Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen: No Need for Speed
Die CDU will Tempo 30 schleifen – die Senatsverwaltung macht eher zögerlich mit. Rechtlich notwendig ist die Abschaffung ganz offenbar nicht.
Seitdem die Christdemokraten in Berlin mitregieren und das Verkehrsressort innehaben, steht darum die Aufhebung dieser Tempolimits im Mittelpunkt der Debatte. Dabei versucht die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ihre eigene Senatorin Ute Bonde regelrecht vor sich herzutreiben. Zuletzt hatte Fraktionschef Dirk Stettner Ende April gesagt, noch in diesem Jahr würden zwei Dutzend Tempo-30-Abschnitte wieder aufgehoben. Damit mache man „grüne Verbotsfantasien rückgängig“ und kehre „zur Straßenverkehrsordnung zurück“.
Bonde und auch ihre Vorgängerin Manja Schreiner (ebenfalls CDU) haben dagegen immer wieder betont, die geplante Rückkehr zu Tempo 50 erfolge ohnehin nicht aus freien Stücken, sondern sei rechtlich unumgänglich: Weil sich die Luftqualität in den vergangenen 6 Jahren deutlich verbessert habe, sei eine Beibehaltung von Tempo 30 gar nicht zulässig, wenn das in diesem Zusammenhang angeordnet wurde.
Am heutigen Dienstag bringt die Verkehrsverwaltung auf der wöchentlichen Senatssitzung eine Beschlussvorlage ein, die eine neue Fortschreibung des Berliner Luftreinhalteplans vorsieht. Diesem Papier zufolge, das der taz vorliegt, soll Tempo 30 nur auf 7 Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen erhalten bleiben, damit die Luft-Grenzwerte dort auch künftig „sicher eingehalten“ werden. Das betrifft insgesamt rund 5,5 Kilometer Straße. Für weitere 34 Strecken von insgesamt rund 19 Kilometern Länge heißt es hingegen, dass die Grenzwerte auch ohne Tempo 30 dauerhaft eingehalten werden können.
Interessant an dieser Stelle: Aus der fachlichen Begründung, die die Verkehrsverwaltung in der Senatsvorlage mitliefert, geht hervor, dass der Senatorin in dieser Angelegenheit mitnichten die Hände gebunden waren. Weder gab es eine rechtliche Notwendigkeit, den Luftreinhalteplan zu aktualisieren, noch gibt es einen Automatismus, dass Tempolimits wieder aufgehoben werden müssen, wenn sie das Ziel der Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten erreicht haben.
Wörtlich heißt es in der Vorlage, dass „die Fortschreibung eines Luftreinhalteplans“ dann gesetzlich erforderlich ist, „falls die bereits beschlossenen Maßnahmen für eine schnellstmögliche Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte nicht ausreichend sind“. In Berlin ist bekanntlich das Gegenteil der Fall, die Luft ist in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden. Gleichzeitig gilt laut den AutorInnen der Vorlage: „Die Aufhebung der Festlegung von insbesondere verkehrsbeschränkenden Maßnahmen in einem Luftreinhalteplan ist dagegen gesetzlich nicht geregelt.“
Niemand hat den Senat gezwungen
Sprich: Niemand hat den Senat gezwungen, den Luftreinhalteplan zu aktualisieren. Es handelt sich um eine bewusste politische Entscheidung, die getroffen wird, um Tempo-30-Strecken wieder aufheben zu können. Anderenfalls hätten die geltenden Anordnungen einfach weiter Bestand gehabt.
Mit diesem Schritt kommt die Senatsverwaltung also den Hardlinern in der CDU-Fraktion entgegen. Gleichzeitig tritt sie offenbar sofort wieder einen Schritt zurück: Für die genannten 34 Strecken „entfällt für Tempo 30 der Anordnungsgrund ‚Luftreinhaltung‘“ heißt es in der Vorlage, „hier erfolgt nun eine Aufhebung von Tempo 30 durch die Straßenverkehrsbehörde, sofern nicht andere Gründe wie Belange der Verkehrssicherheit oder der Schutz vor Lärm Tempo 30 erfordern.“
Da der ebenfalls aktualisierte Lärmaktionsplan lediglich eine Ausweitung von Tempo 30 in der Nacht vorsieht, kommt vor allem die Verkehrssicherheit als Kriterium infrage. Hier gibt die vor Kurzem novellierte Straßenverkehrsordnung (StVO) dem Land Berlin deutlich mehr Entscheidungsspielraum als früher.
Laut einer Sprecherin der Senatorin wurde tatsächlich für 9 der 34 Abschnitte schon entschieden, dass Tempo 30 beibehalten werden soll. Darunter befindet sich der wichtige Straßenzug Leipziger Straße – Potsdamer Straße – Hauptstraße, der als Teil der Bundesstraße B1 von Mitte bis nach Friedenau reicht. Und auch die restlichen Abschnitte sollen noch unter Sicherheitskriterien überprüft werden. Das kann dauern – und das Versprechen des CDU-Fraktionschefs steht somit auf wackligen Füßen.
Grüner Hack: Eltern-Mails
Derweil greifen die Grünen zu kreativen Methoden für mehr Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen. Die verkehrspolitische Fraktionssprecherin Oda Hassepaß hat eine Mail-Vorlage erarbeitet, mit der Eltern das Tempolimit in der Nähe der Schulen ihrer Kinder einfordern können. Sie können sich dabei auf die Verwaltungsvorschriften zur neuen StVO berufen, die den Schutz hochfrequentierter Schulwege als mögliche Voraussetzung für Tempo 30 benennen. Das gilt im Gegensatz zu früher auch, wenn die Schule nicht direkt an der Hauptverkehrsstraße liegt.
„Die Senatsverwaltung hat signalisiert, dass sie in dieser Hinsicht nicht proaktiv, sondern nur nach Aufforderung durch Betroffene tätig werden wird“, so Hassepaß zur taz. „Die Eltern müssen also selbst handeln, und ich freue mich, wenn wir hier eine Welle auslösen können.“ In einem nächsten Schritt werde es ähnliche Aktionen für Kitas und Seniorenwohnheime geben.
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