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Kulturstaatsminister Wolfram WeimerEin verunglückter Erinnerungsversuch

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Der Kulturstaatsminister gedenkt auf Instagram des Warschauer Aufstands 1944 – mit einem Nazi-Propagandabild. Das zeigt dazu noch eine ganz andere Szene.

Um dieses Foto geht es: Deutsche Soldaten führen 1943 Aufständische im Warschauer Ghetto ab Foto: SZ Photo/picture alliance

E s ist anderthalb Monate her, da wurde unter prominenter Begleitung ein 30 Tonnen schwerer Findling in der Nähe des Bundeskanzleramts in Berlin enthüllt, der an die Millionen polnischer Opfer unter der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft erinnern soll. Der Findling steht genau dort, wo Adolf Hitler in der Kroll-Oper bei Kriegsbeginn 1939 die Lüge verbreitete, „seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“.

Anwesend am 15. Juni 2025 war auch Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, der die richtigen Worte fand: „Es ist der Ort, an dem Worte zu Waffen wurden“. Der Satz ist ein Zeichen dafür, dass die Bundesregierung sich ernsthaft mit den deutschen Verbrechen in polnischen Städten und Dörfern auseinandersetzen will.

Doch nur sechs Wochen später lässt Kulturstaatsminister Weimer in einem Post auf Instagram diese seine Worte verbreiten: „Wer die Kultur eines Volks zerstören will, zielt auf seine Seele.“ Weimer will damit an den Jahrestag des Warschauer Aufstands von 1944 erinnern, so die Unterzeile.

Unterlegt ist sein Zitat von einem Foto, das eine Gruppe Zivilisten mit erhobenen Händen in Begleitung eines Wehrmachtsoldaten zeigt. Das Foto ist in der polnischen Hauptstadt Warschau entstanden. Flüchtig betrachtet könnte man meinen, Weimer setze damit die so dringend notwendige Erinnerung an die Nazi-Verbrechen fort.

Bild zeigt den Aufstand im Warschauer Ghetto

Bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte genügt es freilich nicht, mit gutem Gewissen die moralisch richtigen Ansprüche zu vertreten. Es ist schon notwendig, diese Geschichte und ihre Fakten auch zu kennen. Sonst kann es passieren, dass sich eine gut gemeinte Aussage just in ihr Gegenteil verkehrt. So wie bei dem Zitat Weimers mit dem Bild aus Warschau.

Dieses Bild ist nämlich mitnichten im Rahmen des Warschauer Aufstands entstanden, bei dem die Polnische Heimatarmee vom 1. August 1944 an versuchte, die Stadt von der NS-Herrschaft zu befreien. Der Aufstand endete in einem Blutbad, Zehntausende polnische Zivilisten wurden dabei ermordet.

Das Bild zeigt in Wirklichkeit eine Szene aus dem Warschauer Ghetto-Aufstand vom April 1943, bei dem todesmutige jüdische Aktivisten verzweifelt versuchten, sich der vollständigen Vernichtung ihres Volkes zu erwehren. Auch wenn die Nazis den Aufstand niederschlugen, so gilt er doch bis heute als ein Symbol dafür, dass sich die Jüdinnen und Juden keineswegs wie die Lämmer zur Schlachtbank führen ließen, sondern kämpften.

Weimers Behörde hat aber nicht nur zwei historisch höchst wichtige Ereignisse in der polnischen und jüdischen Geschichte vertauscht. Es hat auch Nazi-Propaganda verbreitet, ohne diese in einen Kontext zu setzen. Das Bild von den Zivilisten mit erhobenen Händen stammt nämlich nicht von einem unabhängigen Reporter. Die gab es damals gar nicht.

Es ist vielmehr Teil des sogenannten Stroop-Reports, benannt nach dem Warschauer SS- und Polizeiführer Jürgen Stroop. Der war für die Unterdrückung des Aufstands verantwortlich und stellte ein Album über dessen Niederschlagung mit den entsprechenden Fotos zusammen.

Weimer sollte sich entschuldigen

Das bedeutet: Dieses Foto ist ein Bild aus der Täterperspektive. Es zeigt die Opfer so, wie es sich die deutsche NS-Propaganda wünscht. Die Aufständischen werden abgeführt (und ermordet, aber das ist hier nicht zu sehen). Der Wehrmachtsoldat steht seinen Mann. Die Situation ist bereinigt, die Nationalsozialisten haben gesiegt.

Auf den Instagram-Post hatte ein Nutzer auf Bluesky aufmerksam gemacht. Gegenüber der taz räumte eine Sprecherin der Behörde den Fehler ein. Es sei nicht beabsichtigt gewesen, ein Propagandafoto der Nationalsozialisten zu verwenden, weshalb man den Post „umgehend“ gelöscht habe.

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Das war richtig. Der verunglückte Erinnerungsversuch Weimers überschattet aber das Gedenken vom Juni 2025 am früheren Ort der Kroll-Oper. Allein die Tatsache, dass es zu dieser „Verwechslung“ gekommen ist, dass die Bundesregierung mit Nazi-Propaganda Gedenkkultur zu betreiben versuchte, zeugt von einem tiefen Defizit im Geschichtsbewusstsein dieser Behörde und ihres Leiters.

Nein, Wolfram Weimer muss deswegen nicht zurücktreten. Aber eine anständige Entschuldigung wäre mehr als angemessen – bei den Polen, bei den Juden und bei der deutschen Öffentlichkeit.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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1 Kommentar

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  • Auch wenn das Bild von den Zivilisten mit erhobenen Händen aus Nazipropaganda-Material stammt, zeigt es auf beeindruckende Weise, wie Menschen, jüdische Menschen, die den Aufstand aus dem Ghetto gewagt haben, von diesem Terror-Regime der Nazis auf brutale Weise entrechtet und getötet wurden. Ich kenne Herrn Weimer und seine Mitarbeiter*innen nicht! Aber ich kann den Vorwurf an ihn so nicht stehen lassen: war gut gemeint, aber vielleicht nicht achtsam genug gewählt. Mehr aber auch nicht.