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Antifaschismus, aber bitte neutral

In Berlin-Neukölln wird ein Rechtsextremismus-Bericht zurückgezogen – wohl aus Angst vor CDU und AfD. Dann veröffentlicht ihn halt die taz

Mahnwache in Berlin-Neukölln Foto: Paul Zinken/picture alliance

Von Konrad Litschko

Es waren klare Worte, die Sarah Nagel am 20. März verlor. Das Neuköllner Bezirks­amt nehme „Rechtsextremismus als reale und aktuelle Gefahr nach wie vor sehr ernst“, erklärte die Jugendstadträtin und Linken-Politikerin, die in dem Berliner Bezirk auch Beauftragte für Strategien gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist. Rechte Propaganda und Gewalttaten seien in Neukölln „leider alltäglich“.

Die Worte fielen bei einer Premiere: der Vorstellung des ersten Berichts des Bezirks zu rechtsextremen Aktivitäten in Neukölln. Die Bezirksverordnetenversammlung hatte diesen bereits 2017 erbeten – nachdem Rechtsextreme eine Serie von Straftaten losgetreten hatten, die auch bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Den Bericht verantwortete nun Stadträtin Nagel, er listet auf 60 Seiten rechtsextreme Straftaten und Netzwerke im Bezirk auf.

Doch die Verbreitung des Reports währte nur wenige Tage. Keine Woche später verschwand dieser klammheimlich wieder und war online nicht mehr aufrufbar. Stattdessen gibt es nun Streit im Bezirksamt, grundsätzlichen.

Dabei fand auch der Bericht deutliche Worte. Zwar fokussierte sich dieser auf das Jahr 2023, stellte für den Zeitraum 208 rechte Straftaten fest, welche die Polizei zählte, und 400 Delikten, die das unabhängige Register Neukölln notierte. Aber er betonte: Es gebe „langjährige Kontinuitäten“ bis heute. „Neonazis sind weiterhin verankert und eine Gefahr im Bezirk“, heißt es im Vorwort. „Rechtsextrem motivierte Straftaten und Vorfälle sind immer noch Alltag in Neukölln.“ Und: „Die Aufarbeitung ist keinesfalls abgeschlossen.“ Der Bericht solle fortgeschrieben werden.

Tatsächlich hatte sich die Lage in Berlin-Neukölln seit 2016 zugespitzt. Autos von Linken brannten, Reifen wurden zerstochen, Fensterscheiben eingeworfen, Graffitis mit Drohungen gesprüht. Auch ein bis heute unaufgeklärter Mord geschah im Bezirk, begangen 2012 am 22-jährigen Burak Bektaş. Erst im Oktober 2024 waren erneut die Autoreifen des Buchhändlers Heinz Ostermann, der sich gegen Rechtsextreme engagiert, zerstochen worden.

Im Dezember wurden dann in einem Berufungsprozess zwei Neonazis zu Haftstrafen von bis zu dreieinhalb Jahren für Taten aus der Neuköllner Anschlagsserie verurteilt – einer von ihnen war früher für die AfD aktiv. Im Berliner Abgeordnetenhaus läuft zudem seit 2022 ein Untersuchungsausschuss zum Ermittlungsvorgehen, das lange zu wenig Ergebnissen führte.

All dies fasst der Bericht zusammen, lässt auch Betroffene und Initiativen wie die Mobile Beratung oder Reach­out zu Wort kommen sowie Gruppen, die sich vor Ort gegen die Rechtsextremen engagieren. Der Zivilgesellschaft sei es zu verdanken, „dass die Gefahr durch Rechtsextremisten immer wieder öffentlich ins Gedächtnis gerufen und Druck in Richtung umfassender Aufklärung gemacht wird“, heißt es lobend im Bericht. Und: Das Bezirksamt sei „sich der Problemlagen in Neukölln bewusst und nimmt die Prävention und die Bekämpfung von Rechtsextremismus sehr ernst“.

Nun aber ist der Bericht unbemerkt wieder einkassiert. Das Bezirksamt unter SPD-Bürgermeister Martin Hikel, in dem auch Ver­tre­te­r*in­nen von CDU, Grünen und der Linken sitzen, nahm ihn aus dem Internet. Nach taz-Informationen stecken dahinter rechtliche Bedenken, ob es mit dem staatlichen Neutralitätsgebot vereinbar ist, dass die AfD in dem Bericht genannt wird – die aber nicht alle im Bezirksamt teilen. Zum anderen kritisiert die CDU, dass der Bericht „linksextreme Forderungen“ enthalte und auch „konservative Akteure“ als Problem benenne.

Inzwischen ist über den Bericht heftiger Streit im Bezirksamt ausgebrochen. Die CDU stellte sogar einen Missbilligungsantrag gegen Stadträtin Nagel – auch weil der Bericht vor der Veröffentlichung nicht im Bezirksamt abgestimmt gewesen sei. Am 14. Mai soll auf Antrag der CDU eine Sondersitzung des Bezirksparlaments wegen des Berichts stattfinden. In dem Streit geht es auch um eine Grundsatzfrage: Wie deutlich darf eine öffentliche Verwaltung beim Thema Rechtsextremismus werden? Wie darf es dabei mit der AfD umgehen?

Bürgermeister Martin Hikel, der auch Berliner SPD-Chef ist, gibt sich zugeknöpft. Er lässt seinen Sprecher ausrichten, dass der Bericht derzeit „überarbeitet“ werde. Jugendstadträtin Sarah Nagel wiederum räumt „Differenzen“ über den Bericht im Bezirksamt ein. Die Linkenpolitikerin betont, dass ihr Bericht einem Auftrag der Bezirksverordnetenversammlung folgte. Und dass dieser rechtsextreme Aktivitäten benennen müsse, wenn dies der Arbeitsauftrag sei. „Egal, woher er kommt.“

Tatsächlich wird im Bericht dabei auch die AfD benannt. In der Einleitung des Bezirksamts ist von einer „in Teilen rechtsextremen Partei AfD“ die Rede. Und auch: „Die teilweise rassistischen Äußerungen und Positionen von Mitgliedern der Partei sind besonders in einem vielfältigen Bezirk wie Neukölln für viele Bür­ge­r:in­nen besorgniserregend.“ Ein Vertreter des „Bündnisses Neukölln“ schildert später im Bericht, das Besondere in Neukölln sei, dass dort „Neonazis eingebunden und vernetzt sind in ein rechtes bürgerliches Milieu, besonders in AfD-Strukturen“. Dieses Milieu umfasse „Nazis, Fußball-Hooligans, AfD’ler bis hin zu konservativen Akteuren“.

Von der AfD selbst sind bisher noch keine rechtlichen Schritte gegen den Bericht bekannt. Aber der Bezirk ist womöglich in Sorge, weil die Partei schon einmal die Auseinandersetzung mit ihm suchte: Bereits 2019 klagte sie gegen eine Ausstellung im Rathaus Neukölln über die „Extreme Rechte“, in der auch die AfD auftauchte – mit Erfolg.

Stadträtin Nagel dagegen verteidigt die Nennung der AfD im aktuellen Bericht. „Die AfD ist eine in Teilen rechtsextreme Partei, die in Neukölln Kontakte in die rechtsextreme Szene hat. Es ist daher schwer vorstellbar, einen Bericht zu Rechtsextremismus in Neukölln zu machen und die AfD nicht zu erwähnen.“ Zudem, so Nagel, seien die Verquickungen in Beiträgen von zivilgesellschaftlichen Gruppen benannt worden. „Denen können wir ja kaum vorschreiben, dass sie diese AfD-Verbindungen nicht benennen dürfen.“ Für Nagel geht es auch um eine Grundsatzfrage. „Auch ein Bezirksamt muss rechtsextreme Gefahren benennen, wenn diese vorliegen. Und wenn diese von der AfD ausgehen, dann darf auch das nicht verschwiegen werden.“

Tatsächlich sucht die AfD immer wieder den Rechtsstreit, wenn sie der Ansicht war, dass staatliche Ver­tre­te­r*in­nen ihre Neutralitätspflicht verletzten. So klagte die Partei schon 2015 gegen die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), weil diese in einer Pressemitteilung von einer „Rote[n] Karte für die AfD“ schrieb. Das Bundesverfassungsgericht wertete dies tatsächlich als Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht.

Erfolgreich war dagegen zuletzt Malu Dreyer (SPD), frühere Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Sie hatte an einer Kundgebung „Zeichen gegen rechts“ teilgenommen und auf ihrem Instagram-Account die AfD wegen ihre „Remigrationspläne“ kritisiert. Dies hielt der Verfassungsgerichtshof des Landes zum Schutz der demokratischen Grundordnung für gerechtfertigt. Die Äußerungen seien sachlich gewesen und das Land müsse als wehrhafte Demokratie nicht neutral gegenüber seinen Gegnern sein.

Diese Position teilt auch Vasili Franco (Grüne), Vorsitzender des Untersuchungsausschuss Neukölln im Berliner Abgeordnetenhaus. „Wenn der Bezirk einen Bericht zu Rechtsextremismus in Neukölln in Auftrag gibt und es dort Verbindungen der AfD zu Neonazis gibt, dann muss das natürlich benannt werden.“ Auch im Untersuchungsausschuss seien diese Verbindungen „zweifelsfrei belegt“ worden. Es müsse daher auch einem Bezirksamt möglich sein, rechtsextreme Gefahren zu benennen, so Franco. „Zuallererst wäre es doch an der AfD selbst, gegen rechtsextreme Aktivitäten in der eigenen Partei einzuschreiten. Wer daran kein Interesse zeigt, darf sich über Kritik nicht beschweren.“

Die Neuköllner CDU übt aber noch weitere Kritik an dem Bericht – und fordert, diesen nicht zu überarbeiten, sondern gänzlich und endgültig zurückziehen. Der Bericht enthalte „methodische Mängel“ und „völlig inakzeptable Forderungen nach Abschaffung der Sicherheitsbehörden“ sowie „unanständige Angriffe“ auf die Polizei, kritisierte CDU-Kreischef Falko Liecke. Nagel wirft er mit dem Bericht einen Alleingang vor, sie missbrauche ihr Amt für „politische Agitation“. Die CDU fühlt sich offenbar mitangesprochen und stößt sich vor allem daran, dass in dem Bericht das zivilgesellschaftliche Bündnis Neukölln mit dem Satz zitiert wird, dass es im Bezirk ein Milieu von „Nazis“ bis „konservativen Akteuren“ gebe. „Wer solch ein Bild unseres Bezirks hat, darf keine Verantwortung für ihn tragen“, kritisiert Liecke.

Es geht in Neukölln um eine Grundsatzfrage: Wie geht die Verwaltung mit der AfD um?

Das Bündnis Neukölln hat die CDU schon länger auf dem Kieker, weil dort auch die Interventionische Linke mitmacht, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. „Ein Bezirksamt kann aber doch keinen Bericht mit extremistischen Akteuren verfassen und sich deren Argumente zu eigen machen“, kritisiert Liecke. „Das überschreitet alle Grenzen.“ Auch deshalb habe man den Missbilligungsantrag gegen Nagel gestellt und den Antrag auf die Sondersitzung des Bezirksparlaments.

Tatsächlich üben einige der Initiativen, die im Bericht zu Wort kommen, deutliche Kritik. Das Berliner Register spricht von „Skandalen und Ungereimtheiten in der Ermittlungsarbeit“. Die Initiative Burak Bektaş kritisiert die Ermittlungen zum Mord an Bektaş als „chaotisch, halbherzig, schlecht dokumentiert“. Von ihr kommt auch die Forderung nach einer „radikalen Reduktion des Polizeiapparates“ und der Abschaffung des Verfassungsschutzes. Reachout kritisiert Neukölln als Bezirk, „in dem Menschen besonders stark rassistischer Kriminalisierung ausgesetzt sind“.

Nagel hält der CDU-Kritik entgegen, dass die Aussagen der Initiativen klar als solche erkennbar seien. Es sei der Auftrag gewesen, die Initiativen zu Wort kommen zu lassen. „Wir können diese ja schlecht im Bericht zensieren.“ Dem Missbilligungsantrag und der Sondersitzung sehe sie gelassen entgegen. „Ich bin nur meinen Aufgaben nachgekommen.“

Im Bericht selbst wird ein Vertreter des Bündnis Neukölln zitiiert, als hätte er etwas geahnt: „Manchmal würde man sich ein bisschen mehr Haltung, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein wünschen, was den Umgang mit irgendwelchen Klagen von beispielsweise der AfD angeht.“

Das Bezirksamt Neukölln will den Rechtsextremismus-Bericht nicht ver­öffentlichen. Die taz schon: taz.de/neukoellnbericht

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