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Jüdischer Musiker über Synagogen„Die Frage ist nicht, wo bin ich, sondern wer bin ich?“

Es kostete für Alex Jacobowitz Überwindung, nach Deutschland zu kommen. Jetzt hat der jüdische Musiker ein Buch über die Synagogenkultur hier vorgelegt.

Alex Jacobowitz in der Synagoge Gröbzig in Sachsen-Anhalt, die ein Museum ist Foto: Jens Gyarmaty
Thomas Gerlach
Interview von Thomas Gerlach

taz: Herr Jacobowitz, Sie haben das erste umfassende Buch über Synagogen in Deutschland fertiggestellt. Sie sind dafür durch Deutschland gereist und stellen mehr als 150 Synagogen, ehemalige und aktive, mit Bildern und Texten vor. Herausgekommen ist ein Buch, das es so noch nicht gab. Was war das Motiv?

Alex Jacobowitz: Lassen Sie mich beginnen mit einer Geschichte aus den neunziger Jahren. Es gab damals im jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ein koscheres Restaurant. Da war ich oft zu Gast. Dort konnte ich anderen jüdischen Leuten begegnen, die zu meiner Kultur gehörten, ohne deutsch zu sein und ohne Deutsch zu reden. Eines Sommertages 1992 kam ein alter jiddischer Herr zu mir. Er war ein Maschgiach, einer der Menschen, die alle Zutaten in einem Restaurant kontrollieren, ob sie auch koscher sind. Der alte Herr schenkte mir ein dickes altes Buch aus den 1920er Jahren, ein sogenanntes Harkavy.

taz: Was ist das für ein Buch?

Jacobowitz: Es ist ein dreisprachiges Wörterbuch für Englisch, Jiddisch und Hebräisch. Dieses alte Buch war für mich ein Blick in eine Welt, die es nicht mehr gibt. Warum geben Sie es mir, fragte ich ihn. Und er: Ich habe das Gefühl, Sie wissen, was damit zu machen ist.

taz: Wie hat er das gemeint?

Jacobowitz: Der Maschgiach wusste, dass es wichtig ist, dass unsere Kultur die eigene Lebensspanne überlebt. Das konnte ich nicht wegwischen. Und wie er vor über dreißig Jahren, jetzt gebe ich auch etwas Wertvolles zurück.

Im Interview: Alex Jacobowitz

Der Mensch

Alex Jacobowitz, 1960 in New York geboren, orthodoxer Jude und ausgebildeter Musiker, kam Anfang der 90er Jahre nach Europa, spezialisierte sich auf Klezmer und hatte viele Auftritte in Synagogen und ehemaligen Synagogen. Er ist Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Görlitz und auch Buchautor und Fotograf.

Das Projekt

Nach der Schließung des Hackeschen Hoftheaters 2006 in Berlin suchte Jacobowitz authentische Orte für seine Klezmermusik und war überrascht, dass es kein landesweites Verzeichnis über Synagogen gibt, die die NS-Zeit überstanden haben. Er begann selbst mit einer Auflistung. Sie wurde Grundlage für sein Buch „100+ Synagogen in Deutschland“, erschienen beim Verlag Hentrich & Hentrich in Leipzig. Es ist das erste umfassende Werk, das die heutige Synagogenkultur in Deutschland in seiner Vielfalt präsentiert.

taz: Mit dem Buch?

Jacobowitz: Das kam viel später. Aber es stimmt. Ich werde kein Rabbiner mehr und auch keine große Kantorenstelle mehr einnehmen. Aber durch meine Konzerte bin ich immerhin hundert ehemaligen Synagogen in Deutschland begegnet. Ich bin in Städten und Dörfern gewesen, von denen ich früher nichts wusste, zum Beispiel in Hainsfarth in Schwaben, in Emmendingen, in Gröbzig bei Halle. Die Begegnungen mit diesen Synagogen ist für mich doch die perfekte Vorbereitung gewesen für ein Buch über heilige Orte. Wenn man nicht wüsste, dass es diese ehemaligen Synagogen gibt, wie könnte man dann auf die Idee kommen, ein detailliertes Buch darüber zu schreiben?

taz: Sie haben in diesen ehemaligen Synagogen Konzerte gegeben?

Jacobowitz: Als Musiker habe ich in New York eine klassische Ausbildung erhalten, habe mich später auf das Marimbafon spezialisiert, das ist, vergleichbar einem Xylophon, ein Instrument, das aus Afrika stammt. Ich habe Konzerte gegeben, und so kam ich dann auch in den frühen neunziger Jahren nach Europa.

taz: Was haben Sie gespielt?

Jacobowitz: Klassik immer gerne, darunter Bach, Mozart, Beethoven, weil ich dabei Kulturbrücken schlagen wollte zwischen meinem afrikanischen Klang und der europäischen Musikkultur. Später, ab 1994, habe ich auch Klezmer studiert bei Giora Feidman und durfte mit ihm beim Schleswig-Holstein Musik Festival auftreten. Noch intensiver bin ich ab etwa 1998 Klezmer begegnet, als ich Brave Old World gehört habe – eine Revival-Group, die sich auf die alte, traditionellere Klezmermusik fokussiert hat.

taz: Sie haben Klezmer hier entdeckt?

Jacobowitz: Von der Klezmermusik war ich besonders berührt, nicht nur als Jude, sondern weil meine eigene Familie aus Osteuropa stammt. Also, das war unsere Musik! Es war für mich eine ironische Erfahrung, meine eigene Kultur und Musik in Deutschland zu entdecken. Denn der Leiter von Brave Old World war Alan Bern, der seit 1987 in Berlin wohnt. Hauptsächlich wegen seines Engagements ist Berlin zu einer Hauptstadt der jiddischen Kultur geworden, darunter Klezmer. Um bei ihm zu studieren, habe ich mir eine kleine Wohnung in Berlin gesucht.

taz: Was ist Klezmer? Unterhaltungsmusik?

Alex Jacobowitz in Gebetskleidung Foto: Jens Gyarmaty

Jacobowitz: Nein. Aus den mystischen Traditionen im Osteuropa des 18. Jahrhunderts hat die Musik eine theologische Kraft ausgestrahlt, die tief verwurzelt ist im Gebet und in der Hoffnung auf die Wiederherstellung des Jerusalemer Tempels. Klezmer ist nicht bloß jüdische Tanzmusik! (lacht) Man feiert die gesamten biblischen Gebote – das ist viel mehr als nur Spaß bei der Hochzeit – mit einer neuen Generation, der dann irgendwann der Wiederaufbau des Tempels gelingt und die die Ankunft des Messias erleben wird. Und die Musik kommuniziert diese Hoffnung auf Erlösung!

taz: Wie geht das?

Jacobowitz: Für mich ist das Gebet meistens ein persönliches Gespräch mit Gott, und Klezmermusik ist das himmlische Gespräch in der Gemeinde zwischen Menschen. Für diese authentische Musik suchte ich authentische Orte. Traditionelle Klezmermusik ist für mich nicht geeignet für große Konzertsäle oder die Straße, sondern es ist ein intimes Gespräch mit der Gemeinde vor dem Ewigen. Es ist für mich immer etwas Heiliges, weil diese Musik eine sakrale Sehnsucht ausdrückt.

taz: Wie haben Sie die Orte gefunden?

Jacobowitz: Ab 2002 habe ich viele Konzerte im Hackeschen Hoftheater in Berlin-Mitte gegeben, im alten jüdischen Scheunenviertel. Als dieses Theater 2006 gezwungen wurde zu schließen, musste ich andere authentische Orte suchen.

taz: Wie haben Sie sie gefunden?

Jacobowitz: Es hat Jahre gedauert. Ich habe ins Internet geschaut. Unter „Synagogen“ und „ehemalige Synagogen in Deutschland“ habe ich mindestens 20.000 Einträge gefunden, aber leider kein Verzeichnis. Ich dachte, es muss aber doch ein Verzeichnis über all die Synagogen geben, die die Nazi-Zeit überlebt haben.

taz: Gibt es so ein Verzeichnis?

Jacobowitz: Ich bin 2008 im Bundestag Stephan Kramer, dem damaligen Generalsekretär des Zentralrats der Juden, begegnet und habe ihn gefragt: Habt ihr was zu den ehemaligen Synagogen? Eigentlich nicht, hat er gesagt. Wir sind der Zentralrat der Juden in Deutschland, nicht der Zentralrat der Synagogen und schon gar nicht der ehemaligen Synagogen.

taz: Waren Sie enttäuscht?

Jacobowitz: Ich habe schon verstanden, dass es die kleine jüdische Gemeinde in Deutschland nicht schafft. Aber dass es gar keine Organisation gab, keinen Verein, kein Verzeichnis über die ehemaligen Synagogen, deren Zahl doch viel größer ist als die der aktiven, das hat mich schon verwundert, bis heute.

taz: Warum sind die ehemaligen Synagogen so aus dem Blick geraten?

Jacobowitz: Das öffentliche Interesse für ehemalige Synagogen ist eher gering und hört meist schon an der Ortsgrenze auf, leider. Leute in Sachsen zum Beispiel, die sich sehr für die ehemalige Synagoge in ihrem Ort interessieren, wissen nichts über Synagogen ein paar Kilometer weiter in Sachsen-Anhalt. Dieser regionale Blick wird verstärkt durch Behörden, die etwa eine Restaurierung finanzieren, und die eher regionale Aspekte im Fokus haben, so wie die regionale Presse ja auch.

taz: Das heißt, die Perspektive stimmt nicht?

Jacobowitz: Das Judentum ist wahrlich eine Weltreligion, überall gibt es Synagogen, etliche davon stehen seit mehr als tausend Jahren, auch in Deutschland. Synagogen sind nicht nur mit der Regionalgeschichte verbunden.

taz: Sie haben dann viele dieser ehemaligen Synagogen angeschrieben?

wochentaz

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Jacobowitz: Ich habe erst mal für mich eine Liste über alle ehemaligen Synagogen erstellt, in denen ich auftreten könnte. Es gibt viele kleine Vereine, die sich um ihre Heimat kümmern, es gibt in etlichen ehemaligen Synagogen kleine Museen, und deren Vorstände haben mich immer wieder eingeladen.

taz: Wie haben Sie das Buchprojekt über die Synagogen vorangetrieben?

Jacobowitz: Ich bin im Frühling 2023 mit einem Koffer voller alter Bücher zu meiner Verlegerin Nora Pester von Hentrich & Hentrich in Leipzig gegangen und habe gesagt: Das ist alles, was es über Synagogen in Deutschland gibt. Es waren Bücher in alter Sprache, meistens in Fraktur, trocken gestaltet. Darin schrieben meist nichtjüdische Akademiker über Synagogen als „Objekte“ oder als eine architektonische „Baugattung“ – kalt, vereinfachend und komplett ohne Verständnis für die Synagogenkultur. Die wahre innere Dynamik war in diesen Büchern kaum sichtbar. Synagogen haben immer, wie ich das nenne, eine eigene Architektur des Gebets. Diese Dynamik, diese Kultur, diesen Reichtum wollte ich unbedingt in einem Buch aufzeigen.

taz: Welchen Reichtum zum Beispiel?

Jacobowitz: Synagogalkultur ist tausende Jahr alt. Wo wollen wir anfangen? Mit der Kunst der Paroches? Das ist der Vorhang vor dem Toraschrein. Oder dem Ner Tamid? Dem heiligen Licht? Oder der Bimah? Das ist das Lesepult für die Tora. Oder der Mikwe? Dem Ritualbad? Wie viel Zeit haben wir? (lacht) Nehmen wir einen Chuppastein. Das ist eine Besonderheit an Synagogen in Süddeutschland, Bayern, Franken, im Rhein-Main-Gebiet, und trotzdem weiß fast keiner, was das ist.

taz: Was sind das für Steine?

Jacobowitz: Chuppasteine sind Hochzeitssteine oder Trausteine, die von außen in die Mauer der Synagoge eingebaut sind, und sie haben eine Tradition verfeinert, die es seit 1.900 Jahren gibt.

taz: Welche Tradition?

Jacobowitz: Um die große Freude bei einer Hochzeit ein klein wenig zu dämpfen, wird ein Glas zertreten oder auch ein Teller zerschlagen, um an die Zerstörung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 70 unserer Zeitrechnung zu erinnern. Erst dann ist die Hochzeit vollzogen. Normalerweise macht man das auf dem Boden. Bei den fränkischen Juden aber hat sich diese Kultur weiterentwickelt, sodass die Gläser gegen den Chuppastein geworfen wurden, der höher liegt, sodass es alle Hochzeitsgäste viel besser sehen konnten. Ich habe viele Chuppasteine gefunden, aber nur in Franken bis in die Gegend von Mainz.

taz: Diese Tradition ist im Synagogenbuch gut dokumentiert. Er ist nicht Ihr erstes Buch bei diesem Verlag.

Jacobowitz: Mit der Coronapandemie wurden fast alle meine Konzerte gestrichen und ich hatte Zeit für Buchprojekte. Mein erstes „Corona“-Buch habe ich über die Görlitzer Synagoge geschrieben, die im Juli 2021 wiedereröffnet wurde. Der Bund hat die Restaurierung mit 12 Millionen Euro bezuschusst, aber in Görlitz war keiner auf die Idee gekommen, zur Eröffnung ein Buch mit Fotos und historischen Dokumenten vorzulegen. Ich dachte, die Synagoge hat etwas Besseres verdient, und habe das Buch geschrieben. Und bald merkte ich, dass viele andere Synagogen publizistisch genauso vernachlässigt waren wie die Görlitzer.

taz: Vielleicht gibt es unterschiedliche Vorstellungen, was eine ehemalige Synagoge ist?

Jacobowitz: Eine ehemalige Synagoge ist für die meisten Juden nicht ausschließlich eine Gedenkstätte, sondern immer noch ein heiliger Ort. Sie ist ein wichtiger Teil unseres Glaubens und sie darf nicht ausschließlich als Symbol für den Holocaust verstanden werden. Mein Hauptanliegen ist, zu zeigen, was es an Synagogen in Deutschland heute noch gibt. Die früheste Synagoge heute auf deutschem Gebiet, in Worms, ist datiert auf das Jahr 1034. Aber in Köln wurden schon im Jahr 321 Juden schriftlich erwähnt. Die Juden sind mit den Römern gekommen, jüdische Gemeinden und ihre Synagogen waren also schon hier, bevor es überhaupt eine Form von Deutschland gab. Wie kommt man auf die Idee, zu sagen, sie sind fremd? (lacht)

Ob Leute in die Synagogen gehen und beten, ist ihre Sache. Aber sie sollen zumindest wissen, dass es sie gibt

taz: Sie haben das Buch in nur zwei Jahren fertiggestellt. Ihre Verlegerin sprach bei der Präsentation in Leipzig von einem Opus magnum. Ohne Glauben kann man so ein Projekt gar nicht beginnen?

Jacobowitz: Auch wenn es nicht in deinen Händen liegt, die Arbeit zu beenden, bist du verpflichtet, die Arbeit fortzusetzen! So steht es im Talmud. Ich finde es nicht richtig, nur auf seinen eigenen Lebenshorizont zu blicken. Ob Leute in die Synagogen gehen und beten, ist ihre Sache. Aber sie sollen zumindest wissen, dass es sie gibt, dass viele Synagogen die Kristallnacht und die Nazi-Zeit überstanden haben und dass nach dem Krieg vielen neue Synagogen hinzugebaut wurden.

taz: Sie benutzen das Wort Kristallnacht statt Pogromnacht?

Jacobowitz: Der Begriff ist völlig korrekt. Er stammt nicht von den Nazis. Jedes Mal, wenn ich über die Kristallnacht rede, bekomme ich in Deutschland zu hören: Nein, das sagen wir nicht mehr! Viele Leute in Deutschland wollen mich in ihrer Korrektheit belehren, wie ich dieses Ereignis zu bezeichnen habe. Absurd.

taz: Sie stammen aus einer jüdischen Familie in New York. War sie orthodox?

Jacobowitz: Meine Großeltern gingen regelmäßig in die orthodoxe Synagoge, aber unsere Familie hat den Schabbat nur noch mittelmäßig eingehalten. Meine Mutter hat die Küche koscher gehalten, mein Bruder und ich gingen in eine jüdische Schule. Aber auch eine orthodoxe Erziehung führt nicht automatisch zu orthodoxer Praxis. Sie überspringt manchmal eine Generation. Meine Kinder habe ich auch in eine jüdische Schule geschickt. Als Erwachsene sind sie dann aber ausgestiegen. Wenn sie Kinder haben, kommt das vielleicht wieder zurück. Es ist ein Auf und Ab, wie in der Bibel, wo Jakob einen Traum hat und sieht, wie die Engel mal auf einer Leiter rauf- und mal runtersteigen.

taz: Wurde zu Hause Jiddisch gesprochen?

Jacobowitz: Meine Cousinen und Geschwister haben zu Hause bei unseren Eltern oft Jiddisch gehört, aber wir sollten es nicht verstehen, nur Englisch sprechen, weil wir amerikanisiert werden sollten, und das Jüdischsein wurde dafür ein wenig geopfert. Und jetzt studiere ich wieder Jiddisch. Für meine Mischpoche ist es schon überraschend, dass ich mich ausgerechnet in Deutschland mit jüdischer Kultur beschäftige.

taz: Von New York sind Sie nach Jerusalem gezogen.

Jacobowitz: Ich habe 1983 als junger Mann in Jerusalems Altstadt tagsüber ein Rabbinerseminar besucht. Am Abend spielte ich Schlagzeug im Jerusalem Symphony Orchester. Ich bin dann doch kein Rabbiner geworden, sondern Musiker, aber diese Zeit war sehr prägend für mich, sodass ich 1989 nach Israel gezogen bin mit drei Kindern und das vierte war unterwegs.

taz: Und dann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Jacobowitz: Ich bin nach Europa gekommen! Ich war anfangs viel öfter in Budapest. Noch in Österreich habe ich gedacht, dass ich nie einen Fuß auf deutsches Gebiet setzen werde. Es gab tief in mir eine psychologische Mauer und es war der Schmerz, der meinem Volk angetan wurde. Diese Mauer musste ich überwinden, dachte ich und das ging nur, wenn ich Deutschland begegne.

taz: Und jetzt sind Sie also in Deutschland.

Jacobowitz:Wenn schon, dann bin ich meist in Berlin. Und die Hauptfrage ist nicht, wo bin ich, sondern wer bin ich? Und wenn ich der bleibe, der ich bin, sollte ich überall zurechtkommen. Ich spüre eine Verantwortung, weil meine Großeltern im frühen 20. Jahrhundert Europa rechtzeitig gen Amerika verlassen haben, sodass ich heute meine jüdische Identität leben kann. Da fühle ich mich schon verpflichtet, etwas Wichtiges davon an Europa zurückzugeben. Und meine Leistung, denke ich, ist dieses Buch, sind meine anderen Bücher, die etwas mal dokumentieren, mal wiederherstellen, viel mehr als das, was verloren gegangen ist, sondern was noch daraus werden kann.

taz: Und glauben Sie, dass ein Synagogenbuch mit 900 Seiten, 1.100 Bildern und 4,5 Kilogramm Gewicht seine Leser findet, auch unter Nichtjuden?

Jacobowitz: David Ben-Gurion, der erste Ministerpräsident von Israel, hat mal gesagt: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Ben-Gurion war Ostjude. Wie der Maschgiach in dem koscheren Restaurant. Wie alle meine Großeltern. Wir bleiben dabei. Übrigens hat der Vatikan das Buch bereits in seine Samlungen aufgenommen. Also für Katholiken ist es offenbar koscher genug. Ein Wunder! (lacht).

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