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Premiere der Komischen Oper BerlinJesus, der hochwertige Crowdpleaser

Andrew Lloyd Webbers Rockoper „Jesus Christ Superstar“ wird in einem Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof inszeniert und trifft damit den Ton.

Das Volk von Jerusalem vom Camp verzückt: 350 Kompars*innen, Tän­ze­r*in­nen und Chor­sän­ge­r*in­nen Foto: Jan Windszus

Verzweiflung, Frust, Schmerz, Ohnmacht, Hadern – alles wird zu etwas Lautem, Schönem rausgeschrien. Was die Geschichte von Jesus von Nazareth so reizvoll macht, ist dasselbe, was an Rockmusik fasziniert. Kraft ziehen aus einem Moment der Schwäche.

Das wird sich Andrew Lloyd Webber gedacht haben, als er Ende der 60er, noch quasi unbekannt, „Jesus Christ Superstar“ schrieb. Eine Rock­oper über die letzten sieben Tage im Leben von Jesus mit allem, was hot war: Rock, Soul, Folk, Funk und ­einer Prise zeitgenössischer Klassik. Damit gab er dem Jesus-Material ein Update fürs 20. Jahrhundert: aus Messianismus wurde Popstarkult. Grotesk entmenschlichend ist ja beides.

Jetzt, im 21. Jahrhundert, gibt es eine Inszenierung im Hangar 4 des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin. Geladen hat die Komische Oper, die an einem Ruf als Spezialistin für Musicalklassiker arbeitet.

Funfact: „Jesus Christ Superstar“ war ursprünglich als Konzeptalbum komponiert, etwas, das man mit kleiner Besetzung im Studio aufnehmen und zu Hause auf Schallplatte genießen kann. Das macht die Show vielseitiger aufführbar als andere Musicals. Sie kann konzertant sein oder szenisch, camp oder brav, intim oder bombastisch.

Entschieden bombastisch

Für die Komische Oper inszeniert Andreas Homoki – und entscheidet sich für bombastisch. Der zur Rockhalle umgebaute Hangar 4 wird geflutet mit mehr als 350 Kom­pars*in­nen, Tän­ze­r*in­nen und Chor­sän­ger*in­nen, die das Volk von Jerusalem darstellen, die namenlose Menge also, die Jesus wahlweise verehrt, begehrt oder verhöhnt.

Jesus ist müde. Sein Movement hat erreicht, was es konnte. Es bleibt nur Päppelei

Choreografin Sommer ­Ulrickson nutzt die Menge, wie man eine Menge im Theater am besten nutzt: für synchrone Bewegungen und große Gesten. Die pulsierende Crowd verstärkt die Emotionen der So­list*in­nen und bildet eine Brücke zum realen, zahlenden Publikum. Trotz großer Entfernungen behält das Stück so seine Intimität.

Jesus ist müde. Sein Movement hat erreicht, was es konnte. Er weiß, dass er Ungerechtigkeit, Armut und Gewalt außer ein bisschen Päppelei nichts entgegensetzen kann. Seine Follower überfordern ihn, und sein Messiasstatus macht ihn launisch. Am liebsten kuschelt er mit Maria Magdalena. Judas hat sich derweil zum PR-Mann der Jesus-Bewegung aufgeschwungen und findet, dass dieser ganze Messiasmist die falsche Brand ist. Zu viel Provokation der römischen Besatzer, zu wenig messbare Resultate.

Was diese Inszenierung ist: hochwertig. In der Premierenbesetzung meistert John Arthur Greene als Jesus von Nazareth die gewaltige Range der Rolle mit Sanftheit und Würde. Seinen Verzweiflungsschrei in „Gethsemane“ (hohes G) liefert er so lyrisch, clean und kraftvoll, dass man den Ton als Einrichtungsgegenstand mit nach Hause nehmen könnte. Als Gegenpol singt Sasha Di Capri den Judas Iskariot mit Schärfe und Kratzen, gibt der Show damit die nötige Dreckigkeit. Ohne die Rolle des Judas wäre „Jesus Christ Superstar“ eher Kuschelrock.

Die Dar­stel­le­r:in­nen überzeugen

Ebenfalls mehr als solide liefern Ilay Bal Arslan als folkige Maria Magdalena, Kevin(a) Taylor als überheblicher Pilatus und Jörn-Fe­lix Alt als Showstopper Herodes. Das Ensemble zeigt ebenso wenig Schwächen wie die Orchesterbegleitung (musikalische Leitung Koen Schoots), die musikalisch-emotionale Spannung hält über die volle Länge der gut anderthalbstündigen Show. Das Pu­bli­kum belohnt mit Füßetrommeln und Standing Ovations.

Was diese Inszenierung auch ist: schön. Das Bühnenbild von ­Philipp Stölzl ist simpel und funktional, es steht ganz im Dienst der Fantasy. Die Kostüme der So­lis­t*in­nen (Frank Wilde) sind vielleicht nicht das Limit an Glamrock, was man sich vorstellen kann, aber modische Hingucker schon. Das Makrameeoberteil von Jesus und den Hosenrock von Judas könnte man sich glatt für die Afterparty borgen.

Was diese Inszenierung nicht ist: experimentell. Sie ist profes­sio­nell, und glatt, ästhetisch angelehnt an den Film von 1973. Es gibt keinen Versuch, kreatives Potenzial auszuloten wie etwa in der Inszenierung jüngst in Los Angeles, die Jesus mit ­Cynthia Erivo besetzte. Der Gendertausch gab der Rolle neue Ebenen, zum Beispiel als Jesus den Kranken wütend zuruft: „Heilt euch doch ­selber!“

Jesus Christ Superstar

Komische Oper Berlin im Hangar 4, Flughafen Tempelhof. 27., 28. und 30. September, 1.–5. und 7.–9. Oktober, 19.30 Uhr. Es gibt Wartelisten.

Man kann das aber auch anders sehen und sagen: Die Show traut sich eben, nur Show zu sein. Die Komische Oper beweist, dass sie einen hochwertigen Crowdpleaser liefern kann. Und das wird hungrig angenommen. Schon ehe in der Pre­mie­re das erste Gitarrenriff erklang, waren alle Vorstellungen ausverkauft.

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