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Schwarz-rotes Stromsteuer-FiaskoVertrauen im Eiltempo verspielt

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Mit der Kehrtwende bei der Stromsteuer haben Merz und Klingbeil großen politischen Schaden angerichtet – und konnten ihn nicht mal gut begründen.

Merz und Klingbeil verkörpern das Versprechen, ideenfrei pragmatisch zu regieren Foto: Kay Nietfeld/dpa

V ertrauen ist in der Politik ein flüchtiges Gut. Es ist schnell zerstörbar und nur sehr schwer wieder aufbaubar. Die schwarz-rote Regierung zeigt gerade, wie man in kurzer Zeit effektiv Vertrauen ruiniert. Dazu muss man als Erstes stolz verkünden, dass man eine Steuer für alle senken wird. Ein paar Wochen später fällt Friedrich Merz und Lars Klingbeil auf, dass fünf Milliarden im Haushalt fehlen. Ziemlich genau das kostet die Senkung der Stromsteuer für alle. Also wird der Strom nur für Industrie billiger, für normale KundInnen und anderes Gewerbe nicht.

Merz und Klingbeil haben damit Erstaunliches geschafft. Sie haben die Grünen und die AfD, Unternehmerverbände und die Linkspartei, den Verbraucherverband und CDU-Sozialflügel gleichzeitig gegen sich aufgebracht. Der politische Schaden ist groß. Ist er wenigstens gut begründet? Also – bitter, aber leider unumgänglich?

Nun, Schwarz-Rot wird den Gaspreis senken. Dafür wird die Gasspeicherumlage von 3,4 Milliarden Euro erst mal aus dem KTF finanziert, der eigentlich fürs Klima da ist und nicht für die Subvention fossiler Energien. Schwarz-Rot wird die Mütterrente, die rund 5 Milliarden Euro im Jahr kostet und ein Prestige­projekt der CSU ist, termingerecht einführen. Eine einleuchtende Begründung, warum die Senkung des Gaspreises und die Mütterrente wichtiger sind als die Senkung der Stromsteuer für alle, gibt es nicht. Die Regierung bevorzugt ohne inhaltliche Argumente umgrenzte Gruppen wie RentnerInnen oder GaskundInnen und vertröstet die StromkundInnen, also alle, vage auf später. Kommunikativ ist das wirklich keine Meisterleistung.

Schwarz-Rot hat kein Projekt und keine Idee. Merz und Klingbeil verkörpern das Versprechen, ideenfrei pragmatisch zu regieren und alles fernzuhalten, was die umworbene „arbeitende Mitte“ nerven könnte – zum Beispiel MigrantInnen oder anstrengende Klimaziele. Es mag sogar sein, dass die schwarz-rote Anspruchslosigkeit zur gesellschaftlichen Stimmung passt. Alle fühlen sich gerade irgendwie überfordert.

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Aber auch, vielleicht gerade, diese minimalistische Art zu regieren funktioniert nur, wenn das Publikum zumindest den Eindruck hat, dass die Regierung verlässlich, halbwegs vernünftig und begründet handelt. Und nicht schon nach zwei Monaten hektisch in selbst gemachten Alternativlosigkeiten versinkt. Gebrochene Versprechen sind der Humus für die rechtspopulistischen Misstrauensgemeinschaften, die der Regierung sowieso jede Schurkerei zutrauen. Dass Merz und Klingbeil den Eindruck pragmatischer Kompetenz im Eiltempo riskieren, ist kein gutes Zeichen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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19 Kommentare

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  • In Klingbeil hatte ich noch nie Vertrauen. Und die Politik der CDU/CSU war mir schon seit jeher zu unsozial. Für mich war dies hier somit vorhersehbar.

  • "Vertrauen im Eiltempo verspielt"

    Quatsch.

    Das wäre ja als ob man aus einem leeren Glas trinken wolle.

    Aber einen Vorteil hat die aktuelle politische Landschaft:

    Man kann nicht mehr Vertrauen verspielen.

    Oder um es kurz zu machen:

    "Ist der Ruf erst ruiniert lebt's sich völlig ungeniert"

  • Der Strom wird nicht nur für die Industrie billiger, sondern auch der Bauerverband hat mal wieder seine Lobby spielen lassen.



    Unsere Landwirtschaft, eine Planwirtschaft vom feinsten.

  • Na, das Ganze hat doch System:



    Wahlversürechen, die Unternehmen oder reichen Menschen zugute kommen werden eingelöst, Wahlversprechen für die Schwächeren in der Gesellschaft werden fallengelassen.



    Bei der Union war das zu erwarten, und die SPD ist halt zum willfährigen Helferlein der Union verkommen.

  • Die Kostensenkung für Energieintensive charakterisiert die Koalition aus Union und Sozialdemokratie. Damit möchte ich es auch bewenden lassen. Es steht nun aber eher zu befürchten als zu erwarten, das sich das bis 2019 noch ändert oder ergänzt. Bis hier ist es schlimm genug.

  • Man kann sich zunehmend des Eindrucks nicht erwehren, dass die gegenwärtige Politiker-Generation aus DilettantInnen und Fleisch-Foodbloggern besteht.



    Man kann nur noch ungläubig den Kopf schütteln und dieses neoliberale Fiasko beobachten.

  • Die SPD rutscht in den Umfragen noch weiter ab. Wundert jetzt außerhalb ihrer Blase niemanden mehr. Von der Union erwartet man nichts anderes, aber das diese kleine symbolische Erleichterung für den Normalbürger entfällt zeugt entweder vom Empathielosigkeit oder Lust am politischen Selbstmord.



    Das Habeck neben der Gaspreisbremse dann noch die Mehrwertsteuer auf Gas hat wegfallen lassen aber auf andere Brennstoffe, deren Preise ebenso anzogen hat man ihm vielerorts auch nicht vergessen. Das erste was bei den Sozis in dieser Koalition jetzt hängen bleibt ist sozusagen Herzlosigkeit, was ja eigentlich der Kern der Union ist. Was will Klingbeil, einfach noch eine Runde als Kapitän auf dem sinkenden Schiff drehen und dann untergehen?

  • .........und wieder ein paar Stimmen an die AFD verloren........

    • @dator:

      Ein paar ?

    • @dator:

      Nicht nur ein paar!

      2029 werden es weniger als 10% für die SPD werden, wenn Lars Klingbeil dann immer noch Parteichef ist und die SPD keine 180 Grad Drehung in der Politik hinbekommt. Von einer Politik für die Wirtschaft und die Reichen zu einer Politik für die ärmeren 70%.

    • @dator:

      Das ist ein Grund die SPD nicht zu wählen, aber sicher nicht für die Abschaffung der Demokratie zu stimmen. Deren Programm ist schlimmer als alles andere und danach ist keine demokratische Kontrolle oder Korrektur mehr möglich.

  • Eine Urkunde und pro Kind ein Alpenveilchen wäre doch echt genug der Anerkennung für die Mum's. So bekommen jetzt die Muttis die Schuld, bezüglich der falschen Versprechungen der Strompreissenkung für alle Bürger. Da hätten dann auch die Papas was von gehabt.

  • Gratis-Tipp: Alle Zuschüsse an Großkapital, Fossil und Auto/Flug streichen, zum 31.12., auch und gerade die versteckten.



    Dann ist a) Geld und b) politisches Kapital wieder da.

    Energieverbrauch sollte übrigens eher belastet als gefördert werden. Anderes wird dann relativ günstiger, etwa durch die grüne Idee einer zurückgegebenen Steuer.

  • Übrigens kostet die Reduzierung der Steuer für Privathaushalte nur 2,7 Mrd. € und nicht 5,4 Mrd. €.



    Denn Privathaushalte haben 2023 138,6 GAb verbraucht, a!so 138,6 Mrd. KWh.



    Bei 1,95 Ct/kWh Reduktion macht dies nur 2,7 Mrd. €

  • > "Es mag sogar sein, dass die schwarz-rote Anspruchslosigkeit zur gesellschaftlichen Stimmung passt. Alle fühlen sich gerade irgendwie überfordert."

    Ich glaub', andersrum wird ein Schuh daraus: Die gesellschaftliche Stimmung ist die, die sie ist, weil wir die Regierung haben, die so ist. Niemand ist tatsächlich überfordert, außer denen, die regieren. Die gesellschaftliche Stimmung wäre eine ganz andere, könnte sie.

    • @Birne Helene:

      Korrekt.

  • Macht es rot-grün in Hamburg, was die steigenden Energiekosten für Verbraucher angeht, besser? Den Ausbau des Hamburger Fernwärmenetzes müssen die Kunden zahlen: Preissteigerung deshalb für die Fernwärmekunden 30 Prozent im nächsten Jahr. Derweil gönnen sich die verantwortlichen Hamburger Energiewerke einen neuen Verwaltungskomplex: Mehrkosten 17, 7 Millionen Euro, die man ahnt es, von den Kunden der Hamburger Energiewerke zu zahlen sind. Zum Neubau gehört auch ein kupferner Glaspavillon als Eyecatcher: Kosten 4,3 Millionen Euro, auch hier mit erheblichen Mehrkosten.



    Konsequenzen für das Missmanagement im stadteigenen Unternehmen, den Hamburger Energiewerken, keine, und in der verantwortlichen Hamburger Politik (Grüne): auch keine!

    www.ardmediathek.d...S0zODczNjI4ZWU5NWI

    Folge: Lust auf Politik der Grünen und SPD keine mehr!

  • Schade das Honecker das nicht mehr erleben darf, wie Merz und Klingenbeil die DDR imitieren. Den Gaspreis senken ist so ziemlich das exakte Gegenteil von Marktwirtschaft.

    Damit wird die CO₂-Steuer ad absurdum geführt. Mal sehen, ob die EU sich das bieten lässt.

  • Wer braucht schon Argumente, wenn er (Richtlinien-)Kompetenzen hat - und wild entschlossen ist, den eignen Wähler:innen den irren Wunsch nach einem „starken Mann“ vollständig zu erfüllen? Nach einen Quasi-König, dem rein gar niemand was kann, egal wie seltsam er sich aufführt auf der großen Bühne?