Gewebte Kanzler-Kommunikation: Die Macht am Hals
Viele kleine Landeswappen: Beim Antrittsbesuch in Niedersachsen trug Bundeskanzler Friedrich Merz eine Pferdekrawatte. Was kann uns das sagen?
Bemerkt hat es auch die Nachrichtenagentur: Bei seinem Antrittsbesuch in Niedersachsen habe Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Dienstag auf „ein klares Zeichen“ gesetzt, so meldete es die dpa, „eine gemeinsame Sprache“, und zwar „die des Miteinander“. Dass es besonderen Tauwetters bedürfte zwischen Brilon, äh, Berlin und Hannover, das hatten wir, ehrlich gesagt, nicht mitbekommen. Aber vielleicht stand diese Staatskrise auch einfach im tiefdunklen Schatten der grellen, heute so gerne bejammerten „Polarisierung“ der Gesellschaft?
Miteinander: Diese ihm offenbar wichtige Botschaft brachte Merz nicht nur auf Papier mit, als Redemanuskript also. Nein, auch ganz wortlos, vorbei am so leicht vom Wesen der Dinge ablenkenden, dem geradezu betrügerischen Intellekt direkt hinein in die wunden Herzen seiner erdverwachsenen Gastgeber:innen zielte – seine Pferdekrawatte. Was nämlich weiße Punkte zu sein schienen, oder ein abstraktes Muster vielleicht, das waren tatsächlich galoppierende Pferde auf rotem Grund: das vervielfachte Sachsenross aus dem Landeswappen.
Die Sache hat ihre Vorgeschichte, eine, in der wird der so gerne als provinziell und sachbearbeiterartig dargestellte Merz zu einem echten Ass der politischen Kommunikation. Und das, eben, immer wieder unter virtuosem Spiel mit seinem favorisierten Instrument: „Friedrich Merz (CDU) liebt Krawatten mit Tieren darauf“, das wusste im Juni eine „Bezirksreporterin“ der Berliner Morgenpost. Da war er gerade nach Washington geflogen, einen anderen bekannten Krawattenträger treffen, US-Präsident Donald Trump.
Und was baumelte um den Hals des Sauerländers? Ein Selbstbinder mit Pinguinen drauf und mit Eisbären. Was natürlich mindestens so sehr auf frostige Verhältnisse hinweisen könnte, wie nun die weißen Pferde – der tatsächlich den transatlantischen Haussegen angeknackst habende Kanzler-Amtsvorgänger Gerd Schröder hätte so was aber nie und nimmer kombiniert mit seinen italienischen Neureichen-Anzügen, darauf legen wir uns fest.
Im Bundestag wiederum hatte Merz’ Halsbekleidung während seiner ersten Regierungserklärung es – laut einem großen deutschen Boulevardmedium – zum „Tuschelthema“ gebracht: Wieder entpuppten sich die weißen Punkte, diesmal auf edlerem Dunkelblau, bei hinreichender Nähe zum mächtigen Mann als Getier, nämlich: kleine Schildkröten in Hellblau und Weiß.
Dass die CDU ja nur ähnlich langsam sich vorwärts bewegt, wie es das Sprichwort dem sympathischen Wohnmobil unter den Landtieren nachsagt, das ist so banal, dass Bild damals gleich selbst drauf kam: und den Regierungssprecher allen Ernstes fragte, ob kommende Reformen nun im Schildkrötentempo usw.
Das mit dem Miteinander meinte der Christdemokrat jetzt in Hannover übrigens auf die Zusammenarbeit bezogen zwischen Bund, Ländern und Kommunen: Es habe doch keinen Sinn, immer gegeneinander zu arbeiten. Nun war er aber bei einem sozialdemokratischen Landesvater auf Antrittsbesuch, da gäbe es ja noch ganz andere Miteinander zu beschwören, auch solche, um die es nicht so gut steht.
Als Frau zählt Frauke Brosius-Gersdorf die Krawatte traditionell nicht zu ihrer Garderobe. Tut sie es doch, dann ist das bei Frauen, modehistorisch gesehen, eigentlich immer eine Anmaßung gewesen, ein Ausfallschritt in männliche Refugien, ein Anspruch auch auf deren Privilegien. Genau das also, was so richtig hoch im Kurs steht im deutschen Konservatismus, nun, da Angela Merkel den Laden den nassforschen Jungens überlassen hat (und weit genug weg ist, dass die den Mund aufzumachen sich überhaupt trauen).
Andererseits: Welches mag das Lieblingstier der CDU-verhinderten Verfassungsrichterin sein? Und gibt’s das auch zum Umbinden? Wir warten gespannt auf Friedrich Merz’ nächste Garderoben-Entscheidung.
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