Brandanschlag mit vier Toten 2024: Neue Vorwürfe gegen Angeklagten von Solingen
Legte der mutmaßliche Brandstifter von Solingen noch ein weiteres Feuer? Neue Indizien deuten darauf hin – und legen erneut ein rechtsextremes Motiv nahe.

Es geht dabei um einen Brand im Keller eines Wohnhauses in Wuppertal 2022. In diesem Haus hatte zuvor die Freundin des Angeklagten gewohnt. 2021 war es zu einem Streit zwischen diesem und einem marokkanischen Nachbarn gekommen – beide zeigten sich damals gegenseitig an.
Der 55-jährige Nachbar, Jammal H., war am Mittwoch als Zeuge am Landgericht Wuppertal geladen. Er berichtete, dass der Angeklagte immer wieder Konflikte mit ihm begonnen habe. So habe Daniel S. ihn frühmorgens mit Pfefferspray attackiert, immer wieder auf der Straße beleidigt und „öfter böse angeguckt und beobachtet“.
Die Nebenklage-Anwältin Seda Başay-Yıldız wies darauf hin, dass im Suchverlauf des Angeklagten mehrfach nach Jammal H. und seinen persönlichen Informationen gesucht wurde. Einen Grund dafür könne Jammal H. nicht genau nennen, einziger Konflikt in dem Haus sei gewesen, dass der Angeklagte und seine Partnerin immer laut Musik gehört hätten – das habe aber auch alle anderen Nachbarn gestört.
Dürftige Ermittlungen
In dem Zeitraum, in dem Daniel S. und seine Freundin in dem Haus wohnten, sei Jammal H. zudem seine Bankkarte samt PIN aus dem Postfach gestohlen worden. Sein Konto sei angegriffen worden, damit habe jemand Lotto gespielt und mehrfach Geld abgehoben. Zudem habe er drei- bis viermal Flüssigkeit vor seiner Wohnungstür festgestellt: „Es war wie Öl ist, das ist nicht normal.“
Am 5. Januar 2022 kam es schließlich in dem Haus zu dem Brand. Er habe den Rauch früh genug bemerkt, berichtet H. und habe versucht, durch die Haustür zu entkommen. Doch diese sei an dem Tag verschlossen gewesen – was sie normalerweise nie gewesen sei. Mit seinem Schlüssel habe er die Tür dann geöffnet.
Die anderen Bewohner des Hauses, Menschen mit syrischem und rumänischem Hintergrund, wurden mit einer Feuerwehrleiter gerettet. H. habe danach einen Tag im Krankenhaus verbracht, bis heute habe er durch den Brand entstandene Beeinträchtigungen. Doch die Polizei habe ihn nie zu dem Fall vernommen. „Die haben nur den Namen genommen, aber nichts gefragt.“
Bekannt ist: ein Brandsachverständiger war nach dem Brand nicht vor Ort. Die Ermittlungen wurden wenige Monate nach dem Vorfall eingestellt – möglicherweise ein Kabelfehler, hieß es in der Presse. Die Vermutung am Wuppertaler Gericht: Auch für diesen Brand ist Daniel S. verantwortlich. „Sie hatten doch vielleicht Ihre Finger in der Sache“, sagte der Vorsitzender Richter am Landgericht Wuppertal, Jochen Kötter. „Wenn man alles zusammen denkt, könnte es passen.“
Nazi-Musik und rassistische Sprüche
Bekannt ist, dass Daniel S. bereits mehrfach mit Betrugsdelikten auffiel und regelmäßig Glücksspiel spielte. Im November 2022 und im Februar 2024 setzte er mutmaßlich weitere Häuser in Brand. Auch in diesen Gebäuden hatten sich zur jeweiligen Tatzeit Menschen aufgehalten, aufgefallen war Zeug*innen Öl vor der Tür.
Am Mittwoch las Richter Kötter auch die Nachrichten zwischen dem Angeklagten und seiner Partnerin am Tag des Brands im Januar 2022 vor. Dem zufolge sei der Angeklagte „irgendwo noch Matratze und Bilder abholen“ gewesen.
Ein Bekannter des Angeklagten und seiner Freundin berichtete der taz, dass S. und seine Freundin auch nach ihrem Auszug im September 2021 ihre Möbel noch im Keller gelagert haben. S. habe nach dem Auszug seiner Freundin Druck gemacht, schnell ihre Möbel aus dem Keller zu holen – wenige Tage nachdem die Möbel dann weg waren, sei es dann zu dem Brand gekommen.
Zudem berichtete der Bekannte, dass Daniel S. NS-Musik gehört habe. Auf Beschwerden habe er gesagt: „Das hat im Dritten Reich funktioniert, so funktioniert es auch.“ Er habe zudem Ärger über die „Ausländer in Solingen“ geäußert und behauptet, dass man sich dort deshalb nicht mehr aufhalten könne. Zudem seien im Freundeskreis des Täters „rassistische Witze über Türken“ üblich gewesen.
Die Anwält*innen der Nebenklage gehen von einem rechtsextremen Tatmotiv aus, doch das Gericht zeigt sich bislang davon nicht überzeugt. Würde ein solches Motiv anerkannt, wäre das für die Betroffenen nicht nur Aufklärung, sondern würde für die Überlebenden Nihat und Ayşe K. sowie die Angehörigen der ermordeten Familie auch eine Voraussetzung für Opferentschädigung erfüllen.
Die Opferberatungsstelle VBRG e.V. hat zuletzt eine Spendenaktion für die Überlebenden und Angehörigen gestartet. Ihr Leben sei durch den Anschlag „grundlegend erschüttert“, die bisherigen Hilfen reichten „kaum für das Nötigste“. Der Prozess gegen den 40-jährigen Angeklagten wird am 24. Juni vor dem Landgericht Wuppertal fortgesetzt.
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