piwik no script img

Cafè in Gaza-Stadt„Überall um mich herum lagen Leichen“

Ein israelischer Luftangriff trifft das Al-Baqa-Café in Gaza-Stadt. Viele Zi­vi­lis­t:in­nen sterben, darunter Jour­na­lis­t:in­nen und Künst­le­r:in­nen.

Blick aus dem nach dem israelischen Luftangriff zerstörten Cafe auf den Strand Foto: Jehad Alshrafi/ap

Gaza-Stadt/Berlin Am Montag macht sich Abu Hamdi in Gaza-Stadt auf, um einen Freund zu treffen. Als Geschenk bringt er ihm eine Flasche Parfum mit, aus dem kleinen Laden, den Abu Hamdi besitzt. „Ich habe sie ihm überreicht und er hat mich eingeladen auf einen Tee im Al-Baqa-Café.“

Ein paar Stunden später geht ein Bild Abu Hamdis um die Welt: Mit blutverschmiertem Hemd sitzt er auf dem Boden des Cafés, der Mund offen, umgeben von Trümmern. Hinter ihm ein beschädigter Klapptisch, auf dem Stuhl daneben eine leblose Frau. Ihr Körper ist zusammengesunken, ihr Kopf liegt auf einem Mauervorsprung. Dahinter rauscht das Mittelmeer.

Ein israelischer Luftangriff – nach Angaben von Al Jazeera durchgeführt von der Marine – hat das Café al-Baqa im nördlichen Gazastreifen am Montag getroffen. Mindestens 24 Menschen werden dabei getötet, Dutzende weitere verletzt.

Der getötete Journalist Ismail Abu Hatab vor dem Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt Foto: Jehad Alshrafi/ap

Das Café, so beschreiben es Augenzeugen, war gut gefüllt: Unter anderem mit Vertriebenen, die in der Nähe untergekommen sind – und in dem direkt an der Küste gelegenen Café in der Frische der Meeresbrise der Hitze von über 30 Grad Celsius entkommen wollen. So wie Abu Hamdi, der eigentlich aus dem mittlerweile zur Kampfzone erklärten Viertel Shujayya von Gaza-Stadt stammt. Es sei ein simples, aber schöne Café gewesen, sagt er. „Es brachte Ruhe für Herz und Seele.“

Am Dienstag sitzt er nun im Al-Shifa-Spital in Gaza-Stadt und erzählt: „Die Explosion war so kraftvoll, dass sie mich von meinem Stuhl und eine kurze Distanz weitergeschleudert hat. Ich blieb trotzdem bei Bewusstsein.“ Er habe sich umgesehen, und auf die Zerstörung um ihn herum geblickt: „Leblose Körper, über den ganzen Ort verteilt“, sagt er, „ich konnte nicht weiter hinsehen, es war unerträglich. Dann fiel mir auf, dass ich verletzt war, an beiden Beinen. Das eine wurde abgetrennt, das andere beinahe. Ich saß einfach da, bis ein Krankentransporter kam“, sagt er.

Ins Café fürs Internet

Bei dem israelischen Luftangriff kamen mehr als dreißig Menschen ums Leben Foto: Jehad Alshrafi/ap

Während er behandelt wird, verbreitet sich das Bild, wie er auf dem Boden des Cafés sitzt im Netz. „Es war sehr schwierig für meine Frau und Kinder“, sagt er. Sie leben mittlerweile in Kanada und erfahren so vom Schicksal ihres Vaters.

Abu Hamdi hat überlebt, wenn auch schwer verletzt. Unter den Opfern sind nach Berichte verschiedener Medien einige bekanntere Persönlichkeiten aus dem Gazastreifen: Der Fotojournalist Ismail Abu Hatab, der wohl auch für ein Projekt des deutschen Goethe-Instituts fotografierte. Oder Malak Musleh – jüngste Boxerin im Gazastreifen, schreibt die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa. Beide leben nicht mehr. Auch die Journalistin Bayan Abu Sultan, der auf X fast 120.000 Menschen folgen, ist unter den Betroffenen – sie überlebte verletzt.

Das Café war in Gaza-Stadt bekannt dafür, dass viele Journalistinnen und Journalisten, Fotografinnen und Fotografen, sowie Influencer, die aus ihrem Leben im Krieg im Gazastreifen posten, es aufsuchten. Denn das Internet war gut dort. So erzählt es auch Yusra al-Fakhouri. Ihre kleine Schwester Kifah, 30 Jahre alt, ist Fotografin. „Sie brauchte Internetzugang, also ging sie mit einer Freundin in das Café. Die beiden haben dort zusammen gearbeitet.“ Und dann, sagt sie, kam der Luftangriff. Nun steht sie im Al-Shifa-Spital, in dem auch Abu Hamdi liegt, neben dem Bett ihrer Schwester. Kifah ist erschöpft, eben ist sie operiert worden. Ihr rechtes Bein wurde amputiert. Während Yusra erzählt, wimmert sie im Hintergrund vor Schmerzen.

„Kifah ist oft dorthin gegangen zum Arbeiten. Die Atmosphäre dort ist schön, ruhig. Man kann dort dem konstanten Stress des Krieges für einen Moment entfliehen. Als der Luftangriff passierte, saß ich mit meiner Mutter zusammen. Jemand hat mich angerufen. Ich hatte sofort ein schlechtes Gefühl – als sei etwas Fürchterliches geschehen. Die Person am anderen Ende informierte uns: Kifah sei verletzt und liege im Al-Shifa-Krankenhaus auf der Intensivstation. Wir rannten zum Krankenhaus. Ich hatte furchtbare Angst, dass ich auch sie verlieren würde. Zwei meiner Brüder sind in diesem Krieg bereits getötet worden. Einer gleich zu Beginn, der andere vor einigen Monaten.“

Die Spitale in Gaza-Stadt können die vielen Verletzten kaum versorgen. Nach Angaben des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) sind noch elf Krankenhäuser sowie ein Feldspital in Gaza-Stadt zumindest teilweise funktionsfähig. Es mangelt aber an allem: Medikamenten, medizinischem Gerät und Personal, Strom für die Versorgung, Nahrung für die behandelten Verletzten.

Angriff ohne Vorwarnung

Eine Vorwarnung vor dem Angriff habe es nicht gegeben, berichteten Zeugen der taz

Auch Mohammed Ghabboun wurde bei dem Luftangriff am Montag auf das Café verletzt. Bis jetzt sei er noch nicht richtig behandelt worden, erzählt er. „Ich wurde an der Brust getroffen, mein Zustand ist mäßig“, sagt der 31-Jährige. Gemeinsam mit seiner Schwester Iman habe er das Al-Baqa-Café besucht. „Wir haben Saft bestellt, dann – ohne Warnung – schlug auf einmal die Rakete ein.“

Er habe das Bewusstsein verloren und sei erst wieder im Krankenhaus aufgewacht. „Es hat lange gedauert, bis die Ärzte mich behandeln konnten.“ Für verschiedene Tests – Röntgen, Blutproben – sei er in verschiedene Spital geschickt worden, wo die entsprechende Infrastruktur verfügbar ist. Es gibt schwerere Fälle als den von Mohammed – und die Ärzte entscheiden auch wegen der Mangelversorgung nach Schwere der Verletzungen, wer wann behandelt werden kann.

Mohammed Ghabboun im überfüllten Shifa-Krankenhaus Foto: Enas Tantesh

Die Schwester, ergänzt Mohammeds älterer Bruder, liege gerade auf dem Operationstisch im Al-Shifa-Krankenahaus – immerhin. „Ein Knochen im Bein wurde komplett zertrümmert. Die Ärzte setzen ihr Metallteile ein, um es zu stabilisieren.“ Die Lage seiner beiden Geschwister, sagt er, sei stabiler als die vieler anderer Verletzter. „Ich danke Gott dafür.“

Yusra al-Fakhouri, die wie Mohammads Bruder und viele andere an diesem Tag neben ihrer verletzten Schwester Wache hält, sagt: „Es reicht!“ Und: „Womit haben wir das verdient?“

Das israelische Militär erklärte nach dem Angriff: Man habe „mehrere Hamas-Terroristen im nördlichen Gazastreifen angegriffen“. Man untersuche den Angriff. Eine Vorwarnung vor dem Angriff gab es nicht, das berichten mehrere Zeugen der taz. Auch auf den üblichen Online-Kanälen ist nichts zu finden.

Das Café liegt an der Grenze zwischen den beiden Blöcken 663 und 708. Für den Block 663 erließ das israelische Militär über seinen arabischsprachigen Sprecher Avichay Adraee am 14. Mai eine Evakuierungsaufforderung. Sie wurde seitdem nicht mehr erneuert. Für den Block 708 wurde seit dem Ende der temporären Waffenruhe im Gazastreifen Ende März nie eine Evakuierungsaufforderung ausgegeben. Und das Café – das muss auch dem israelischen Militär bekannt gewesen sein – wurde von vielen Zivilistinnen und Zivilisten genutzt.

Recherchefonds Ausland e.V.

Dieser Artikel wurde möglich durch die finanzielle Unterstützung des Recherchefonds Ausland e.V. Sie können den Recherchefonds durch eine Spende oder Mitgliedschaft fördern.

➡ Erfahren Sie hier mehr dazu

„Überall um mich herum“, sagt Mohammed, „lagen Leichen – Männer, Frauen, Kinder“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Eine Katastrophe was die Hamas und Israel für ein Leid über Gaza bringt.

  • Riecht das nicht sehr danach, als wenn da gezielt, Jornalisten, Fotografen, Influencer, die die Realität im Gazastreifen in die Welt tragen, getroffen werden sollten?

    Die Israelis scheinen eine rote Grenze nach der anderen zu überschreiten. Wird ihnen das aber je in Frieden bringen können?

  • Whoever is responsible for that or has contributed to it.



    Shame on you!

  • Das passiert, wenn die beiden großen Faschisten und der andere Diktator die anderen Regimes unterstützen oder wegschauen. Dann meinen die ganzen kleinen Faschisten, sie könnten tun, was sie wollen. Ist ja sonst keiner da, der Macht hat (oder zeigt) und irgendjemand zum Einlenken bringen könnte.