piwik no script img

Verhandlungen über Ukraine-KriegWer kommt zu den Gesprächen nach Istanbul?

Am Donnerstag sollen sich ukrainische und russische Delegationen in der Türkei treffen. Selenskyj reist selbst an, ob Putin teilnimmt, bleibt unklar.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will persöhnlich nach Ankara reisen

Berlin taz | Wer aus der Ukraine und Russland an diesem Donnerstag in Istanbul am Verhandlungstisch sitzen wird, ist immer noch unklar. Kremlsprecher Dmitri Peskow teilte am Mittwoch mit, eine russische Delegation werde in die Türkei reisen, zu deren Zusammensetzung gebe es jedoch nicht Neues zu sagen. „Wir werden das bekannt geben, sobald wir entsprechende Anweisungen vom Präsidenten erhalten.“ Bislang seien diese jedoch nicht erfolgt, so Peskow.

Medienberichten zufolge könnten Russlands Außenminister Sergei Lawrow sowie der außenpolitische Berater von Wladimir Putin, Juri Uschakow, anwesend sein. Demgegenüber wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf jeden Fall in die Türkei reisen. Zunächst will er am Donnerstag in der Hauptstadt Ankara mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan zusammentreffen. Sollte jedoch Wladimir Putin nach Istanbul reisen, werde er sich ebenfalls umgehend dorthin begeben, sagte Selenskyj am Dienstag vor Journalisten.

Ob sich Putin zu einem direkten Treffen durchringt (das käme einer Aufwertung Selenskyjs gleich, dem der Kreml wegen ausbleibender Neuwahlen die Legitimität abspricht), könnte auch von US-Präsident Donald Trump abhängen. Trump, der derzeit durch mehrere Golfstaaten tourt, hatte die Möglichkeit eines kurzen Abstechers nach Istanbul angedeutet. Unabhängig davon werden die USA dort durch Außenminister Marco Rubio, Trumps Sonderberater für die Ukraine Keith Kellogg sowie Trumps Verhandlungsführer Steve Wittkoff vertreten sein.

Kyjiw sei zu jedem Dialogformat bereit, aber es gebe eine Bedingung: einen vollständigen und bedingungslosen Waffenstillstand. Wir haben davor keine Angst, denn die Ukraine hat bereits Offenheit und Ehrlichkeit bewiesen. Jetzt ist Russland an der Reihe“, schrieb der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes Andrij Jermak auf Telegram. „Der Umstand, dass Selenskyj die Türkei besuche, auch wenn Putin dort nicht auftauche, sei ein klares Signal an die ganze Welt: „Moskau will keinen Frieden und ist nicht zu ernsthaften Verhandlungen bereit“, so Jermak.

Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.

➝ Mehr zum Thema Krieg in der Ukraine

Zwischenstopp in Moskau

Auf Russlands Präsidenten einwirken will auch Brasiliens Staatsoberhaupt Lula da Silva. Medienberichten zufolge wird da Silva nach dem Regionalforum in China auf seinem Rückweg nach Brasilien in Moskau einen Zwischenstopp einlegen. „Ich werde versuchen, mit Putin zu reden. Es kostet mich nichts, zu sagen: „Hey, Genosse Putin, gehen Sie nach Istanbul und verhandeln Sie, verdammt noch mal“, sagte Lula da Silva laut des ukrainischen Nachrichtenportals Ukrainska Pravda bei einer Pressekonferenz in Peking vor seiner Abreise.

Unterdessen spekuliert das oppositionelle russischsprachige Webportal Meduza über verschiedene Szenarien für das Treffen am Donnerstag. Grundsätzlich gebe es zwei mögliche Wege, um zu Friedensverhandlungen zu gelangen.

Entweder einigten sich die Ukraine und Russland unter Vermittlung einer dritten Partei auf die Bedingungen für eine Einstellung der Feindseligkeiten und unterzeichneten ein Waffenstillstandsabkommen, nachdem sie sich auf grundlegende Friedensbedingungen geeinigt hätten. Die zweite Variante sei ein Waffenstillstand ohne Vorbedingungen als erster Schritt eines Verhandlungsprozesses. Anschließend würden die Parteien unter der Bedingung einer Waffenruhe verhandeln und ihre Positionen schrittweise annähern, schreibt Meduza.

Das Portal sinniert auch darüber, was eine mögliche Anwesenheit Putins in Istanbul bedeuten könnte. „Wenn Putin nicht nach Istanbul kommt, werden die Verhandlungen auf Ministerebene höchstwahrscheinlich im Sande verlaufen. Sollte bekannt werden, dass Putin nach Istanbul reist, sollte dies als Warnsignal an die Ukraine und die Europäer verstanden werden. Selenskyj wird wenig Spielraum haben, wenn Putin und Trump in Istanbul mit einem Abkommen auftauchen, dessen Unterzeichnung Trump von Selenskyj fordern wird. Doch in den vergangenen drei Jahren hat Selenskyj immer wieder auf wundersame Weise Stärke und Einfallsreichtum bewiesen, die nur aus Verzweiflung heraus geboren werden können“, so Meduza.

Neue Sanktionen

Unterdessen scheinen sich die Staaten der EU auf ein weiteres Sanktionspaket (mittlerweile das 17.) gegen Russland verständigt zu haben. Das teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch auf X mit. Die Strafmaßnahmen richten sich insbesondere gegen die russische „Schattenflotte“ – fast 200 Schiffe, darunter auch Öltanker sowie rund 30 neue Unternehmen, die an der Umgehung von Sanktionen beteiligt waren.

Zudem geht es um 75 neue Einzelsanktionen gegen natürliche und juristische Personen, die mit dem russischen militärisch-industriellen Komplex in Verbindung stehen. Weiterhin ist von zusätzlichen Strafmaßnahmen gegen Russland wegen Menschenrechtsverletzungen, hybrider Einmischung weltweit und der Verbreitung chemischer Waffen die Rede. Das Sanktionspaket gegen Russland soll während des EU-Außenministerrats am 20. Mai verabschiedet werden.

Derweil herrscht in der Ukraine eher Skepsis gegenüber möglichen Ergebnissen des Treffens in Istanbul. Das alles sei doch „nur ein diplomatisches Spiel, denn der Beschuss gehe weiter“, merkt Serhij Pritula, ukrainischer Aktivist und Gründer einer Wohltätigkeitsstiftung, auf dem Webportal Novoje Vremja an.

„Für Putin ist dieser Krieg existenziell. Er legitimiert sein Regime. Frieden ohne einen Sieg über die Ukraine werden Putins Vasallen ihm als Schwäche auslegen“, schreibt Pritula. „Selbst wenn wir uns hypothetisch vorstellen, dass er (oder seine Untergebenen) sich nach Istanbul aufmachen, wird er nicht kommen, um zu verhandeln, sondern wird ein Ultimatum im Gepäck haben, das uns seit den Istanbuler Verhandlungen von 2022 vertraut ist – die Kapitulation der Ukraine, die Teufel des Kreml in Kyjiw die Entmilitarisierung und so weiter….“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • So oder so wird sich Russland entlarven. Entweder mit unethsichen und unerfüllbaren Bedingung oder mit offenen Karten die auf das Gleiche hinauslaufen. Ich hoffe/bete jeden Tag, dass die russische Propaganda einen Weg findet einen vollständigen Rückzug aus der Ukraine innenpolitisch als Sieg zu verkaufen.

    Schöner wäre ein Regimewechsel der auf diesen Eroberungskrieg folgt. Bei all dem Leid darf man nicht vergessen, daß es auch Russen sind die unter Putin leiden.

  • Wenn es für Selenskyj dumm läuft, sitzt er mit Putin und Trump auf einem Sofa...

  • Putin wird kommen, wenn Trump kommt. Ansonsten wohl kaum. Mit Putin zum jetzigen Zeitpunkt zu verhandeln dürfte schwierig werden ohne sehr große Zugeständnisse zu machen, trotzdem gibt es keine sinnvolle Alternative zu Verhandlungen. Besser wäre es natürlich gewesen früher versuchen ernsthaft zu verhandeln.



    Zb als Putin nach der erfolgreichen ukrainischen Charkiw Offensive 22 große Angst hatte zu mobilisieren und auf Kriegswirtschaft umzustellen. Damals hatte er Angst um seine Machtbasis. Jetzt weiß er ja leider, dass das unbegründet war.