Bands in Ruhe ihren Stil entwickeln. Heute haben wir alle viele verschiedene Jobs, arbeiten in vielen Projekten gleichzeitig, um über die Runden zu kommen. Es hat nicht nur mit Distanzen zu tun, sondern auch damit, wie fragmentarisch und prekär alles geworden ist.“ Die Musik sorgt allerdings bei ihm gerade für eine Pause vom Brotjob. „Die Musik trägt diese Lasten allein nicht“, sagt er nüchtern.
„History of Silence“ entstand tatsächlich wieder an einem Rückzugsort. Die Gruppe fand sich auf einem Weingut in Süditalien zusammen, um dort gemeinsam zu arbeiten. „Es ist ein Wunder, dass es funktioniert hat.“ Die Basis sei Zeit und Ruhe, die man sich als Künstler zugestehen müsse und die es der Gegenwart abzutrotzen gilt. Eskapismus sei das aber nicht. „Man kann in Musik hineinsteigen, in einen anderen Raum, eine andere Atmosphäre, die aber ebenso real ist wie tägliche Routinen. Es ist einfach eine andere Art, das Leben zu fühlen. Es ist heute nur schwerer, da wieder reinzukommen.“
Das trifft bedauerlicherweise auch auf diese leise, charismatische Musik zu. Sie biedert sich den Hörer*innen nie an, erzeugt bisweilen magische Momente, aber zu selten rockt sie wirklich. Vielleicht liegt es schlicht daran, dass Múm keine packenden Songwriter sind, ihre Stärke liegt im Anordnen von Texturen und Klängen. Dies gelingt so gut, dass die Musik von Múm immerhin Pflaster auf das Unheil der Gegenwart klebt. Die Magie heilt, wenn auch nur oberflächlich. Ein bisschen mehr Tiefe hätte schon sein dürfen.
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