Festival für tschechisches Theater: Von Wuchermieten und Trollmüttern
Der Verein Drama Panorama bringt einmal im Jahr „Ein Stück: Tschechien“ nach Berlin. Szenische Lesungen zeigten drei Stücke gekürzt erstmals auf Deutsch.

Endlich eine eigene Wohnung – davon träumt das junge Paar. Doch der Andrang auf dem Markt ist gewaltig und die meisten Wohnungen kann es sich wegen der Wuchermieten sowieso nicht leisten. In dieser hier stinkt es zwar nach „vollgepisstem Stroh“ und Schimmel, aber immerhin stimmt der Preis. Deshalb – schnell den Mietvertrag unterschreiben, bevor es jemand anders tut.
Es ist eine Szene aus Tomáš Rálišs Theaterstück „Ausgewohnt“, wie sie sich auch im echten Leben abspielen könnte. Das Theaterfestival „Ein Stück: Tschechien 2025“ des Vereins Drama Panorama brachte am Sonntagabend in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Zentrum Berlin und der tschechischen Botschaft dieses und zwei weitere Gegenswartsdramen junger tschechischer Autor:innen ins Theater unterm Dach im Prenzlauer Berg, Berlin. Als szenische Lesungen gab es die Stücke gekürzt erstmals in deutscher Fassung zu sehen.
Man habe darauf geachtet, Texte auszuwählen, die einem internationalen Publikum gut verständlich sind, sagte die Kuratorin und Festivalleiterin Barbora Schnelle der taz. Und die Wohnungskrise ist in Prag ein so aktuelles Thema wie in Berlin.
Fake-Profile in sozialen Medien
Ebenso grotesk und originell wie „Ausgewohnt“, aber in seiner Dramaturgie ausgefeilter war das zweite Stück des Abends, „Trollmama“ von Hana D. Lehečková. Es handelt von einer alleinerziehenden Mutter, die ihr Geld mit Fake-Profilen in den sozialen Medien verdient. Die meisten ihrer Schöpfungen sind Männer um die 50, die als Elektriker arbeiten. In ihren mit verschiedenen Smileys versehenen Posts loben die Fake-Personen wahlweise kleine Haushaltsgeräte oder rechte Politiker.
Die „Trollmama“ schuftet jeden Tag vor dem Bildschirm, denn ihre kleine Tochter möchte ihre Pfannkuchen nicht mit Marmelade, sondern lieber mit teurem Nutella essen – das muss man sich als Single Mom erst einmal leisten können. Im an die Aufführungen anschließenden Podiumsgespräch schilderte Lehečková, die vor allem Stücke für den tschechischen Rundfunk schreibt, die „Trollmama“ sei von einer wahren Begebenheit inspiriert. Vor einigen Jahren habe die Trolling-Spur ausnahmsweise überraschend nicht nach Russland, sondern in die Tiefen der tschechischen Wälder geführt.
Das dritte Stück des Abends, „Die vergossene Milchstraße“ von David Košťák, handelt von der Vater-Tochter-Beziehung eines Astronauten, die durch seine Reise ins All auf den Kopf gestellt wird. Da er im Kosmos langsamer altert, ist er nach seiner Rückkehr jünger als seine Tochter, die dann auch noch an Krebs erkrankt. Etwas zu sentimental und vorausschaubar, und deshalb der schwächste der präsentierten Texte.
Die dunkle Komödie über den Horror der Wohnungssuche eines jungen Paars, von Maira Neubert ins Deutsche übertragen, konnte die Besucher:innen des Theaterfestivals jedoch überzeugen. Sie wählten es zum besten Stück der Veranstaltung. Als Preis erhält der Autor Tomáš Ráliš einen einwöchigen Residenzaufenthalt in Berlin. Zudem übersetzt das Festival ein weiteres seiner Stücke ins Deutsche.
Gastspiel aus Prag zum Auftakt
Eröffnet wurde das Festival bereits am 10. Juni mit einem Empfang anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft Berlin–Prag und dem Gastspiel „Abgrund“ des Prager Theaters „A Studio Rubín“ über Depression und Angst – im tschechischen Original mit deutscher Simultanverdolmetschung.
Festivalleiterin Schnelle erklärte der taz, das Kernanliegen des Festivals sei die Übersetzung tschechischer Gegenwartsdramatik ins Deutsche. Erst so würden die Stücke für Bühnen im deutschsprachigen Raum überhaupt sichtbar. 2026 soll eine Anthologie mit den Übersetzungen der besten Festivalstücke aus den vergangenen Jahren erscheinen.
Während viele Tschech:innen Deutsch verstehen, beherrscht hierzulande kaum jemand die Sprache der Nachbarn. Man kennt und schätzt ihr Bier, aber nicht ihre reiche Kultur. Es ist ein Verdienst, dass das tschechische Theaterfestival in Berlin dieses asymmetrische Verhältnis umkehrt.
Allerdings hat der Verein Drama Panorama mit der Finanzierung zu kämpfen. Erstmals habe das tschechische Kulturministerium 2025 gar keine Mittel bereitgestellt, berichtete Schnelle der taz, wodurch es bei der diesjährigen Ausgabe nur zwei Veranstaltungen geben konnte. Man möchte hoffen, dass das Theaterfestival mit seinem enthusiastischen Team den Sparmaßnahmen im Kulturbereich trotzen und auch in Zukunft noch jährlich „ein Stück Tschechien“ nach Berlin bringen kann.
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