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MedienkritikWas falsch läuft in Nachrichtenredaktionen

Tagesaktueller Journalismus ist herausfordernd, doch die Qualität nimmt ab. Warum es wieder mehr um Recherche und weniger um Egos gehen sollte.

Känguru oder Puma – wer weiß das schon? Foto: Tara Malhotra/imago

K rieg, Tod, Pandemien. Siehe da, ein entlaufenes Känguru. „Nachrichtenredaktion“ ist ein Arbeitsplatz, gelegentlich ein interessanter sogar. Ich habe da viel Zeit meines Berufslebens verbracht und das durchaus mit Herzblut. Anteil haben zu können an der öffentlichen Meinungsbildung, ist ja auch eine ganz erhebende Angelegenheit. Vierte Gewalt, gelebte Demokratie, Bundesverdienstkreuz der Herzen. Alles wissen, sortieren, mitteilen.

Aber irgendwann fällt auf, dass dieser doch etwas arrogante Politik- und Welterklärungsmodus auch nur deshalb funktioniert, weil kaum jemand zurückblättert. Ich hatte privat für mich die Definition eines guten Journalismus mal so formuliert: „Wissen, was als Nächstes passiert.“ Die Idee dahinter erschließt sich vermutlich von selbst – genauso, warum ich das Motto bald einschränken musste: „Mit Glück ahnen, welche Fortgänge eventuell plausibel und möglicherweise wahrscheinlich sind.“

Aber selbst das schien zu hoch gegriffen für das hektische Tagesgeschäft. In dem gefangen, kann man selbst daran scheitern, bereits Geschehenes adäquat darzustellen. Auf so einer Nachrichtenwebsite zum Beispiel wird die Welt unter hohem Druck in kleine Häppchen geteilt, verschlagwortet und als reichlich schiefes Puzzle wieder ausgespuckt.

Je nach Tagesform kriegt man das mutmaßlich Wichtigste einigermaßen gerichtsfest abgebildet. Von halbwegs stabilen Prognosen brauchen wir da gar nicht erst zu reden. Die daneben zum genormten journalistischen Programm gehörenden Meinungsbeiträge demonstrieren dann mehr Wunschdenken und Tribalismus denn analytisches Gespür.

Eitelkeit statt Plausibilität

Dementsprechend überzeugen Kommentare der Nachrichtenmedien in der Regel nur jenen Teil des Pu­bli­kums, dessen bereits bestehende Meinung sie jeweils befestigen. Die mit vielen großen Worten geführte Debatte ist dann keine Übung im öffentlichen Denken, sondern eine Waffenschau. Mensch, ein unangenehm frischer Zug weht hier auf einmal durch mein schickes neues Glashaus.

Klar, so ein bisschen draufhauen hat auch seinen Sinn und seine Zeit. Es interessiert mich nur nicht mehr so sonderlich. Vor allem dann nicht, wenn es von jenen Welterklärern stammt, die ihre Prognosen kaum nach Plausibilitäten, sondern mehr nach Eitelkeit und Opportunität ausrichten.

Ich habe den Typus zur Genüge aus der Nähe erlebt: Menschen (nicht ausschließlich, aber mehrheitlich Männer), die ganz offensichtlich schon sich selbst und ihre unmittelbare Umgebung kaum verstehen, aber ganz genau wissen, wie’s so läuft mit den [hier random Nationalität einfügen: „Russen“, „Israelis“, „Iranern“ usw.]. Das wird alles so weggerotzt. Morgen fragt niemand mehr danach. Ahnungslosigkeit ist zwar keine notwendige Bedingung, aber eben auch kein Hinderungsgrund.

Es ist ein Puma dieses Jahr, oder? Hauptsache, weg aus Sachsen-Anhalt. Fragen Sie mal den dortigen Ministerpräsidenten. Ich glaube, ich weiß, was mit dem als Nächstes passiert.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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4 Kommentare

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  • Danke!

    Auch dieses Thema gehört strenggenommen zum globalen Mangel an "Medienkompetenz" das Alle, Jede und Jeden betrifft und das dahinter liegende größere Problem darstellt.

  • ""1.. Journalismus ist herausfordernd, doch die Qualität nimmt ab --



    ""2...(die zum) ""genormten journalistischen Programm gehörenden Meinungsbeiträge demonstrieren dann mehr Wunschdenken und Tribalismus denn analytisches Gespür.""



    ===



    Auf die Frage, welche in den vergangenen 12 Monaten, die größten Herausforderungen für den Journalismus waren, nannten die Journalisten weltweit am häufigsten die sinkenden Werbeeinnahmen und Auflagenzahlen (22,5 Prozent) sowie den Personalbestand und Ressourcen (17,5 Prozent)..

    Vor diesem Hintergrund könnte man meinen das als Reaktion die journalistische Qualität allgemein abnimmt - wobei diese Aussage nur objektivierbar ist wenn man jeweils den Journalismus eines Mediums in der Entwicklung der letzten Jahre betrachtet.

    Die sozialen Medien zeigen deutlich ihre Wirkung - besonders auf den Journalismus.

  • Lang lebe die Wochenzeitung. Mal den Browser geschlossen lassen und am Ende der Woche das Weltgeschehen ein bisschen differenzierter erlesen - und um so seltener die Zeitung erscheint, desto besser scheinen mir auch die Texte dort.



    Das ist vielleicht der gesündere Weg des Nachrichtenkonsums :)

    • @ Dario Holz:

      Das ist durchaus eine Möglichkeit.



      Differenzierter lesen kann man aber auch in den aktuellen Medien. Man muss sich ja nicht jeden Tag alles zu Gemüte führen, und nach der Lektüre tief durchatmen hilft ebenfalls. :-)