Argentinien lockert Devisenkontrollen: Dollar ohne Ende
Ab Montag können Privatpersonen bei Banken unbegrenzt Pesos in die US-Währung umtauschen. Den Wechselkurs will die Regierung mit einem 20-Milliarden-Kredit vom Internationalen Währungsfonds stützen.
Im Gegenzug erhält die Regierung einen 20-Milliarden-Dollarkredit vom Internationalen Währungsfonds (IWF). 12 Milliarden sollen zur freien Verfügung bereits am Dienstag überwiesen werden. Das hatte der IWF am Freitag in Washington beschlossen. „Es gibt keinen Präzedenzfall für eine so große Auszahlung“, begrüßte Wirtschaftsminister Luis Caputo den Beschluss. Argentinien ist mit weitem Abstand der größte Schuldner des IWF.
Mit dem fresh money will die Regierung staatliche Schuldscheine von der Zentralbank zurückkaufen, was die Reserven der Zentralbank nominal zwar nicht erhöht, aber mit echten Dollar untermauert. Die Gefahr, dass es am Montag zu einem massiven Run in den Dollar kommt, sieht die Regierung nicht. Zur Sicherheit ist am Bankschalter jedoch nur der Kauf von 100 Dollar im Monat erlaubt. Jeder weitere Kauf muss digital über Konten abgewickelt werden. Der Peso schloss am Freitag offiziell bei 1074 Pesos pro Dollar. In den klandestinen Wechselstuben kostete er 1375 Pesos.
„Der Kredit ist für die Regierung von grundlegender Bedeutung“, kommentiert der Wirtschaftswissenschaftler Hernán Letcher die Vereinbarung mit dem IWF. „Aber die Dollars sind nur dazu da, den Wechselkurs zu stützen. Sie fließen weder in die Wirtschaft noch werden sie in die marode Infrastruktur investiert“, sagt der Leiter des Centro de Economía Política Argentina in Buenos Aires. Ohne frisches Geld wäre die Regierung gezwungen, noch drastischer abzuwerten. „Der Dollar wird teurer und die Inflation anheizen“, so Letcher.
Tatsächlich hat sich der Preisanstieg bereits beschleunigt. Im März lag die monatliche Inflationsrate mit 3,7 Prozent nach fünf Monaten wieder über der 3-Prozent-Marke, teilte die nationale Statistikbehörde Indec am Freitag mit. Im Jahresvergleich liegt die Rate damit bei 56 Prozent. Dennoch gab sich die Regierung optimistisch. „Im März 2024 letzten Jahres lag die Rate noch bei 11 Prozent und nun ist sie auf 3,7 Prozent gefallen“, twitterte das Wirtschaftsministerium. Doch der internationale Vergleich zeigt, wie hoch die Latte damit liegt. Im Nachbarland Brasilien stieg die Inflationsrate im Jahresvergleich nur um 5,5 Prozent. In Deutschland stieg sie im gleichen Zeitraum um 2,2 Prozent.
Preistreiber Bildung
Preistreiber war mit Abstand dder Bereich der Bildung (21,6 Prozent), aufgrund der Erhöhung der Gebühren für Privatschulen. Danach folgen Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke (5,9 Prozent), hier liegen Fleisch und Gemüse an der Spitze. Während beide Prozentsätze damit über dem Durchschnitt liegen, traf der erste vor allem die Mittelschicht und der zweite die unteren Einkommensgruppen mit voller Wucht.
Für den libertären Präsidenten Javier Milei ist die Inflationsrate der wichtigste Erfolgsindikator. Die Senkung der Inflation war nicht nur ein zentrales Wahlversprechen, sondern lässt sich auch fast direkt auf die Unterstützung der Bevölkerung für Milei übertragen. Diese ist seit Anfang des Jahres gesunken und liegt derzeit bei 40 Prozent Zustimmung. Im vergangenen Jahr hatte der Rückhalt stets um die 50-Prozent-Marke gelegen. Eine wichtige Frage für Milei ist, ob der beschleunigte Anstieg der Beginn eines neuen Preissteigerungszyklus ist.
Denn die Inflationsrate ist der wichtigste Wert bei der Bemessung der Armutsgrenze. Diese wird anhand des Wertes eines Grundwarenkorbs für eine vierköpfige Familie gemessen. Viele Haushalte schwanken um diesen Wert. Steigt ihr Einkommen auch nur geringfügig an, liegen sie bei einer niedrigen Inflationsrate rasch darüber. Steigt die Rate, rutschen vielen Haushalt wieder in die Armut.
Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024 war die Armutsrate von 52,9 Prozent auf 38,1 Prozent gesunken, teilte das Statistikamt vor zwei Wochen mit. Ein Rückgang um fast 15 Prozent. Ein Blick auf den Jahresvergleich Ende 2023 und Ende 2024 zeigt jedoch, dass die Quote nur um 3,6 Prozent gesunken ist. Sie liegt damit nur knapp unter der Armutsquote von 41,7 Prozent, die Milei zu Beginn seiner Amtszeit hinnehmen musste. Steigt die Inflation, steigt die Armut und schrumpft der Rückhalt Mileis in der Bevölkerung.
Die Folgen all dieser Zahlen und Ankündigungen werden am Montag deutlich werden, wenn die Börse, die Banken und Wechselstuben öffnen. An diesem Tag kommt US-Finanzminister Scott Bessent zu einem Überraschungsbesuch nach Buenos Aires. Kaum wurde dies bekannt, begannen die Spekulationen zu wuchern und das Gerücht über eine US-Kreditlinie von bis zu 50 Milliarden Dollar für die Zentralbank machte die Runde.
„Dank der mutigen Führung von Präsident Javier Milei ist die Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Argentinien stärker denn je. Ich freue mich auf positive Diskussionen über die argentinische Wirtschaft und die Erkundung neuer Wege zur Vertiefung unserer wichtigen Wirtschaftsbeziehungen“, erklärte Bessent vor seiner Ankunft. Dass vieles davon nur auf Kredit möglich ist, scheint ihn nicht zu stören.
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