Selenskyj in Berlin: Alles ist offen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war zu Gast in Deutschland. Wie es weiter geht, beispielsweise mit Friedensverhandlungen, ist unklar.

D eutschland hat zugesagt, die Ukraine beim Ausbau ihrer Luftabwehr zu unterstützen – ein begrüßenswerter Schritt. Angesichts der anhaltenden russischen Raketen- und Drohnenangriffe ist der Schutz ukrainischer Städte ein wichtiges Anliegen. Ob Deutschlands zugesagte Unterstützung für die Ukraine bei der Produktion weitreichender Raketen, gemeint sind auf Russland zielende Angriffswaffen, hilfreich ist, hingegen ist fraglich. Denn dieser riskante Schritt, der die aktuellen Vorbereitungen für Friedensverhandlungen unterminieren könnte, birgt viel Sprengkraft.
Doch Luftabwehr in den Großstädten allein reicht nicht aus. Der Blick muss auch auf die humanitäre Lage innerhalb des Landes gelenkt werden. Besonders dramatisch ist die Situation in der Region Sumy, wo sich eine humanitäre Katastrophe abzeichnet. Nach Angaben der örtlichen Zivilschutzbehörde wurden von dort bereits rund 8.000 Kinder aus über 200 Ortschaften evakuiert. Weitere 600 Kinder warten derzeit noch auf ihre Fahrt in sichere Gebiete. Ob neben den angekündigten sieben Milliarden Euro an Militärhilfe aus Deutschland auch Mittel für die Versorgung der Binnenflüchtlinge bereitgestellt werden, geht aus den Statements von Bundeskanzler Merz und Präsident Selenskyj leider nicht hervor.
Wie geht es also weiter? Erfreulich ist, dass in Berlin erneut die grundsätzliche Bereitschaft zu direkten Friedensverhandlungen betont wurde, lange Zeit war das keine Selbstverständlichkeit. Und es scheint tatsächlich Bewegung in den Verhandlungsprozess zu kommen. Selenskyj berichtete in Berlin von einem Telefonat des ukrainischen Verteidigungsministers mit dem Leiter der russischen Verhandlungsdelegation. Es ist durchaus möglich, dass es bereits in der nächsten Woche wieder russisch-ukrainische Gespräche gibt, der russische Präsident Wladimir Putin selbst hat Istanbul als erneuten Gesprächsort vorgeschlagen.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Doch der Teufel steckt – wie so häufig bei diesen Fragen – im Detail: Wie wird die Ukraine auf die inakzeptable russische Forderung reagieren, vier ihrer Regionen abzutreten? Und wie steht sie zu Bedingungen wie einer Nato-Nichtmitgliedschaft der Ukraine, einem neutralen Status des Landes? Oder auch gegenüber dem Schutz der russischen Sprache? All das birgt nicht weniger Sprengkraft – und hängt vor allem an Putins Verhandlungsbereitschaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Negative Preise durch Solaranlagen
Strom im Mai häufig wertlos
Militärhistoriker über Kriegstüchtigkeit
„Wir brauchen als Republik einen demokratischen Krieger“
Klima-Urteil des OLG Hamm
RWE ist weltweit mitverantwortlich
Waffenlieferung an Israel
Macht sich Deutschland mitschuldig?
Selenski zu Besuch in Berlin
Militarisiertes Denken
Schutz von Sinti und Roma
Neue Regierung verzichtet auf Antiziganismus-Beauftragten