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Verfassungsbeschwerde gegen PalantirKlage gegen umstrittene US-Überwachungssoftware in Bayern

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagt gegen die KI-gestützte Software des Antidemokraten Peter Thiel. Sie spioniere auch Unverdächtige aus.

Das Allsehende kommt vor Gericht im Freistaate Bayern Foto: Kim Kyung-Hoon/Reuters

Berlin taz | Die bereits in einigen Bundesländern im Einsatz befindliche Überwachungs- und Ermittlungssoftware Palantir des bekennenden Antidemokraten Peter Thiel sorgt weiter für Streit: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat nun in Bayern Verfassungsbeschwerde gegen die Software des US-Tech-Milliardärs mit engen Verbindungen zu Donald Trump eingelegt.

Das KI-gestützte Programm ermöglicht Sicherheitsbehörden die schnelle Auswertung großer Datenmengen, wobei auch Daten von nicht Verdächtigen berücksichtigt werden können. Vor allem Da­ten­schüt­ze­r*in­nen kritisieren wegen bekannter Risiken die Nutzung der Software seit langem. Dennoch hat Bayern einen Rahmenvertrag mit dem US-Unternehmen geschlossen, der es auch anderen Bundesländern erleichtern soll, die Software „Gotham“ zu nutzen. In Bayern firmiert die Software unter dem Namen „verfahrensübergreifende Recherche und Analyse“, kurz „Vera“.

Franziska Görlitz, Juristin von der GFF, sagte: „Bayern ist nicht Gotham City. Die Polizei darf bei ihren Ermittlungen keine intransparenten Algorithmen ans Steuer lassen.“ Schon wer Anzeige erstatte, Opfer einer Straftat werde oder einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort sei, könne durch die Software ins Visier der Polizei geraten, warnte sie. Das hält die GFF für verfassungswidrig. Es gebe keine wirksame Kontrolle, auch ein Schutz vor Fehlern der Software sei nicht gewährleistet, was wiederum zu Lasten von Minderheiten gehe: „Häufig haben die Algorithmen diskriminierende Auswirkungen“, heißt es in einer GFF-Mitteilung vom Mittwoch.

Nutzung auch bei Eigentumsdelikten

In Hessen, wo die Software ebenfalls im Einsatz ist, war die GFF mit einer Verfassungsbeschwerde bereits erfolgreich. Dort musste die Landesregierung das Polizeigesetz nachschärfen und die Nutzung eingrenzen. Aus Sicht der GFF setze die bayerische Landesregierung die Software ohne gesetzliche Grundlage ein. Nun wird das Bundesverfassungsgericht über den Einsatz in Bayern entscheiden. Eine Beschwerde in NRW ist ebenfalls noch anhängig.

Auch das Hacker-Kollektiv Chaos Computer Club unterstützt die Verfassungsbeschwerde: Constanze Kurz kritisierte „automatisierte Massenanalyse“, die nicht zum Polizeialltag werden dürfe. Hinzu käme der autokratische Hintergrund des Tech-Milliardärs Thiel: „Die zusammengeführten Daten landen auch noch in einer absichtlich undurchschaubaren Software des US-Konzerns Palantir, von der sich die Polizei auf Jahre abhängig macht.“

Das bayerische CSU-Innenministerium, welches unweit der deutschen Konzernzentrale des US-Unternehmens in München logiert, hält den Einsatz in Bayern dagegen für rechtmäßig und sieht eine „effektive Gefahrenabwehr“. Es fehle eine konkurrenzfähige Alternative zur Datenauswertung in Europa.

Allerdings setzt die Polizei Bayern die Software nicht nur bei besonders schweren Straftaten, sondern auch bei niedrigschwelligen Straftaten wie Eigentumsdelikten ein. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hält sich trotz viel Kritik die Nutzung auch auf Bundesebene weiter offen. Zuletzt gab es auch eine von Bayern unterstützte Bundesratsinitiative zur bundesweiten Nutzung von Palantir.

In Stuttgart streitet Schwarz-Grün über Palantir

Auch in Baden-Württemberg streitet die schwarz-grüne Landesregierung aktuell über die Nutzung von Palantir-Software. Die CDU und ihr Innenminister Thomas Strobl würden die Software gern einsetzen. Strobls Ministerium hat vor einigen Monaten bereits einen Vertrag mit der Thiel-Firma abgeschlossen – offenbar ohne Wissen des grünen Koalitionspartners.

Die Grünen sind nun sauer: Innenpolitiker Oliver Hildenbrand sprach von einem „Palantir-Desaster“ und forderte ein Moratorium, um den Vertrag zu überprüfen. Aufgrund der Verwerfungen liegt ein neues Polizeigesetz in Baden-Württemberg auf Eis, welches überhaupt erst den Einsatz von Palantir im Bundesland ermöglicht. Baden-Württemberg dürfte also bereits Geld an das US-Unternehmen zahlen, nutzt die Software aber noch nicht. Eine Ausstiegsklausel soll es beim fünfjährigen Vertrag über 24 Millionen Euro nicht geben.

Zeitgleich zur Verfassungsbeschwerde startete die GFF am Mittwoch zusammen mit der Kampagnenplattform Campact eine Petition gegen Palantir, die binnen weniger Stunden bereits 84.000 Menschen unterzeichnet hatten. Sie richtet sich vor allem an die SPD, die in vielen Ländern und im Bund mitregiert: „Die So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen müssen sich dafür starkmachen, den Einsatz von Palantir zu verhindern.“

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4 Kommentare

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  • "Strobls Ministerium hat vor einigen Monaten bereits einen Vertrag mit der Thiel-Firma abgeschlossen – offenbar ohne Wissen des grünen Koalitionspartners."



    Auch mancher Boss eines Fußball-Konzerns träumt vielleicht von Stadion-Totalüberwachung. Verbale Drohungen gab es schon wegen nicht konsentierter Unmutsaüßerungen als anonyme Masse in der Form "einer Wand".



    Das Argument vieler Fanatiker einer dichten Sicherheits-Architektur: Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten.



    Mit den modernen Methoden der Überwachung mag man sich Gestapo oder Stasi gar nicht vorstellen, auch hier war Deutschland historisch schon ganz weit vorne.

  • Ich hoffe, die Kritiker haben auch zwischen 2020 und 2022 für den Erhalt und den Schutz der Freiheitsrechte in Deutschland gekämpft und gegen deren Einschränkung protestiert.

  • Danke an die GFF und für den Link zur Petition!

  • Sehr gut, und lange überfällig. Wie können wir die autoritäre Entwicklung in den USA kritisieren, wenn wir unserer Polizei gestatten, die maßgeblich hinter dieser Entwicklung stehenden Akteure und Firmen dort mit Massendaten im XXL-Abo zu versorgen?