Repression in Hongkong: Kapitulation vor dem Sicherheitsgesetz
Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Nationalen Sicherheitsgesetzes in Hongkong ist die Demokratiebewegung zerschlagen und die Zivilgesellschaft eingeschüchtert.

„Wir haben die Härten interner Streitigkeiten und die fast vollständige Inhaftierung unserer Führung ertragen, während wir die Aushöhlung der Zivilgesellschaft, das Verstummen der Stimmen von der Basis, die Allgegenwart roter Linien und die drakonische Unterdrückung abweichender Meinungen miterlebten“, erklärte die Vorsitzende der Liga der Sozialdemokraten (LSD), Chan Po-ying, am Sonntag in der südchinesischen Metropole.
Der Druck sei jetzt einfach zu groß geworden. Die Auflösung geschehe aus Sorge um die Sicherheit der Mitglieder und Freunde, sagte Chan. Details wollte sie nicht nennen und sagte nur: „Wir hatten keine andere Wahl.“
Die Partei war 2006 gegründet worden und hat nur wenig mit Sozialdemokraten gemein, wie sie in Europa bekannt sind. LSD war die radikalste Partei der Demokratiebewegung und auf Protestaktionen spezialisiert. Die grenzten zwar gelegentlich an Klamauk, blieben aber stets gewaltfrei und trafen oft einen wunden Punkt.
Die Stimme der Unterprivilegierten verstummt
LSD verstand sich im wohlhabenden Hongkong als Sprachrohr der Unterprivilegierten und setzte sich auch für LGBTQ-Menschen ein. Zu ihren besten Zeiten hatte LSD drei Abgeordnete im 60-köpfigen Legislativrat der Stadt.
LSD gibt nach der Civic Party, die sich bereits 2023 auflöste, sowie der großen Demokratischen Partei, die diesen Schritt im April ankündigte, als letzte öffentlich exponierte Partei der Demokratiebewegung auf. Deren führenden Köpfe sind ins Ausland geflohen oder sitzen in Hongkong langjährige Haftstrafen ab, die mit Verstößen gegen das von Peking durchgedrückte Nationale Sicherheitsgesetz begründet wurden.
Zu den Inhaftierten zählt auch der frühere LSD-Vorsitzende und Abgeordnete Leung Kwok-hung. Er sitzt eine Haftstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten wegen „Subversion“ ab. Der 69-jährige Ehemann von Chan Po-ying ist unter dem Spitznamen „Langhaar“ stadtbekannt und trägt stets ein Che-Guevara-T-Shirt.
In den letzten fünf Jahren haben in Hongkong Schätzungen zufolge mehr als fünf Dutzend Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen, Thinktanks, Gewerkschaften und unabhängige Medien aufgegeben. Wer dem Druck nicht freiwillig nachgeben wollte, wurde wie die Boulevardzeitung Apple Daily dazu gezwungen. Um an sie zu erinnern, veröffentlichte Reporter ohne Grenzen letzte Woche eine Ausgabe im Exil.
Arbeiteraktivist stellt Informationsarbeit ein
Zuletzt erklärte der einstige chinesische Dissident und Arbeiteraktivist Han Dongfang die Auflösung seiner Organisation China Labour Bulletin. Han war der wichtigste Vertreter unabhängiger Gewerkschaften in der 1989 niedergeschlagenen Demokratiebewegung auf Pekings Tiananmen-Platz. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe informierte er von Hongkong aus die Welt über Arbeitskämpfe in China. Er verkündete das Ende seiner Organisation, als bekannt wurde, dass Hongkongs Sicherheitsbehörden gegen Personen ermitteln, die für ihre politische Arbeit Geld aus dem Ausland erhielten.
Das am 30. Juni 2020 und damit unmittelbar vor dem Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China (1. Juli 1997) in Kraft getretene Nationale Sicherheitsgesetz erlaubt der Regierung in Peking, in Hongkong gegen Kritiker vorzugehen. Separatismus, Aufruhr, Terrorismus oder Kollaboration mit dem Ausland sind seitdem strafbar.
Das Gesetz beendet nach Meinung seiner Kritiker Hongkongs Autonomie, die von Peking nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ der Stadt zugesagt worden war. Seitdem geben Chinas Polizeibehörden in der einstigen Kronkolonie den Ton an.
Auslöser des schon lange von Peking geforderten, aber von vielen Hongkongern abgelehnten Gesetzes waren 2019 ausgebrochene Massenproteste der Bevölkerung gegen Pekings Einmischungen in Hongkongs Selbstverwaltung. Das Ignorieren der friedlichen Proteste mehrerer hunderttausend Menschen führte zu einer Radikalisierung und endete in einem Aufruhr, der gewaltsam niedergeschlagen wurde.
Hongkongs Regierung, die inzwischen vom damaligen Sicherheitsminister John Lee geführt wird, lobte jetzt in einer Erklärung das Sicherheitsgesetz. Es habe von „Chaos zu Ordnung“ geführt und garantiere die Rechte und Freiheiten der Bürger. Die seien aber wie auch an anderen Orten der Welt „nicht absolut“.
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