Scholz und Esken auf dem SPD-Parteitag: Abschied in Watte
Ex-Kanzler Scholz und Ex-Parteichefin Esken ermutigen die Sozialdemokraten beim Parteitag zu Selbstbewusstsein. Zweifel lassen sie in ihren Reden aus.

Eskens Rede war kurz: wenig Programm, viel Gefühl. Sie bedankt sich bei den Jusos, beim Willy-Brandt-Haus, und bei Olaf Scholz. „Du warst mein Kanzler“, sagt sie. Parteichefin sein zu dürfen war „die Ehre meines Lebens“, sagt sie. Sie lobt ihre Nachfolgerin, „die wunderbare Bärbel Bas“.
Esken wurde am Ende zum Teil wie Müllcontainer behandelt, den alls traf, was in der Partei schieflief. Diese Dynamik wurde medial verstärkt. Es dauerte, bis die Parteispitze solidarisch mit Esken umging. So erlaubt sich Esken bei diesem Abtritt in Moll nur bei Klingbeil die dezente Anmerkung, dass man „nicht immer der gleichen Meinung“ war. Das war Kritik, freundlich, in minimaler Dosis, aber unüberhörbar. Ein dunkler Tupfer in einem bonbonfarbenen Bild.
Olaf Scholz war nie ein guter Redner. Er neigt zum Verdrechselten, Technokratischen. Seine Zeit als Kanzler ließ das nicht besser werden. Die Abschiedsrede, die Scholz am Samstagmorgen vor 600 GenossInnen in Berlin hält, ist folglich nicht frei von Gestanztem. Dennoch ist etwas anders als sonst.
Scholz: „Aufbruch mit Grünen und FDP war gut“
Politische Abschiedsreden sind immer ein Rückblick in Watte. Viel Lob, kein Tadel. Scholz sagt, er habe immer „Dienst am Land und der sozialdemokratischen Idee geleistet“ und sich nie gegen die SPD profiliert. Er unterstreicht den Wahlsieg 2021, an den fast niemand geglaubt hatte – nur er und ein paar Sozialdemokraten. Er lobt die Zeitenwende, die Unterstützung der Ukraine, einige Reformen.
„Es war gut, dass wir den Aufbruch mit Grünen und FDP gewagt haben“, sagt er. Kein Wort verliert er über Lindner. Überhaupt ist dieser Auftritt wie Eskens frei von Bitterkeit, auch frei von versteckter. Sein Rückblick auf die Ampel fällt rundweg positiv aus. Zweimal rutscht Scholz vom Perfekt in das Präsens, so als wäre er noch Kanzler, ohne a.D.
Der Kanzler a.D. skizziert, warum es die SPD braucht
Der Schlüsselsatz, der signalisiert, dass Olaf Scholz mit sich im Reinen ist, lautet: „Ich habe vor, ein ehemaliger Kanzler zu werden, auf den die SPD sich immer freut.“ Also ohne Ratschläge, die auch Schläge sein können. Ähnlich dem Modell Helmut Schmidt, der nach 1982 das Thema SPD umkurvte. Das dürfte Lars Klingbeil, der aktuell ramponierte SPD-Chef, gerne hören.
Scholz skizziert, weit prägnanter als Klingbeil am Freitag, wofür es die Sozialdemokratie braucht. Nur sie verbinde Regierungsfähigkeit mit Respekt für jene ohne akademischen Titel, für den Arbeiter bei Amazon. Die SPD werde gebraucht, damit „die Kassiererin auch in 30 Jahren mit 67 Jahren in Rente gehen kann und über ihr Leben sagen kann: Das ist gut gelungen“.
Scholz will Selbstbewusstsein verströmen
Der Parteitag jubelt. Es ist mehr als jene milde Zustimmung, die solche versöhnlichen Retroreden sonst immer mobilisieren. Scholz trifft einen empfindlichen Punkt. Die Sozialdemokratie zweifelt an sich selbst und sucht nach ihrer Daseinsberechtigung. Dass die Kassiererin sich schon heute mit 1.000 Euro Rente ein Leben in Großstädten nicht mehr leisten kann, fällt da eher unter den Tisch.
Die AfD und Putin hätten gemeinsam, dass sie Feinde konstruieren müssten. „Wir sind gegen die Verfeindung der Gesellschaft“, sagt Scholz. Die Rechtspopulisten leben, sagt der Kanzler a. D., von dem Verschwinden der Zukunftshoffnung. Darauf müsse die SPD antworten. Ein Gedanke, warum die Fortschrittskoalition gescheitert ist, fehlt in der Rede. Scholz will nicht Zweifel thematisieren, sondern Selbstbewusstsein verströmen. Seine Rede dient, ohne Arroganz und Breitbeinigkeit vorgetragen, der Selbstvergewisserung. Mehr ist derzeit nicht drin.
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