: Wenig Volkswagen in der Volksrepublik
Bei der weltweit wichtigsten Branchenmesse in Shanghai zeigt sich: China ist bei E-Autos Weltmarktführer. Doch die deutschen Firmen setzen zur Aufholjagd an

Von Fabian Kretschmer
Wenn die Automesse in Shanghai ihre Pforten öffnet, dann bietet sich den Besuchern ein Blick in die Zukunft. „Was gerade passiert, ist eine Jahrhunderttransformation“, sagt etwa Mercedes-Chef Ola Källenius während seiner Rede auf der firmeneigenen Bühne. Was er meint, ist die alltägliche Realität auf den chinesischen Straßen: In keinem Staat der Welt gibt es auch nur annähernd so viele Ladestationen, rollen mehr Elektro-Autos durch die Straßen, sind die autonom fahrenden Taxis so fortgeschrittenen wie in China.
Seit Langem ist der Markt im Reich der Mitte bereits der größte der Welt. Doch längst ist er auch technologisch führend, am innovativsten und vor allem auch am stärksten umkämpft. Frei nach Sinatra gilt: Nur wer sich in China durchsetzen kann, wird als globaler Autobauer bestehen.
Ein Blick auf die Zahlen: Laut dem Branchenverband China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) wurden im letzten Jahr weit über 31 Millionen Fahrzeuge produziert und verkauft. Gut ein Drittel davon sind bereits Elektro-Autos, auch wenn viele davon als sogenannte „Hybride“ ebenfalls noch über einen Verbrennungsmotor verfügen. Zudem schwemmt China mit nahezu sechs Millionen Fahrzeugexporten jährlich nun auch höchst erfolgreich auf die internationalen Märkte. Während sich die neuen Player in Europa – noch – schwertun, sind sie in Russland, Brasilien und Mexiko bereits omnipräsent.
Noch vor wenigen Jahren haben die deutschen Automanager in der Volksrepublik, wohl auch vom eigenen Erfolg überheblich geworden, die ambitionierten Pläne der Chinesen nur müde belächelt. Schließlich versuchte schon Staatsgründer Mao Tse-tung seit den 1950ern, eine nationale Autoindustrie aufzubauen. Die Resultate waren jedoch, trotz hoher Investitionen, mehr als bescheiden. Mittlerweile jedoch ist das Lachen der deutschen Autovorstände einer gewissen Ehrfurcht gewichen.
Die Erfolgsgeschichte der chinesischen Autobranche lässt sich nur verstehen, wenn man sich mit dem Konzept des „leapfrogging“ auseinandersetzt, also dem bewussten „Überspringen“ von Entwicklungsstufen. Während die Chinesen irgendwann einsehen mussten, dass sie es auf dem Feld der Verbrennermotoren niemals mit der deutschen Ingenieurskunst aufnehmen können würden, sahen sie die sich abzeichnende Wende zur Elektro-Mobilität als historische Chance: Die Karten würden nun neu gemischt werden, lautete das Kalkül. Also gingen sie „all in“. Bereits 2001 begann die Zentralregierung in Peking mit ersten Pilotprojekten. Seither legte sie in Fünfjahresplänen die Grundlage für die neue Industrie: Konsequent wurde in die Infrastruktur an Ladestationen investiert, eine Produktionskette für Batterien aufgebaut, Autohersteller wurden massiv subventioniert. Zudem hat die Parteiführung auch mit harten Sanktionen den Wandel zum E-Auto beim Konsumenten radikal beschleunigt: Seit Jahren bereits ist es in den großen chinesischen Städten nahezu unmöglich, eine Lizenz für Verbrenner-Autos zu ergattern. Denn diese wurden stark begrenzt. E-Autos hingegen wurden mit Kaufprämien künstlich attraktiv gehalten.
Dabei half ironischerweise auch, dass viele chinesische Marken keinerlei Erfahrungen im klassischen Autobauen vorweisen konnten. Nicht wenige Quereinsteiger waren zuvor Batteriehersteller oder Techkonzerne. Sie beschritten daher neue Wege, dachten das Fahrzeug der Zukunft vielmehr als „Smartphone auf vier Rädern“. Hydraulik und Spaltmaße waren zweitrangig. Bei der meist jungen, techbegeisterten chinesischen Kundschaft kam die Strategie gut an.
Doch die flächendeckende Industriepolitik Chinas hat auch ihre Schattenseiten – allen voran durch die immensen Investitionssummen, die zu Teilen im Korruptionssumpf versackt sind. Gleichzeitig wurde der Markt durch die lockenden Subventionen derart aufgeheizt, dass zeitweise mehrere Hundert Start-ups aus dem Boden schossen. Dies führte zu einem kannibalisierenden Preiskampf, der bis heute anhält. Nur eine Hand voll Autofirmen schreiben in China derzeit Profite. Die meisten werden die Konsolidierung des Marktes in den nächsten Jahren nicht überleben. Die auserlesenen nationalen Champions hingegen werden stärker denn je emporsteigen.
Bei der Automesse in Shanghai wird zudem so klar wie nie zuvor, dass die neuen Player wie BYD, Nio und Co. längst den Ton angeben. Das merkt man vor allem daran, dass die einstigen Meister aus Deutschland nun von den chinesischen Playern lernen: größere Displays im Auto, mehr technische Verspieltheit, bessere Konnektivität – die Deutschen passen sich an. Zudem gehen immer mehr von ihnen Kooperationen mit chinesischen Firmen ein – schlicht, um von dessen Technologieführerschaft zu profitieren: Volkswagen strebt derzeit eine strategische Partnerschaft mit dem Batterieproduzenten CATL an, BMW arbeitet bei seinem KI-Sprachmodell mit dem Tech-Riesen Alibaba aus Hangzhou zusammen. Noch vor wenigen Jahren wäre dies undenkbar gewesen. Doch der Ernst der Lage hat diesen Paradigmenwechsel regelrecht erzwungen. Die Verkaufszahlen von Volkswagen sind im vergangenen Jahr etwa um 9 Prozent zurückgegangen, bei BMW waren es 13 Prozent – Tendenz steigend.
Die Aufholjagd der deutschen Firmen lief während der letzten Jahre schleppend, die E-Autos wurden im Reich der Mitte weitgehend verschmäht. Nun zeichnet sich jedoch ein Wendepunkt ab. Insbesondere Volkswagen scheint sein „Mojo“ zurückgefunden zu haben: Die von den Wolfsburgern vorgestellten E-Autos erhielten von den Messebesuchern fast durchweg positives Feedback – aufgrund des Designs, einem Mehr an Infotainment und längeren Batterie-Reichweiten.
Noch ist jedoch fraglich, wie sehr sich die deutsche Aufholjagd in zurückgewonnenen Marktanteilen widerspiegeln wird. Denn der Binnenkonsum schwächelt in China, die fetten Jahre sind erst mal vorbei. Und über allem kreist zudem ein drohendes Damoklesschwert in Form von Trumps Zollpolitik.
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